Der Schwur ist nur eine Randerscheinung
Es ist die Hoffnung, die viele Afrikaner nach Europa treibt: Die Hoffnung auf ein besseres Leben, auf ein kleines Glück, auf Stabilität und auf eine sichere Arbeit. Wer will es ihnen verdenken? Wie vorher ihre ältere Schwester Joy macht sich auch Faith auf den Weg nach Europa und hat vorher der freundlichen „Tante“ Yisabella vertraut, denn die hat ihr versprochen, dass im fernen reichen Ausland ein guter Job auf sie wartet. Natürlich kostet es eine Kleinigkeit, sie da hin zu bringen, und damit Joy auch nicht vergisst, dass eine Schuld zu bezahlen ist, wird sie einem bizarren Ritual unterworfen, das ein für allemal den Vertrag besiegelt.
Die Drohung des Fluchs
Viele Europäer hat es immer verwundert: Warum sind geflüchtete Menschen bereit, sich einem eigenartigen Versprechen zu unterwerfen, das auf Druck geleistet wurde und mit – so muss es uns erscheinen – Hokuspokus untermauert wurde? Warum zahlen sie, gehen sie anschaffen, stehlen sie – nur um zu vermeiden, dass ein Fluch auf sie fällt?
Heutzutage glaubt doch niemand mehr an Flüche, den bösen Blick, an das schlechte Omen! Oder ist das doch anders? Wer übrigens stur auf die Hokuspokus-Theorie beharrt, sollte sich einmal fragen, warum bis zum heutigen Tag Horoskope auch in ansonsten ernst zu nehmenden Journalen abgedruckt werden.
Sunil Mann stellt unter dem Titel „Der Schwur“ seinen neuen Roman vor, der sich – recht zeitgeistig – insbesondere mit der prekären Situation geflüchteter Frauen auseinandersetzt. Zum einen sind die unerträglichen und teilweise mörderischen Umstände während der Flucht durchzustehen und zu verkraften, zum anderen kommen Zwangsprostitution und Leben in der Illegalität dazu, wenn erst einmal das begehrte „Zufluchtsland“ erreicht wurde. Anhand der beiden nigerianischen Frauen Faith und Joy erhalten die Dramen, die sich dabei abspielen können ein Gesicht. Mann schildert insbesondere die Flucht anschaulich und eindringlich, ohne sich an besonderer Brutalität auszutoben oder den Leser zum Voyeur werden zu lassen.
Eine reine Detektei war gestern
Im zweiten Handlungsstrang des Buches lernt der Leser Marisa Greco und Bashir Barisha als die Gründer der Agentur für „unliebsame Angelegenheiten“ kennen. Sie beschäftigen sich mit allen Dingen, die ihre Mandanten gerne auf die lange Bank schieben. Die senile Oma, die besucht werden muss und ohnehin niemanden erkennt, die Freundin, mit der man schon länger Schluss machen wollte – die Liste der „unliebsamen Angelegenheiten“ ist tatsächlich lang.
Ein Auftrag allerdings ist ein wenig spezieller als die anderen, ist die Auftraggeberin doch Joy, die endlich eine Gelegenheit sucht, aus ihrer verzweifelten Situation zu entfliehen. Hier kommt die bisher gut und flüssig erzählte Handlung ein wenig aus dem Takt, denn die beginnende Geschichte, die in den Drogenhandel führt, ist einerseits vielen Zufällen unterworfen und wird andererseits von Dilettanten durchgeführt, die zudem von Mann in einer so einseitigen schwarz-weiß Malerei beschrieben werden, dass man abschnittsweise glaubt, die böse Stiefmutter aus Schneewittchen habe sich doch triumphierend aus der literarischen Asche erhoben.
Grundsätzlich hat Sunil Mann einen gut lesbaren Roman verfasst, der aber trotz des aktuellen und wichtigen Themas zu sehr ins Triviale abwandert. Überhaupt – die Frage um den geleisteten Schwur bleibt hier vollständig auf der Strecke, und so fragt sich der Leser dann irgendwann doch, was denn das ganze Brimborium um ein Ritual sollte, das doch schon recht bald in Vergessenheit gerät. Eine Aufklärung, warum so viele geflüchtete Menschen noch meinen, an diesen Eid gebunden zu sein, die sucht man doch vergebens.
Fazit:
Es ist sicher eine Frage des Anspruchs, was zu einer Bewertung führt: Wer ein sympathisches Ermittlerduo erwartet, von dem sicherlich bald mehr zu hören ist, der findet sich hier gut aufgehoben. Wer einen realistischen Krimi aus dem Milieu der Geflüchteten erwartet, eher weniger. Dennoch - Mann hat hier ordentlich abgeliefert und wer damit zufrieden ist, der hat einen schönen Schmöker für ein Wochenende gefunden.
Sunil Mann, Grafit
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