Feuerland
- Tropen
- Erschienen: Februar 2020
- 3
Nike Karen Müller (Übersetzung)
Nazi-Nachkommen und skrupellose Verbrecher gehen eine teuflische Allianz ein
Nach “Der Patriot” hat Pascal Engman mit “Feuerland” seinen zweiten Thriller vorgelegt - und der hat es richtig in sich. Auf den ersten Blick wirkt es schon verwegen, einen Plot zu entwerfen, in dem Straßenkinder in Schweden entführt werden, um einer Klinik mit angeschlossener Organbank im fernen Chile zugeführt zu werden. Wenn man dann jedoch die Handlung atemlos verfolgt, wirken die Geschäftsbeziehungen des organisierten Verbrechens von Skandinavien nach Südamerika gar nicht mehr so unrealistisch.
Engmans dramaturgischer Coup besteht darin, neben der tatsächlich vorhandenen Colonia Dignidad des Nazis und Kinderschänders Paul Schäfer eine zweite deutsche Kolonie zu erfinden, die sich dem Unrechtsregime des Diktators Augusto Pinochet öffnet, und sich nach dem Ende seines Regimes den Netzwerken des organisierten Verbrechens anschließt. Es wirkt einfach glaubhaft, dass auch hier ehemalige SS-Leute und deren Nachkommen am Ruder sind - die “Rattenlinie” von Deutschland nach Südamerika ist schließlich keine Erfindung.
“In diese beiden deutschen Kolonien waren die gefährlichsten Gefangenen gebracht worden, diejenigen, die über wichtige Informationen verfügten. Denn abgesehen von ihrem Wissen über Landwirtschaft, Gesundheitswesen und Industrie hatten die Deutschen auch Foltermethoden mitgebracht, die zu perfektionieren sie einen Weltkrieg lang Zeit gehabt hatten.”
Wie im Klappentext beschrieben, beginnt der Prolog mit dem Überfall auf ein Uhrengeschäft in Stockholm. Im Laufe der Handlung wird dann recht schnell deutlich, was es damit auf sich hat. Und auch die dunklen Vorgänge in der Colonia Rhein im Süden von Chile werden dem Leser am Beginn des Buches gleich offenbart. Dort befindet sich die Clinica Baviera, wo solvente Kunden die Ersatz-Organe bekommen, die sie benötigen. Über Feuerland wird der menschliche Nachschub von den Philippinen herbei geschafft - bis diese Quelle versiegt.
Auch wenn also der Chile-Bezug von Beginn an deutlich wird, ist der Plot doch durchgehend ziemlich komplex. Immerhin nimmt sich Pascal Engman nach dem dynamischen Start die nötige Zeit, um sein Personal vorzustellen, und die einzelnen Handlungsstränge langsam zu entwickeln. Ich hätte eine Namensliste und eine oder zwei Karten ganz hilfreich gefunden, aber das ist nur so eine persönliche Vorliebe. Ziemlich beeindruckend finde ich, dass er im Laufe der Handlung so einige Figuren vom Brett nimmt - auf beiden Seiten. Also bei Weiß und Schwarz, bei den Guten und bei den Bösen. Das ist nicht so oft zu finden in der Literatur, es macht den ganzen Plot aber noch glaubwürdiger.
Es geht um verschiedene Verbrechen und unterschiedliche Gruppen von Gangstern, deren Aktivitäten sich überlappen oder eben auch zusammengeführt werden. Richtig knallig wird es, als zwei - am Ende dann doch nicht so perfekte - Killer auf ein ehemaliges Mitglied der schwedischen Spezialkräfte stoßen, das sie töten sollen. Was für die beiden Killer mit einem ungewollten Ereignis endet.
“Vanessa und Asa waren sich einig, dass sie so etwas noch nie gesehen hatten. Das war Gewalt auf einem ganz anderen Niveau. Kontrolliert. Effizient. Wer der Mann war, wussten sie nicht. Es war zu dunkel gewesen, der Film zu unscharf. Selbst die Techniker würden da nicht mehr viel ausrichten können.”
Pascal Engman hat sein Buch in elf Teile untergliedert. Diese größeren Kapitel sind dann wieder in kleinere Abschnitte unterteilt, was das Buch extrem angenehm zu lesen macht. Ich mag das jedenfalls mehr als ellenlange Kapitel, die sich über 30 oder mehr Seiten erstrecken. Durch diese Kurz-Kapitel und die ständigen Orts- und Perspektivwechsel entsteht eine enorme Dynamik, der sich der Leser kaum zu entziehen vermag.
Durch wechselnde Bündnisse und kleinere Nebengeschichte geht es ziemlich durcheinander. Und deshalb kommt irgendwann der Punkt, wo man das Buch kaum noch aus der Hand legen möchte. Der Verlauf der Geschichte bringt es übrigens mit sich, dass der Leser über die einzelnen Ereignisse und Zusammenhänge deutlich besser informiert ist als die Ermittlerin und die anderen Protagonisten.
“Wie kann das all die Jahre unentdeckt geblieben sein?”
“Weil wir Chilenen vergessen wollen. Die Diktatur hat das Land gespalten, mit allem, was dazugehört - Folter, Mord, Unterdrückung. Wir wollten nach vorne schauen, als vereintes Land. Viele der Generäle, die auch für den Tod meiner Kameraden verantwortlich sind, genießen Immunität. Das war der Preis dafür, dass es freie Wahlen geben konnte. Und ich gebe gerne zu, dass ich den Gerüchten über ein zweites Folterlager keinen Glauben geschenkt habe. Das alles klang einfach zu unfassbar.”
Das Wegschauen hat rund um die beiden deutschen Kolonien in Chile offenbar Tradition. Wer sich ein wenig mit der realen Geschichte der Colonia Dignidad befasst hat, kann nachvollziehen, dass Engmans Geschichte mitnichten unrealistisch ist. Der Vater von Carlos Schillinger, dem aktuellen Leiter der Colonia Rhein, soll ein schwedischer SS-Freiwilliger gewesen sein. Diese Angehörigen der Waffen-SS aus allen möglichen europäischen Ländern galten als besonders fanatisch. Dazu passt, dass ein alter Nazi gegenüber Schillinger äußert, niemand habe Berlin so sehr verteidigt wie der alte Schillinger. Der Fanatismus skandinavischer SS-Soldaten beim Endkampf um Berlin ist aus der historischen Literatur bestens bekannt. Insgesamt gut recherchiert und dann als spannende Geschichte komponiert.
Der Showdown in Chile topt übrigens die zuvor schon knalligen Action-Szenen nochmals. Pascal zeigt hier ein gutes Händchen für Dramatik - und baut am Schluss einen Cliffhanger ein, der fast unbemerkt bleiben könnte, wenn man nicht sehr aufmerksam zu Ende liest.
Fazit:
Es soll eine Thriller-Serie um die Ermittlerin Vanessa Frank werden - und der Auftakt-Band ist mehr als vielversprechend. Pascal Engman legt sich selbst die Messlatte für die weiteren Bände ziemlich hoch. Aber ich habe da wenig Bedenken, schon sein erster Thriller, “Der Patriot”, war ein wirklich lesenswertes Buch, was sich auch in der Bewertung der Leser der Krimi-Couch niederschlug, die ihm im Durchschnitt 78 Grad gaben. “Feuerland” ist in meinen Augen deutlich besser, weil das Buch noch mehr Dynamik und einen durchaus glaubhaften Plot hat, und den Leser ab einem bestimmten Zeitpunkt total fesselt. Das ist Lese-Kino der feinsten Art, das wir sicherlich irgendwann in Kino oder TV sehen werden.
Pascal Engman, Tropen
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