Die Toten vom Karst
- Zsolnay
- Erschienen: Januar 2002
- 10
- Wien: Zsolnay, 2002, Seiten: 364, Originalsprache
- München: dtv, 2003, Seiten: 365, Originalsprache
Ein Cliffhanger bester Machart
Commissario Proteo Laurenti von der Kriminalpolizei in Triest ist so richtig mies drauf. Seine Frau hat ihn verlassen, um über ihre Beziehung nachzudenken und Laurenti ist sich sicher, dass sie mit einem Versicherungsvertreter durchgebrannt ist. Ein eiskalter Wind und Schnee passen so richtig zu seiner Gemütslage. In einer Kneipe gibt es eine Messerstecherei unter Rechtsradikalen und Laurenti findet heraus, dass auch sein fast erwachsener Sohn Marco währenddessen anwesend war. Und dann fliegt auch noch in einem benachbarten Bergdorf ein ganzes Haus in die Luft.
Eine ganze Familie wurde von einer Bombe vernichtet: der Ladeninhaber Manlio Gubian, seine hochschwangere Frau sowie deren kleine Tochter. Keiner der Dorfbewohner hat irgend etwas beobachtet und es ist absolut kein Motiv zu erkennen. Gubians Vater will die Sache selbst in die Hand nehmen und den Täter eigenhändig zur Strecke bringen.
Kurze Zeit später findet man an einer Foiba, einer Felsspalte, die im Krieg für viele Morde diente, einen alten Mann an ein Kreuz gebunden und mit einer Harpune erschossen. Der Mann wird als der Fischer Ugo Marasi identifiziert. Der Bootseigner hatte am Vortag noch mit der Hafenpolizei Kontakt, weil auf seiner letzten Fahrt ein Mann über Bord ging und seitdem vermisst wird.
Der alte Gubian hatte am Mittag noch vor dem Haus von Marasis Frau gestanden und dieser mitgeteilt, dass er Marasi umbringen wird.
Der aus Süditalien stammende Laurenti hat viel damit zu tun, sich über Kultur und Geschichte von Triest zu informieren und in dem Gemisch von Italienern, Kroaten und Slowenen die Zusammenhänge zwischen Gubian und Marasi in der Gegenwart und in Kriegszeiten herauszufinden. Und dann sorgt auch noch eine kroatische Staatsanwältin dafür, dass sein Gefühlsleben nur noch ein einziges Chaos ist.
Mit Proteo Laurenti hat Veit Heinichen einen Protagonisten geschaffen, der dem Leser nicht unbedingt gleich sympathisch ist. Von seiner Frau verlassen fühlt er sich ungerecht behandelt und lässt seine Launen an allen anderen aus. Selbstkritik zählt wahrlich nicht zu seinen Stärken und mit seinem polternden Auftreten macht er sich nicht überall Freunde. So sehr sein Machogehabe dem Leser sauer aufstösst, so schön kann man sich mit ihm mit freuen, wenn er glücklich über kleine Erfolge ist, z.B. wenn er in einer Mülltonne in Fischabfällen wühlend stinkend herausspringt mit einem Beweisstück in der Hand. Seine Liebe zu gutem Essen teilt er mit anderen bekannten italienischen Serienkrimi-Kommissaren. Vielleicht aber ein noch realistischerer Ermittler als diejenigen, die uns sonst vorgesetzt werden.
Die Darstellung der Charaktere zählt zweifellos zu den Stärken des Autors. Jede der vielschichtigen Figuren ist dem Leser schnell vertraut, weil sie sehr bildlich beschrieben wird. Dabei wirken die schweigsamen norditalienischen Fischer ebenso glaubhaft wie der Kroate Gubian, der seine Trauer in Wut umsetzt. Ein besonderes Highlight ist der alte Gerichtsmediziner Galvano mit seinen trockenen und zynischen Kommentaren. Der Schreibstil des Autors ist sehr angenehm und abwechslungsreich. Kurze humorvolle Dialoge wechseln mit längeren Beschreibungen von historischen Begebenheiten oder aus dem Geschehen des täglichen Lebens.
Heinichen versteht es meisterhaft, die Atmosphäre der Stadt Triest und ihre Kultur mit den Menschen aus vielen Völkern sehr anschaulich und lebendig herüber zu bringen. Die vielen Details versetzen den Leser geradezu mitten ins Geschehen hinein.
Spannender als der Kriminalfall sind die immer wieder gut in das Geschehen eingeflochtenen historischen Geschehnisse. Fünf Jahrhunderte lang unter österreichischer Herrschaft stehend fiel der bedeutende Mittelmeerhafen Triest nach dem 1. Weltkrieg Italien zu. Der "Karst", das Kalksteingebirge rund um Triest, wurde im 2. Weltkrieg zur Müllhalde für viele unerwünschte Menschen. In den "Foibe" genannten Schluchten entsorgten jugoslawische Partinanen und italienische Faschisten ihre Feinde. Nach dem 2. Weltkrieg entstand ein Freistaat Triest unter UN-Kontrolle mit amerikanisch-britisch-jugoslawischer Besatzung. 1954 wurde dann das strittige Territorium zwischen Italien und Jugoslawien aufgeteilt. So konnte es schon vorkommen, dass alte Einwohner des Gebietes in ihrem Leben bis zu vier mal ihre Nationalität wechselten. Und noch bis in die Gegenwart nimmt das historische Geschehen Einfluß auf die Bewohner. Rechtsradikale Einflüsse nehmen immer mehr zu.
Die Story ist interessant und nicht so abgegriffen wie viele andere und mitunter auch spannend geschrieben. Das einzige, was störend wirkt, sind doch einige kleine Zufälle zuviel. So wirkt es schon eher als Satire, dass Laurenti der Versicherungsvertreter, den er bei seiner Frau vermutet, zufälligerweise in einem Lokal einer kroatischen Kleinstadt über den Weg läuft. Ebenso merkwürdig, dass gleich zwei der Verdächtigen einen alten Mitsubishi fahren. Etwas enttäuschend dann die Auflösung des Falles: Zunächst ein recht kurioser Showdown, wo die Polizei hinterher gleich drei der Verdächtigen nach Art eines Kriminalrätsels bewusstlos auf einem Haufen findet, einer davon mit einem Messer im Rücken. Doch dann bleiben nur noch wenige Seiten Buch übrig, auf denen dann im Schnellverfahren die Lösung präsentiert wird, ohne daß dazu noch großartige Schlüsse der Ermittler nötig gewesen wären.
Absolut gemein der letzte Absatz des Buches: Ein Cliffhanger bester Machart, der offen lässt, wie es in Laurentis Privatleben weiter geht. Man möchte gleich den nächsten noch gar nicht erschienenen Laurenti-Roman beginnen.
Veit Heinichen hat mit seiner Krimiserie um den Commissario Proteo Laurenti aus der italienischen Hafenstadt Triest eine Reihe begonnen, die Geschmack auf mehr macht. Interessante Charaktere, einen angenehmen und abwechslungsreichen Schreibstil, eine tolle Atmosphäre mit immer neuen Details, die man entdecken kann, Einblicke in die Geschichte und einen ansprechenden Plot. Was will man als Leser mehr? Höchstens vielleicht noch eine logische Auflösung des Falles. Aber Heinichen muss ja auch noch die Möglichkeit bleiben, sich für weitere Laurenti-Romane zu steigern.
Veit Heinichen, Zsolnay
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