Hunkeler in der Wildnis
- Diogenes
- Erschienen: März 2020
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Mehr Entschleunigung denn Krimi
Der Kiosk von Erkan Kaya liegt am Eingang des Kannenfeldparks und ist eine beliebte Anlaufstelle für den im Ruhestand befindlichen Kommissär Peter Hunkeler. Wenn er nicht in seinem Haus im Elsass wohnt, sondern in seiner Wohnung in Basel, dann trinkt er hier gerne einen Kaffee und liest Zeitung. Diese Idylle wird jedoch jäh gestört als eine Frau aus dem Park auf den Kiosk zuläuft, und von einem Toten berichtet, dem der Schädel eingeschlagen wurde.
Hunkeler begibt sich wiederwillig zum Tatort, der alten Friedhofsmauer direkt neben dem Bouleplatz, wo er den pensionierten Literatur- und Theaterkritiker Heinrich Schmidinger tot auffindet; ein Grasbüschel in seinem Mund, zwei Boulekugeln zwischen seinen Beinen. Die dritte, fehlende Boulekugel war offenbar die Tatwaffe. Wenig später erscheint Kommissär Madörin am Tatort und schnauzt zunächst einmal Hunkeler an, was er denn hier zu suchen habe. Hunkeler nutzt die Gelegenheit und verlässt Basel, zieht sich in sein Haus im Elsass zurück.
Die Liebe zur Natur, gutem Wein und Essen
„Hunkeler in der Wildnis“ ist bereits der zehnte Fall, verfasst vom bekannten Schweizer Krimiautor Hansjörg Schneider, dem seit vielen Jahren eine große Leserschar folgt. In den Bestsellerlisten unseres Nachbarlandes sind die Fälle Hunkelers meist vorne mit dabei, dabei erscheinen sie völlig aus der Zeit gefallen zu sein.
Hansjörg Schneider, Jahrgang 1938, hält sich mit modernem Zeug gar nicht erst auf. In der gesamten Geschichte sucht man Gegenstände wie ein Handy oder einen Computer vergebens. Konsequenterweise ist „Hunkeler in der Wildnis“ alles andere als ein herkömmlicher Krimi. Auf der Buchrückseite wird Christine Richard von der Basler Zeitung zitiert, die es auf den Punkt bringt: „Hansjörg Schneiders Hunkeler-Bücher gehören gar keiner Gattung an. Sie sind autonom. Sie sind Schneider-Bücher. Nichts sonst.“
„Was tue ich hier eigentlich? Was geht mich das an? Warum liege ich nicht am Rhein, lang ausgestreckt wie ein Baumstamm, und lasse mich treiben bis ins Meer hinunter? Kann mir das jemand sagen?“
„Weil du kein Fisch bist, sondern ein pensionierter Polizist.“
Hunkeler verabschiedet sich schnell vom Tatort und „flüchtet“ in das Elsass. Mit der Polizei will der Pensionär kaum mehr zu tun haben, mit dem cholerischen Madörin schon gar nichts. Dennoch verfolgt er die Nachrichten aus der Ferne und spricht mit Nachbarn und einigen Bekannten, die den Kritiker gekannt haben. Es entsteht ein unscharfes Bild. Die einen loben, die anderen hassen ihn. Hunkeler genießt die Natur im Länderdreieck, gutes Essen und guten Wein, wenngleich er sich mit seiner Freundin Hedwig ein ums andere Mal streitet. Ein Hitzkopf ist er immer noch.
Gefühlt alle zwanzig Seiten nimmt die Handlung dann doch Bezug auf den Mordfall, weil er hier und da in Gesprächen etwas aufschnappt. Die polizeilichen Ermittlungen werden wenig bis gar nicht thematisiert, außer dass Madörin per Schnellschuss den Falschen verhaftet. Hunkeler sinniert derweil über das Leben, kommt in Gesprächen beispielsweise auf Ghasel zu sprechen, eine lyrische Gedichtform aus dem Orient, oder den Sufismus.
„Man atmet die Seele ein, man atmet sie aus. Mit dem letzten Atemzug stirbt man. Dann entlässt man die Seele für immer, man schickt sie auf eine Reise. Wohin die Reise geht, weiß niemand. Sicher ist, dass sie nicht verlorengeht. Das ist die Weisheit der Sufis. Können Sie mir folgen?“
„Nicht ganz.“
Auch die Tierwelt nimmt einen nicht geringen Teil der Erzählung ein; es fällt ein wenig schwer, von Krimi-Handlung zu sprechen. Denn ein Krimileser erwartet meist Ermittlungen, Verdächtige und Möglichkeiten zum Mitraten. Fehlanzeige, denn Hunkeler ermittelt nicht, sondern führt nur Gespräche, aus denen sich minimale Erkenntnisse ergeben. So kommt denn auch folgerichtig die Auflösung en passant daher.
Fazit:
„Hunkeler in der Wildnis“ ist ein ruhiges, sehr ruhiges Krimi-Erlebnis, wobei der Krimi selbst nur im Hintergrund stattfindet. Im Fokus steht ein Protagonist, der seine Ruhe haben und eins mit der Natur werden will. Ein gebildeter Poet, der sich vielen Fragen widmet, darunter gelegentlich – wenn es sich ergibt – dem eingangs stattfindenden Todesfall. Der Vergleich hinkt zwar stark, aber Leser von Martin Walker (Bruno, Chef de police) könnten einen Versuch wagen. In der Ruhe liegt die Kraft, wobei sich Hansjörg Schneider erneut als guter Erzähler beweist.
Hansjörg Schneider, Diogenes
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