Ein frommer Mörder
- Heyne
- Erschienen: November 2020
- 2
Sabine Lohmann (Übersetzung)
Er predigt gegen die Sünde und mordet in Serie
Im Winter 1968/69 sorgt der „Quäker“ für Angst und Schrecken unter der Bevölkerung der schottischen Metropole Glasgow. Er beklagt den Sittenverfall in der modernen Gesellschaft - und sucht des Nachts nach ‚gefallenen‘ Frauen, die er für ihre ‚Sünden‘ ‚bestraft‘, indem er sie vergewaltigt, erwürgt und die Leichen in demütigender Pose ausstellt.
Obwohl eine Zeugin den Täter gesehen und sogar mit ihm gesprochen hat, konnte die Kriminalpolizei keine Spur aufnehmen. Seit 15 Monate dreht das „Quäker‘-Team der Marine Police Station erfolglos jeden Stein um. Drei Frauen sind tot, die Öffentlichkeit ist empört und von den Medien aufgestachelt. Die Politik gibt den Druck an hohe Polizeibeamte weiter, die ebenfalls die Geduld verlieren.
Dem Team wird ein ‚Revisor‘ vor die Nase gesetzt. Detective Inspector Duncan McCormack soll die geleistete Arbeit überprüfen und feststellen, ob bzw. wo das „Quäker“-Team sich verrannt hat. Die Männer hassen den ‚Spitzel‘ und lassen es ihn spüren, zumal sie ahnen, dass McCormack zu einer Einstellung des kalt gewordenen Falls raten wird; eine Entscheidung, die ihre Karrieren empfindlich beschädigen würde.
Gerade hat McCormack seinen Bericht abgeschlossen, als der „Quäker“ erneut aktiv wird. Der vierte Mord sorgt für neue Spuren. Allerdings ahnt die Polizei nicht, dass sich der Safeknacker Paton nach einem ‚Bruch‘ just in jenem Abbruchhaus versteckt hielt, in dem die Leiche gefunden wurde. Nun deutet alles auf Paton als Täter hin. Dieser Fehlschluss setzt eine Kette verhängnisvoller Entwicklungen in Gang, die vor allem einem nützen: dem „Quäker“, der weiterhin unterhalb des Polizei-Radars agieren kann …
Schotten-Krimi ohne Flower-Power-Flausen
Normalerweise spielen Historien-Krimis in jenen vergangenen Zeiten, die den Leser mit exotischen und deshalb interessanten Daseinsumständen locken. Auch „Ein frommer Mörder“ nutzt grundsätzlich diese Schiene, gibt sich dabei jedoch eher spröde. Das Jahr 1969 wäre eigentlich eine Steilvorlage für das Schwelgen in „Swinging-Sixties“-Klischees: kurze Röcke, Sommer der (freien) Liebe, ‚leichte‘ Drogen und Klassiker der Rockmusik.
Doch Autor Liam McInvanney setzt auf die eher trübe Realität. Im schottischen Glasgow ist der Sturm gegen altbackene Politiker und verkrustete Moralisten noch nicht aufgekommen. Hier herrscht der schnöde, bittere Alltag einer Stadt im Umbruch, die zwischen Vergangenheit und Zukunft in einer Gegenwart steckengeblieben ist, die zumindest ihren nicht vom Schicksal privilegierten Bürgern wie eine Vorhölle erscheinen muss.
In Glasgow herrscht die Abrissbirne. Ganze Stadtviertel werden eingeebnet, um anschließend Gebäude zu errichten, die Glanz und Moderne ausstrahlen sollen. Daneben entstehen billig und lieblos hochgezogene Sozialbauten, die bereits den Keim späterer Verwahrlosung in sich tragen. Eine kopfstarke Unterschicht bleibt bei dieser ‚Entwicklung‘ bewusst außen vor. Alter Wohnraum wird zerstört, neuer ersetzt ihn nur langsam und ist oft unbezahlbar. McIlvanneys Glasgow ist ein unwirtlicher Ort, in dem man sich nicht zu Haus fühlt, sondern dort aushält, wo die Vorfahren durchgehalten haben. Freude und Heimeligkeit sind jedenfalls nie dort zu finden, wo sich die Protagonisten dieses Romans bewegen.
Keine „gute, alte Zeit“
Früher war alles besser: So sprechen unverbesserliche Nostalgiker bzw. Ignoranten, denn selbstverständlich gab (und gibt) es stets dort Schwierigkeiten, wo Menschen in großer Zahl auf engem Raum zusammenleben. Dass „online“ und die Globalisierung bzw. die damit verbundenen, heute beinahe reflexhaft betonten Probleme noch nicht existieren, sorgt in McIlvanneys Glasgow beileibe nicht für eine zufriedene oder wenigstens friedliche Gesellschaft.
Stattdessen bringt die Abwesenheit der heutigen CSI-Hightech Probleme, die im 21. Jahrhundert in Vergessenheit geraten sind. Datenbankabfragen? DNS-Analysen? Realzeit-Kommunikation per Handy? In der Marine Police Station müssen simple Wählscheibentelefone und Schreibmaschinen bedient sowie gedruckte Nachschlagewerke gewälzt werden, um Informationen zu recherchieren. Die ‚Freiheiten‘ der Ära äußern sich in einem Polizeialltag, der es gestattet, während der Dienstzeit zu trinken, Kette zu rauchen oder Verdächtige einzuschüchtern und zu demütigen.
Die Arbeit dieser Polizisten wird primär zu Fuß und im Rahmen persönlicher Befragungen erledigt. Alles dauert länger, während die Verbrecher sich darüber freuen können, dass Fingerabdrücke und Steckbriefe ihre Hauptprobleme darstellen. Es gibt noch keine allmächtige Forensik oder „Profiler“. Man arbeitet, wie man es seit Jahrzehnten kennt. Nur gemächlich dringen Neuerungen ins System vor. Weibliche Kollegen, die ranggleich mit den Männern des „Quäker“-Teams ermitteln, sucht man vergebens in einer Welt, in der Frauen nur so lange arbeiten, bis sie einen Ehemann und Ernährer gefunden haben.
„Tartan Noir“ - doppelt schwarz
Die Welt ist schlecht, und als Polizist wird man privilegiert mit den Schrecken konfrontiert, die Menschen über ihresgleichen bringen können. Der schottische Kriminalroman ist berühmt (und berüchtigt) für die Drastik, mit der diese Weltsicht umgesetzt wird. Autoren wie Ian Rankin oder Stuart MacBride setzen dafür einen rabenschwarzen ‚Humor‘ ein, der die Hilflosigkeit beruflich wie psychisch überforderter Polizisten auf eine oft absurde Ebene bringt.
Liam McIlvanney geht diesen Weg nicht. Witzig wird es bei ihm an keiner Stelle. Die Trostlosigkeit des Unterschicht- und Außenseiter-Stadtlebens bleibt ungefiltert bzw. ungebrochen. In der Marine Police Station arbeiten zwar Profis, aber sie sind betriebsblind geworden, pflegen einen schädlichen Korpsgeist und leben hässliche, aber zeitgenössisch übliche Vorurteile aus. McIlvanney stellt das heraus, wenn er bösartige Übergriffe auf homosexuelle Männer schildert, die 1969 strafgesetzlich verfolgt und ins Zuchthaus geworfen wurden - ein Faktor, der besondere Bedeutung dadurch gewinnt, dass McCormack schwul ist und in ständiger Angst vor Entdeckung leben muss.
Selten wird in einem Krimi die Polizeiarbeit so nüchtern und skeptisch geschildert und beurteilt. McIlvanney beschreibt deprimierend plausibel das Scheitern einer Fahndung, die von engagierten Spezialisten voran-, aber ins Leere getrieben wird. Lange tappen die Beamten im Dunkeln, erst allmählich und dramaturgisch bündig kommt McCormack einer Wahrheit auf die Spur, die gleichzeitig erklärt, wieso sich die Story scheinbar in Nebenhandlungen verirrt: Die Jagd auf den „Quäker“ ist (natürlich) nicht ‚nur‘ die Suche nach einem Frauenmörder. Der Fall weitet sich aus, verknüpft sich mit dem organisierten Verbrechen der Stadt und verwickelt McCormack in ein Komplott, das ihn auf Konfrontationskurs mit Vorgesetzten bringt, die schnelle, einfache, medial und politisch auszuschlachtende Lösungen einer unbequemen Wahrheit vorziehen.
Keine Welt für Schwächlinge = Idealisten
Der Autor legt keinen Wert darauf, uns seine Figuren ans Herz zu legen. Die ‚Guten‘, die ‚Bösen‘, die ‚Opfer‘ und die ‚Unbeteiligten‘: Sie alle sind unsympathisch und fixiert auf ihre eigenen Probleme. Die Polizei hat nicht grundlos einen schlechten Ruf und wird auch dann nur unwillig unterstützt, wenn ein Frauenmörder umgeht; man spricht einfach nicht mit den Vertretern einer Obrigkeit, die man nicht als Diener, sondern als Gegner sieht.
Duncan McCormack stellt keine Ausnahme dar. Er ist der genretypische Profi und Einzelgänger mit dem siebten Sinn, der sich selbst im Weg steht sowie aufgrund allzu idealistischer Züge von den Kollegen und Vorgesetzten abgelehnt wird. Seine sexuelle Orientierung macht ihn zusätzlich angreifbar.
Wie es sich gehört, weicht McCormack trotz der daraus resultierenden Beschwernisse nicht von seinen Ermittlungsstandards ab. Ein zusätzlicher Pluspunkt ist dabei die Sparsamkeit, mit der McIlvanney auf McCormacks private Befindlichkeiten eingeht. „Ein frommer Sommer“ ist keines dieser als Krimi verkappter Dramen, die sich in redundanten Beziehungsproblemen förmlich suhlen. Der Autor sorgt dafür, dass seine Figuren lebendig waren, bleibt dabei jedoch stets auf den Fall, also das kriminelle und kriminologische Geschehen konzentriert. Hier liegt die Spannung, und es ist eine Freude, dass auch heutzutage solche Krimi-Klassik (und Klasse) existiert!
Fazit:
Positiv puristischer, weil auf die Krimi-Handlung konzentrierter, auf Seelen-Schmalz verzichtender Polizei-Thriller. Die gewählte Handlungszeit wird nicht als Spektakel-Kulisse zelebriert, sondern fließt ins Geschehen ein. Die Figuren wirken ‚realistisch‘, was durch Schwarzweiß-Relativierung unterstrichen wird: Keineswegs grundlos wurde dieser Roman mit dem „McIlvanney Prize“ für den besten schottischen Krimi des Jahres 2018 ausgezeichnet; die (seit 2012 verliehene) Auszeichnung wurde übrigens nach dem Vater des Verfassers benannt - William McIlvanney (1936-2015), der selbst als Meister des Genres gilt.
Liam McIlvanney, Heyne
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