Das Bild der Pyramide (Commissario Montalbano 22)
- Bastei Lübbe
- Erschienen: Februar 2020
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Übersetzung: Rita Seuß, Walter Kögler
Sizilianischer Schlamassel aus Korruption und Bestechung
Auf einem verlassenen Baugelände in der Provinz von Vigàta finden Arbeiter in einer Betonröhre die Leiche eines Mannes. Die Todesursache ist klar: eine Kugel im Rücken. Bei dem Toten handelt es sich um Gerlando Nicotra, den Universalbuchhalter der Firma Rosaspina, die dort eine Wasserleitung baut.
Nicotras deutsche Ehefrau Inge ist verschwunden, ebenfalls ein geheimnisvoller Unbekannter, der seit sechs Monaten bei dem Ehepaar in dem abgelegenen Haus nahe der Baustelle lebte. Der Mann zeigte sich nie in der Öffentlichkeit, empfing jedoch regelmäßig Besucher.
Commissario Salvo Montalbano aus Vigàta fragt sich, wer der Mann war und was ihn so schützenswert machte. Die Leute spekulieren, dass Eifersucht das Motiv für das Verbrechen war. Untermauert wird das durch die weitere Entwicklung. Doch aufgrund seiner Beobachtungen und Nachforschungen glaubt Montalbano, dass mehrere Männer in das Haus eindrangen und Nicotra oder den Unbekannten einem Verhör unterzogen, weil sie etwas suchten oder wissen wollten. Nicotra konnte fliehen, wurde dabei jedoch angeschossen.
Eine andere Sache beschäftigt Montalbano. Der mit ihm befreundete Journalist Gambardella ist einem Bauskandal der Firma Albachiara auf der Spur. Nun bekommt der Familienvater anonyme Drohungen, ebenso wie seine Informanten, der Maurer Piscopo und der Baustellenleiter Asciolla. Zuerst werden Piscopo Drogen untergeschoben, dann zwei Killer auf ihn angesetzt. Auch Montalbano gerät in Gefahr.
Zwischen Eifersuchtsdrama und Mafiakrimi
In „Das Bild der Pyramide“ bekommt es Montalbano mit zwei Ereignissen zu tun, die nur auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Bei näheren Recherchen über das Opfer und seinen Arbeitgeber findet sich jedoch eine klitzekleine Verbindung zur Mafia. Montalbano warnt vor vorschnellen Schlussfolgerungen, folgt aber dieser Spur.
Seine Nachforschungen provozieren den Gegner, der ihn mit einem saftigen Eifersuchtsdrama in drei Akten abzulenken versucht. Für einen der Mitspieler endet das Drama tödlich. Auch dieser Tod wird zu einer Inszenierung, mit der die Mörder von ihrem Motiv ablenken wollen. Montalbano findet sich in einem Theaterstück wieder, geschrieben und inszeniert von Unbekannt, wobei ihm und seinen Kollegen Augello und Fazio die Rolle des Zuschauers zugewiesen wird.
Er durchschaut das Verwirrspiel, das gegnerische Gespinst aus Lügen, falschen Fährten und Täuschungsmanövern, antizipiert den weiteren Verlauf des Dramas und nimmt demonstrativ in der ersten Reihe Platz, als der dritte Akt aufgeführt wird. Er weiß, dass er mehr weiß, als die Kriminellen vermuten, und nutzt das, um ein eigenes Narrativ zu spinnen und ihnen eine Falle zu stellen.
Camilleri ist ein immens geschickter Erzähler, der die Informationen für den Leser wohldosiert, ihm genug verabreicht, um ihn zum Mitdenken zu aktivieren, aber nicht zuviel, um die Überraschungsmomente nicht wegzuschenken. Und davon gibt es auch in diesem Roman einige.
In Montalbanos aktuellem Fall geht es um Pfusch am Bau, eine einstürzende Schule, den Weiterbau einer mittlerweile überflüssigen Wasserleitung, um Bestechung, Korruption, Geldwäsche, Bildung einer mafiösen kriminellen Vereinigung, illegale Bieterabsprachen bei öffentlichen Bauaufträgen. Kurz: um ein Millionengeschäft und eine ganz neuartige Form von Konsortium.
Der echte Montalbano und sein schlechtes Double
Neben dem Verbrechen, bei dem er sich mit höchst gefährlichen Gegnern anlegt, muss Montalbano ein weiteres Rätsel lösen, bei dem es um seine eigene Person geht. Er hat schlechte Laune, keinen Appetit und führt seine Arbeit nicht mit der üblichen Begeisterung durch, leistet nur konventionelle Polizeiarbeit, wie das Verhören von Zeugen und Verdächtigen, Ortsbesichtigungen, Gespräche mit den Kollegen. Er steckt mitten in einer Formkrise. Erst als er in einer Innenschau die Ursache ergründet, löst er seine Blockade. Intuition, Inspiration, die Fähigkeit zu Verknüpfungen und gewagten Schlussfolgerungen kehren zurück.
Die Arbeit eines Montalbano erinnert immer auch ein wenig an die eines Autors oder Künstlers generell, der die Technik beherrschen muss, aber ohne Inspiration und Phantasie nichts zustande bringt. Immer wieder tauchen in den Montalbano-Geschichten Verweise auf Literatur und Filme auf, die als Inspirationsquell und Ideentreiber dienen. Diesmal ist es ein Schlüsselwort aus einem Film von Orson Welles, das unvermittelt in einem inspirierenden Wortspiel erscheint und weiterhilft.
An den Film des deutschen Expressionismus fühlt Montalbano sich erinnert, als er die Baustellen sieht, die sich nach den unwetterartigen Regenfällen in eine düstere, tote Schlammlandschaft verwandelt haben. Trostlos und deprimierend wirkt auch der Strand hinter seinem Haus in Marinella. Statt wie früher Muscheln und Seesterne, schwemmt das Meer nur Plastikmüll an.
Montalbano ist in zweiter Linie Polizist und in erster Mensch. Sein Herz für die Nöte kleiner Gauner zeigt er im Fall von Nicotras Nachbarin und ihrem Sohn, einem Kindskopf mit der Statur eines Kolosses. Aus der Haltung der Frau spricht der pure Widerstand gegen jeden, der den Staat verkörpert und damit für ein System steht, das von Korruption bestimmt wird und die kleinen Leute „verkauft“. Um an Informationen zu gelangen, ist Montalbanos Cleverness gefragt.
Das „Bild der Pyramide“, 2014 unter dem Originaltitel „La piramide di fango“ erschienen, ist der letzte und abschließende Roman aus der Serie um den beliebten Commissario Salvo Montalbano aus Vigàta. Andrea Camilleri, erfolgreichster zeitgenössischer Autor Italiens und Vermittler der sizilianischen Welt, starb 2019.
Fazit:
In „Das Bild der Pyramide“ setzt Andrea Camilleri seinen Commissario Salvo Montalbano auf ein raffiniert konstruiertes Komplott an. Während sich die Krimihandlung über Gier und Macht kraftvoll und furios entfaltet, wird die Liebesgeschichte des Commissario und seiner Verlobten Livia feinfühlig weitererzählt. Eine packende und anspruchsvolle Lektüre.
Andrea Camilleri, Bastei Lübbe
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