Vertigo - Und dann wird alles dunkel

  • Edition M
  • Erschienen: Februar 2020
  • 0

Ulla Ackermann (Übersetzung)

Vertigo - Und dann wird alles dunkel
Vertigo - Und dann wird alles dunkel
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Almut Oetjen
58°1001

Krimi-Couch Rezension vonApr 2020

Die delikate Balance zwischen Gesundheit und Krankheit

Im Winter vor eineinhalb Jahren sind Clara, 29 Jahre, die neben ihrem Job Psychologie studiert, und Markus, 42, verheiratet mit Sara, zwei Töchter im Teenageralter, Linn und Agnes, ein Liebespaar geworden. Die Affäre lief bereits einige Zeit, Markus wollte sich von Sara trennen und Clara heiraten, als Sara bei einem Unfall ums Leben kam.

Wiederum einige Zeit später zieht die mittlerweile arbeitslose Clara zu Markus und den Mädchen in die Altbauwohnung. Nach einem Monat erleidet sie im Bad einen Schwindelanfall und verliert das Bewusstsein, etwas, was ihr zuvor noch nie passiert ist. Wenn sie alleine in der Wohnung ist, hat sie das Gefühl, diese würde sich verändern. Gelegentlich setzt ihr eine übelriechende Parfümwolke zu. Ihre Ohnmachtsanfälle wiederholen sich, bald auch außerhalb der Wohnung. Nach jeder Ohnmacht wacht sie an einem anderen Ort wieder auf.

Während eines Anfalls auf der Straße stiehlt ihr jemand den Laptop, auf dem sie eine wichtige Studienarbeit gespeichert hat. Als sie im Lesesaal der Stadtbibliothek das Bewusstsein verliert, wundert sie sich nach dem Aufwachen, dass von den Bibliotheksbesuchern in ihrer Nähe niemand etwas mitbekommen hat.

Clara lässt sich medizinisch durchchecken. Abgesehen von niedrigem Blutdruck ist sie okay. Sie bemerkt, dass sie von einem Mann beschattet wird. Sie tut es ihm gleich, findet heraus, dass er Privatdetektiv ist und sie im Auftrag beschattet. Weitere Ohnmachten folgen, Erinnerungslücken beunruhigen Clara, in der Wohnung geschehen seltsame Dinge. Es scheint, als habe es jemand auf sie abgesehen, sie verdächtigt Markus.

Ein Beziehungsdrama als Thriller

Annika Widholm hat eine Ausgangssituation geschaffen, die nur wenig im Unklaren lässt – bis sie eine Verschiebung vornimmt, die vieles verändert und neue Klarheit erzeugt. Dieses Spiel wiederholt sie in ihrem Drama, in dem sie vier Personen in einer durch eine Reihe Dopplungen, wie zwei Geliebte, wechselseitige Überwachungen und zwei Mordpläne, bestimmten symmetrischen Beziehung aufeinander loslässt.

Am Anfang legt Widholm einen Köder aus, die fortschreitende Obsession Claras durch die Vorstellung, jemand habe es auf sie abgesehen. Claras Destabilisierung wird unterstützt durch Gerüche und Stimmen, ihre Ohnmachtsanfälle und das spätere Erwachen an einem anderen Ort. Hinter dieser Geschichte wird spät etwas ganz anderes sichtbar, was aus der Kriminalhandlung ein psychologisches Drama werden lässt. Widholm treibt die romantische Geschichte auf die Spitze, wenn die Demaskierung enthüllt, was sich hinter dem Köder befindet.

Grob lässt sich die Erzählung zweiteilen. Der erste Teil beginnt mit einer Liebesgeschichte aus einem Ehebruch heraus. Später dann wird das Lebensumfeld der Protagonistin vernebelt. Clara erscheint psychisch instabil, vermag abnehmend zwischen Realität und Einbildung zu unterscheiden. Im zweiten Teil beginnt sich durch eine neue wichtige Figur, deren Bedeutung längere Zeit unklar bleibt, der Nebel zu lichten. Clara gewinnt neue Informationen, die ihren diffusen Ahnungen Konturen verleihen. Sie stellt Verknüpfungen her, die ihr eine plausible Erklärung für die Vorgänge erlauben.

Das plotinduzierte Wechselspiel zwischen Erlösung und Desillusionierung, in dem zwei Handlungsbögen auf der Ebene des inneren Konflikts subtil in tiefgreifende Veränderungen münden, konstruiert Widholm gut. Für die Protagonistin bedeutet dies, dass sie aus einer Situation, in der sie auf sich alleine gestellt ist, irritiert und an ihrem Verstand zweifelnd, in eine neue Situation gerät, in der sie über die Möglichkeit der Kommunikation eine andere Perspektive auf das Geschehen entwickelt.

Bezug zum Film von Alfred Hitchcock

Der Originaltitel des Romans ist „Yrsel“, was Schwindel bedeutet. Deshalb ist der deutsche Titel mit „Vertigo“ gut gewählt. Und auch, weil „Vertigo“ der Titel eines Films von Alfred Hitchcock ist, auf den sich Widholm oft bezieht.

Die spiralförmige Abwärtsbewegung, die Furcht zu fallen, das Gleichgewicht zu verlieren als Ausdruck für den Kontrollverlust, die Vergangenheit nachzuvollziehen, um die Gegenwart verstehen zu können, halluzinatorische traumhafte Effekte, ein Mode- und ein Schönheitssalon an der Schnittstelle zwischen zwei Frauen – dies sind nur sehr offensichtliche Gemeinsamkeiten beider Vertigos.

Clara steigert sich beizeiten hinein in die Vorstellung, sie könne vom Geist Saras besessen sein. Sie beschäftigt sich mit menschlichem Bewusstsein, der Seele und Seelenwanderung. Dies spiegelt ein Gespräch zwischen Scottie, der Hauptfigur aus Hitchcocks Film, und Elster.

Aus dem Gothic Horror ist die grauenhafte Vorstellung bekannt, eine Tote könnte das Verhängnis für eine Lebende sein. Hier scheint im Gaslicht Hitchcocks „Rebecca“ auf. Und, um einen weiteren Film des Regisseurs zu nennen, im Zentrum von „Marnie“ steht die gestörte Beziehung zwischen der Hauptfigur und ihrem Partner, der Mark heißt, ein Name, der in Widholms Markus mitklingt. Die traumatisierte Marnie besucht spät im Film ihre Mutter, wie Clara in Widholms Geschichte.

Fazit:

Annika Widholms Thriller „Vertigo - Und dann wird alles dunkel“ ist ein Psycho-Thriller, der auf symmetrische Weise vier Menschen aufeinander bezieht. Einem Eskalationsschema folgend, dessen Stellschrauben schnell offensichtlich werden, verändern Gewalttaten das Beziehungsgefüge. Am Ende kommt es zu einer Auflösung, der noch ein Twist-Ending hinzugefügt wird, das zur Re-Evaluation führt. Leserinnen, die bei Alfred Hitchcock zuhause sind, wird vieles vom Inhalt und der Konstruktion bekannt vorkommen.

Vertigo - Und dann wird alles dunkel

Annika Widholm, Edition M

Vertigo - Und dann wird alles dunkel

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