Der Preis des Lebens
- Benevento
- Erschienen: August 2019
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Gelungener Debütroman vor Wiener Kulisse
Major Michael Lenhart und Leutnant Sabine Preiss ecken mit ihrem geradlinigen Verhalten gegenüber Vorgesetzten und politischen Entscheidungsträgern gerne an. Aufgrund seiner bisherigen Verdienste und Leistungen genießt Major Lenhart aber ein hohes Ansehen bei der österreichischen Ministerin Mannlicher. Da diese auch in Zukunft nicht auf ihn verzichten will, besetzt sie kurzerhand mit Lenhart und Preiss die neugegründete Wiener Sondereinheit für ungeklärte sowie ungewöhnliche Gewaltverbrechen. Es dauert nicht lange und das neue Ermittlerteam bekommt es mit einem europaweit agierenden Organhändlerring zu tun.
Dr. André Keller und seine Freundin Dr. Eva Veteke sind spezialisiert auf Organraub. Während sie alle logistischen Probleme löst, führt er die Operationen durch. Ihre Kunden sind allesamt mehr als vermögend und zumeist Personen des öffentlichen Lebens. Die „Zielpersonen“, denen die gewünschten Organe entnommen werden, landen am Ende im Krematorium, um sämtliche Spuren zu beseitigen. Das System des Ärztepaares funktioniert reibungslos - bis ein Fauxpas plötzlich die beiden strafversetzten Ermittler der neuen Wiener Sondereinheit auf den Plan ruft.
Jagd auf Organräuber
„Hier Wien 1, wir haben eine Auferstehung.“ Mit diesen Worten meldet sich ein Mitarbeiter von Dr. Veteke bei seiner Chefin. Beim Transport des Leichnams einer über 90 Jahre alten Dame, der regulär bestattet werden sollte, ist es zu einem ungeplanten Zwischenfall gekommen: Der Sarg, in dem sich die Verstorbene befand, ist beim Umladen auf den Boden gefallen und zu Bruch gegangen. Dumm nur, dass sich in eben diesem Sarg noch eine zweite Leiche - eine getötete Zielperson - befand, die von der Außenwelt unbemerkt mit beerdigt werden sollte.
Da die Mordkommission überlastet ist, werden Lenhart und Preiss zum Tatort gerufen, um sich der „Doppelleiche“ anzunehmen. Im Rahmen der Ermittlungen müssen sie schnell feststellen, dass der Organhandel von führenden Köpfen aus Wirtschaft und Politik - bis in die höchsten EU-Kreise - gedeckt wird. Als das Team der Sondereinheit auch noch auf die Spur eines Geheimdienstes stößt, müssen Lenhart und Preiss um ihr Leben fürchten.
„Spezielles“ Ermittlerteam
Zugegeben - die neue Wiener Sondereinheit erinnert den Leser zunächst an das Sonderdezernat Q aus den Romanen von Jussi Adler-Olsen, in dem sich Carl Mørk zusammen mit seinem Assistenten Assad um alte, unaufgeklärte Fälle kümmern muss. Die beiden Protagonisten des österreichischen Autors Bernhard Kreutner unterscheiden sich allerdings sowohl in ihrem Charakter als auch in ihrer Vorgehensweise deutlich von ihren dänischen „Vorbildern“.
Aristoteles-Liebhaber und kritischer Kopf
Michael Lenhart ist Doktor der Philosophie und hat nur aufgrund eines Formfehlers überhaupt Zugang zur Wiener Polizei bekommen. Trotz seiner zu weilen unorthodoxen Ermittlungsmethoden und Vorgehensweisen lässt man ihm freie Hand, da die Erfolge für ihn sprechen. Echte Freundschaften kann er mit den Kollegen jedoch nicht schließen, was unter anderem auch daran liegen mag, dass er diese mit unerschütterlicher Selbstverständlichkeit zu jeder Tages- und Nachtzeit anruft, um aktuelle Entwicklungen zu besprechen, oder mit ihnen leidenschaftlich gerne über den griechischen Philosophen Aristoteles zu diskutieren.
Dennoch sind seine Einsatzbereitschaft und besonders seine Erfolgsbilanz mehr als bemerkenswert, was auch der österreichischen Ministerin Mannlicher nicht entgangen ist. Diese hält schützend ihre Hand über Lenhart, als dieser vom Dienst suspendiert werden soll: Lenhart hat den Kabinettschef, gleichzeitig die linke Hand der Ministerin, geohrfeigt, weil dieser Informationen preis gegeben hat, die auch zum Tod eines Informanten führten. Diese Geradlinigkeit, gepaart mit einer hohen Intelligenz machen ihn zu einem besonderen Ermittler.
Schönheit, Intellekt und Härte
An Lenharts Seite ermittelt Sabine Preiss. Sie hat sich die Arbeit in der Sondereinheit damit „verdient“, dass sie ihren Vorgesetzten nach einem völlig misslungenen Einsatz vor versammelter Mannschaft Inkompetenz vorwarf. Die trainierte Thai-Boxerin versteht sich auf Anhieb gut mit ihrem neuen Kollegen, auch weil es für Lenhart nur das Team zählt, bei dem Hierarchien keine Rolle spielen. Beide sind Singles und scheinen aneinander auch nicht abgeneigt. Während Lenhart seine Kollegin in Anlehnung an die griechische Göttin der Jagd und der Hüterin von Frauen und Kindern gerne Artemis nennt, bezeichnet sie ihn aufgrund seines scharfen Verstandes gerne Sherlock.
Komplizierte Suche nach den Tätern
Um dem Organhändlerring das Handwerk zu legen, muss das Ermittler-Duo deren System knacken. Wie gelangen die Organräuber an das benötigte „Material“? Woher wissen sie mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit, dass die Spenderorgane geeignet sind? Und warum blieb bisher alles unentdeckt, auch wenn es immer wieder Hinweise gab? Lenhart und Preiss brauchen bei ihrer Suche nach den Tätern fachmännische Unterstützung, da sie auf dem Gebiet der Algorithmen und Big Data keine Spezialisten sind. Mit dem Bundesherr-Computerspezialisten Oberleutnant Fussenegger und dem Mathematik-Genie Martina Hairer holen sie sich Fachleute hierfür in ihr Team. Ein ganz besonderer Charakter ist Siglinde Wolf: Wenn sie auch nur eine Nebenfigur ist, so punktet die rechte Hand des Brigardier Fritsch, die von allen hinter vorgehaltener Hand nur Zerberus genannt wird, mit ihrem rigiden Auftreten und ihrem eigenwilligen Wiener Charme ganz schnell beim Leser.
Kritik an den sozialen Medien
In Kreutners Roman werden die negativen Seiten eines Zeitalters angeprangert, in dem Digitalisierung und Social Media das gesellschaftliche Leben regelrecht mitbestimmen. Dies betrifft sowohl den „gläsernen“ Menschen an sich, der unreflektiert und allzu offen selbst seine intimsten Geheimnisse - bewusst oder unbewusst - mit anderen teilt, als auch die Medien, die man mit gezielten Falschinformationen füttern kann und die sich dann mit Begeisterung darauf stürzen, solange es profitträchtig erscheint.
Die Folgen daraus werden in Kreutners Roman immer wieder ins Zentrum der Handlung gerückt. Die Gesellschaftskritik wird überdeutlich, wenn es heißt: „Big Brother macht es möglich. Sie und ich als lebende Ersatzteillager für jene, die meinen, über dem Gesetz zu stehen.“ Wer über genug Geld und Einfluss verfügt, muss sich nicht mit Transplantationslisten und Wartezeiten für ein dringend benötigtes Organ aufhalten.
Philosophischer Tiefgang
Dass der Autor in seinem Roman die Figuren immer wieder über Aristoteles und Sunzi, einen chinesischen Militärstrategen („Die Kunst des Krieges“) aus dem 6. Jahrhundert vor Christus, im wahrsten Sinne des Wortes philosophieren lässt, ist anfänglich recht amüsant, wird aber mit der Dauer etwas überstrapaziert. Leider macht Kreutner an zwei wichtigen inhaltlichen Stellen auch Spekulationen einfach zu Tatsachen. Dies mindert die Lesefreude zwar nicht allzu sehr, verstärkt aber etwas den Eindruck, dass in diesem Roman die realistische Darstellung zugunsten einer spannenden und temporeichen Handlung untergeordnet wird. Da der Roman zudem nur 313 Seite umfasst, muss man als Autor ab und an etwas großzügiger in seiner Schilderung sein dürfen.
Fazit:
Tempo, Spannung, skurrile Figuren und viel schwarzer Humor. Bernhard Kreutner gelingt mit seinem ersten Kriminalroman direkt ein Volltreffer. Punkten kann er vor allem mit einem unkonventionellen, aber gerade deswegen unterhaltsamen Ermittler-Duo Lenhart/Preiss, das sich prächtig ergänzt. Gewürzt wird das Ganze mit zwei brisanten Themen: Organraub und Kritik an sozialen Medien. Man darf gespannt sein, wie es mit der Wiener Sondereinheit weitergehen wird.
Bernhard Kreutner, Benevento
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