Der Kastanienmann
- Goldmann
- Erschienen: August 2019
- 19
Susanne Dahmann (Übersetzung)
Durchgehende Spannung ist garantiert
Søren Sveistrup ist ein dänischer Drehbuchautor, der bei uns durch die „Kommissarin Lund“-Reihe bekannt geworden ist. Mit „Der Kastanienmann“ legte er seinen ersten Roman vor, der gleich die internationalen Bestsellerlisten gestürmt hat. Mit mehr als 600 Seiten gibt Sveistrup dem Leser ganz schön was zu tun, aber, die Bestsellerlisten haben recht – es lohnt sich.
Nordic-Noir vom Feinsten
Der Thriller zeigt einmal mehr, dass die angeblich so heile Welt Skandinaviens nicht mehr existiert. Mit dem Finger wird auf Missstände im hochgelobten dänischen Wohlfahrtssystem gezeigt, die es so tatsächlich gab. Verpackt sind diese Mängel in eine atemraubende spannende Geschichte, die den Leser von Anfang an in den Bann zieht, was nicht zuletzt daran liegt, dass alles im Präsens erzählt wird. Zahlreiche Wendungen und immer neu aufgedeckte Erkenntnisse halten die Spannung bis zum Schluss hoch.
Die Schilderung manchmal mühseliger Polizeiarbeit wechselt sich mit teilweise, aber für dieses Genre üblichen, ziemlich brutalen Szenen ab. Typisch für einen dänischen Thriller ist auch die Verwicklung der Politik in den Fall. Sozialministerin Rosa Hartung muss mit dem brutalen Mord an ihrer Tochter zurecht kommen. Doch kaum ist sie wieder arbeitsfähig, wird die Aufklärung der Tat in Frage gestellt. In neuen Morden tauchen Kastanienmännchen auf, die Fingerabdrücke ihrer Tochter tragen. Das unfreiwillig zusammen arbeitende Ermittlerduo Mark Hess und Naia Thulin muss ganz von vorne anfangen und eckt dabei überall und nicht zuletzt bei den Kollegen und Vorgesetzten an.
Ein Team, das selten zusammen arbeitet
Hess und Thulin sind nicht gerade ein Dreamteam. Hess ist bei Europol in Ungnade gefallen und zurück nach Kopenhagen versetzt worden, und Thulin will unbedingt die Mordkommission verlassen, in der sie sich völlig fehlbesetzt vorkommt. Diese beiden sind kein Team, sondern zwei Einzelgänger, die sich nicht sympathisch sind und nur selten koordiniert arbeiten.
Sveistrup hat diese Charaktere bestens in Szene gesetzt. Der abgewrackt aussehende Hess, dem anfangs der Fall völlig egal ist, und der nur auf grünes Licht aus Den Haag wartet, um zu Europol zurückzukehren, und die alleinerziehende Mutter Thulin, die unbedingt in die Abteilung „Internetkriminalität“ versetzt werden will. Beide sind nicht sehr sympathisch, aber für den Leser so einprägsam geschildert, dass man mitfiebert, wenn sie wieder einmal gegen Mauern laufen.
Denn schnell merken beide, dass hinter den Verstümmelungen an den ermordeten Frauen mehr steckt, was aber außer ihnen keiner wahrhaben will. Getrennt und doch gemeinsam gegen den Rest der Welt knien sie sich in den Fall und geben auch dann nicht auf, als scheinbar alles gelöst ist. Die gekonnte Mischung aus beruflichen und privaten Problemen lassen beide sehr menschlich erscheinen, und ihre manchmal scharf an der Legalitätsgrenze verlaufenden Ermittlungen halten den Leser bei der Stange. Auch ihre Widersacher, der karrierebewusste Abteilungschef und die Kollegen der Mordkommission, sind glaubhaft und gut dargestellt und wecken mit ihrer Arroganz nicht gerade Empathie beim Leser.
Ein Schluss, der es in sich hat
Spannung ergibt sich aus den Fragen, wer die Frauen ermordet und verstümmelt, was Kristina Hartung damit zu tun hat, und ob der Chef der Mordkommission seine Arroganz überwindet und einsieht, dass er falsch liegt und alles viel komplizierter ist, als er es sich so medienwirksam erträumt. Immer wieder wird der Leser zusammen mit den Ermittlern auf falsche Fährten gelockt, immer wieder offenbart sich ein neues Puzzleteilchen der Lösung.
Was dann zum Schluss herauskommt, war so aber nicht vorherzusehen. Das Finale legt noch einmal eine Schippe Spannung und Action drauf und lässt den Leser nur so über die Seiten fliegen, in der Hoffnung, dass alles gut ausgehen wird. Abschließend ist man dann doch etwas ausgesöhnt mit Hess und Thulin, die gegen alle Widerstände gearbeitet und damit dem Leser ein wahrhaftiges Lesevergnügen bereitet haben.
Fazit:
Ein dickes Buch, das dann doch viel zu schnell zu Ende ist. Hier stimmte einfach alles – der Plot, der immer hochgehaltene Spannungsbogen, die schwierigen Charaktere und der Schluss mit Knalleffekt, und das Ganze auch noch flüssig und gut geschrieben. Von mir gibt es eine absolute Leseempfehlung, jedoch mit dem Hinweis, dass es einige ziemlich schockierende und brutale Szenen gibt, und dass die Gefahr besteht, zum Einsiedler zu werden, weil man unbedingt wissen will, wie es weiter geht.
Søren Sveistrup, Goldmann
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