Das Institut
- Heyne
- Erschienen: September 2019
- 3
Bernhard Kleinschmidt (Übersetzung)
Die Kinder sind unsere Zukunft
Den arbeitslosen ehemaligen Polizisten Tim Jamieson verschlägt es in das verarmte Südstaatenkaff DuPray in South Carolina, wo er einen Job als Nachtklopfer bei der Polizei annimmt. Das einzige Geschäft im Ort betreiben die Somalier Absimil und Gutaale Dobira. Der Friseur verbringt seine Abende allein und depressiv auf der Veranda. Die Leute in diesem verschlafenen Ort gehen schon mal im Pyjama auf die Straße, das Gewehr im Anschlag. Alle scheinen hier Schusswaffen zu haben und damit auch umgehen zu können. Tim freundet sich mit einigen Einwohnern an, darunter die Obdachlose Orphan Annie Ledoux, die der Regierung grundlegend misstraut. Er fühlt sich im Ort wohl.
Der zwölfjährige Ausnahmeschüler Luke Ellis aus einem Vorort von Minneapolis verfügt über geringe telekinetische Fähigkeiten. Eines Nachts dringen Unbekannte in das Haus der Familie Ellis ein, töten Lukes Eltern und entführen den Jungen. Am nächsten Morgen wacht er in einer fensterlosen Nachbildung seines Kinderzimmers auf. Man erzählt ihm, dass er zum Wohle des Landes für die Regierung seine Fähigkeiten einsetzen soll und als Soldat seinen Beitrag leisten muss, bis er wieder nach Hause darf. Luke begreift schnell, dass er gefangen ist, wie auch die anderen Kinder in der geheimen Anlage im Hinterland von Maine, die aufgrund ihrer telekinetischen oder telepathischen Fähigkeiten entführt worden sind.
Auf äußerst brutale Art versuchen Wissenschaftler, die Fähigkeiten der Kinder weiter auszubilden. Die Leiterin des Instituts, Mrs. Sigsby, definitiv kein mütterlicher Typ, eher die Hexe aus dem Märchen „Hänsel und Gretel“, erzählt den Kindern, sie seien amerikanische Helden. Luke und ein paar andere Kinder versuchen, dem Grauen, das sie noch erwartet, zu entkommen.
Entwicklung in die Unmenschlichkeit
Nahezu jedes fiktionale Buch lässt sich mehreren Genres zuordnen. Kings letzter Roman, „Der Outsider“, ist zur Hälfte ein reiner Kriminalroman, dessen hochinteressantes Grundproblem sich vermutlich nur auf phantastische Weise auflösen lässt. Deshalb ist er in der zweiten Hälfte ein Horrorroman.
King hat im Verlauf seiner Karriere häufiger Kriminalromane geschrieben. Zu seinen Lieblingsautoren, die zugleich starke Inspiration für ihn waren, gehören John D. MacDonald und Richard Stark. In Interviews verweist er immer wieder mal auf diese Quellen. Sie sind mit dafür verantwortlich, in welcher Weise sich Kings Haltung zum Rechtssystem und der politischen Kaste der USA artikuliert.
Das Institut lässt sich verstehen als ein Unternehmen der Organisierten Kriminalität, in dem schreckliche Verbrechen an Kindern begangen werden. Es bleibt im Vagen, ob es sich um eine Organisation handelt, die von der Regierung betrieben oder unterstützt wird. Dafür spricht die mehrfache Bezugnahme auf nationale Sicherheitsinteressen und die Bedrohung der Welt.
Das Böse in Kings Institut ist dies teilweise durch Widerwärtigkeiten, die den Kindern gegenüber in der Absicht begangen werden, sie zu quälen, teilweise dadurch, dass die Kinder von Bürokraten und Technokraten einfach nur als Material für einen Zweck behandelt werden. Zu den Institutsbeschäftigten gehören ehemalige Angehörige des US-Militärs, die über Erfahrungen im Umgang mit Gefangenen, Verhörtechniken oder Folter verfügen. Sie sehen sich nicht als böse oder als Sadisten, sondern als Arbeitnehmer, gut bezahlt, kranken- und rentenversichert, mit geregelter Arbeitszeit und Urlaub.
Für die Beschäftigten sind die Kinder Inputfaktoren zur Produktion von Sicherheit. Sie sind jedoch selbst auch Ressourcen, die von ihren Vorgesetzten benutzt werden. Sie machen ihre Arbeit, über die sie sagen, was auch immer zu tun sei, es diene einem höheren Zweck.
Die Frage, wie ein Mensch zu jemandem wird, der den Missbrauch von Kindern auf diese Weise rechtfertigt, schwingt im Roman mit, wird aber nicht beantwortet, allenfalls können kurze Hinweise auf die vorherigen Tätigkeiten als Elemente einer Erklärung gesehen werden. Wie es sich in einem derartigen Umfeld mit Menschlichkeit und Würde verhält, thematisiert King auf differenziert-eindringliche Weise.
Das einzige phantastische Moment in „Das Institut“ sind die über gruselige Verfahren verbesserungsfähigen Begabungen in Telepathie und Telekinese bis hin zu deren Einsatzmöglichkeiten. Abgesehen davon liegt ein politischer Thriller vor, der in wichtigen Teilen seine historischen Wurzeln im Paranoia-Thriller des Hollywood-Kinos der 1970er Jahre hat. Besonders zum Ende hin werden Ähnlichkeiten zu Sydney Pollacks „Die drei Tage des Condor“ (1975) deutlich.
Eine faschistische Wucherung in einem politischen Organismus
King stellt immer wieder Bezüge zum Nationalsozialismus her. Das mag in manchen Momenten penetrant wirken, in anderen überzogen unangemessen. Aber definiert man das Institut als Raum in dem der Ausnahmezustand die Regel ist, hat man zugleich dessen gute Beschreibung aus Sicht seiner Versuchsobjekte.
Das Institut ist ein politischer Körper mit klarer Befehlshierarchie. Insgesamt erweist es sich als eine faschistische Wucherung in einem politischen Organismus, der sich in einem rechtsstaatlich organisierten Land befindet.
Die USA, die King beschreibt, sind bestimmt durch wirtschaftliche Probleme, die durch die Verteilungssituation stabilisiert werden. Das Institut greift in das Leben von Menschen ein, verändert es von Grund auf, vernichtet Individuen oder bedroht die persönliche Integrität. King entwickelt exemplarisch eine umfassende ökonomisch fundierte Biografie einer Frau, Maureen, die für Luke eine wichtige Rolle spielt.
Moralische Aspekte äußern sich nicht nur in der Anlage des Instituts und seiner Beschäftigten. Gegen Ende der Geschichte trifft Luke eine naheliegende Entscheidung, die für ihn selbst moralisch fragwürdig ist. Er stellt jedoch fest, dass er nur moralisch fragwürdige Entscheidungen treffen kann.
Fazit:
Stephen King hat mit „Das Institut“ seinen bislang politischsten Roman geschrieben, in dem es um faschistische Entwicklungen in einem demokratischen Rechtsstaat geht. Kinder werden für einen angeblich höheren Zweck, den man als militärischen Einsatz zur Erhaltung des Weltfriedens beschreiben kann, in vielfältiger und grausamer Weise missbraucht.
Stephen King, Heyne
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