Die Nachbarin
- Heyne
- Erschienen: August 2020
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Sybille Uplegger (Übersetzung)
Das nervenzerfetzende Sehnen nach dem grüneren Gras auf der anderen Seite
Was halten Sie eigentlich so von Ihren Nachbarn? Ich könnte Ihnen so einiges von meinen erzählen … Natürlich geht es denen wesentlich besser als mir. Es ist jetzt nicht so, dass es mir schlecht geht, aber den Nachbarn geht es besser. Ihre Beziehungen funktionieren, sie sitzen nie alleine auf dem Balkon und ich habe noch nie erlebt, dass sie zum Ende des Monats ein bisschen kürzer treten müssen. Kennen Sie diese Gedanken? Sicher ist es ganz normal, ab und zu und ohne besonderen Grund seine Nachbarn zu beneiden.
So wie Harriet: Sie beneidet ihre Nachbarin Lexie um ihre glückliche Partnerschaft mit dem netten Tom, um ihr Aussehen, um ihre Fröhlichkeit, und sie entscheidet, dass es nicht fair ist. Denn Harriet will das auch: Sie will Lexies Mann, sie will ihre Fröhlichkeit vernichten und wenn das alles zusammenkommt, dann hat sich das mit dem guten Aussehen von selbst erledigt. Natürlich geht das jetzt doch schon recht weit über ein bisschen Neid hinaus. Aber es geht noch viel mehr und viel weiter …
Wie mache ich dem anderen das Leben zur Hölle?
Caroline Corcoran beschreibt in ihrem Erstlingswerk das Nachbarschaftsgefüge in einem modernen Mietshaus im heutigen London. Obwohl – der Begriff des „Nachbarschaftsgefüges“ ist hier eigentlich nicht angebracht, denn es gibt keine Beziehungen unter den Nachbarn. Mit ein bisschen Glück weiß man allenfalls, wie die Leute von gegenüber aussehen; gesprochen hat man noch nie mit ihnen und wenn es sich vermeiden lässt, steigt man nicht mit ihnen in den Aufzug. Vor diesem anonymen Hintergrund entwickelt sich die Geschichte von Harriet, die beginnt, das zu begehren, was ihrer Nachbarin Lexie offensichtlich so mühelos in den Schoß gefallen ist. Natürlich übersieht sie dabei, dass auch bei ihrer Nachbarin nicht alles Gold ist, was glänzt, und bemerkt nicht, dass auch diese sie gelegentlich beneidet, sich im Gegenzug aber dieser Gefühle schämt. Harriet startet eine fast schon quälende Spirale von kleinen Hässlichkeiten: Da sind die fiesen Kommentare unter schönen Fotos in den Sozialen Medien, da verschwindet wichtige Post und Toms Verlässlichkeit wird subtil, aber wirkungsvoll, demontiert. Hier warf ich bei der Lektüre ab und zu einen besorgten Blick auf die noch verbleibenden Seiten, war ich doch sicher, solche Gemeinheiten nicht mehr lange ertragen zu können.
„Lexie ist wirklich wie dünnes Glas. Es ist kinderleicht, sie zu zerbrechen, wenn einen das Bedürfnis dazu überkommt. Und das Bedürfnis überkommt mich. Oft sogar.“
Immerhin wird dem Leser ab und zu eine Pause gegönnt, wird doch auch aus dem Vorleben der beiden Frauen erzählt: Corcoran berichtet in diesem Strang, wie eine der beiden so sehr von ihrem Ex-Freund gedemütigt und erniedrigt wurde, bis von einer einst selbstbewussten und -bestimmten Frau nicht mehr viel übrig blieb. Hier hätte ich mir manchmal gewünscht, ein bisschen mehr über diese Vorgeschichte zu erfahren, wird diese doch recht rudimentär erzählt. Ihr kommt aber tatsächlich eine besondere Bedeutung zu, und der Leser fragt sich gelegentlich, ob die im Buch erzählte Geschichte nicht den eigentlichen Täter ausblendet.
Dennoch überspannt Cocoran gelegentlich den Spannungsbogen. Das kommt dann zum Tragen, wenn Lexie, die unbedingt schwanger werden wollte, offensichtlich keine Gelegenheit verstreichen lassen kann, ihre Launen an dem armen Tom auszulassen. Überhaupt scheint das eine Eigenschaft der handelnden Personen zu sein: Alles und jedes muss sofort und in jeder Stimmung mit dem Partner diskutiert werden und das auf eine Art und Weise, dass offensichtlich nur ein Heiliger oder ein totaler Depp nicht sofort das Handtuch werfen würde. Bei aller Sympathie, die sich naturgemäß der Opfer-Seite zuneigt, dachte ich doch manchmal, dass es auch der sympathischeren Frau schon ganz recht geschehe, wenn sich ihre Launigkeit irgendwann rächen würde. Corcoran zeigt übrigens auch, wie erschreckend einfach es ist, anderen zu schaden, wenn diese ihr Leben breit in den Sozialen Medien streuen. Eventuell leitet der eine oder andere hier die Botschaft ab, vielleicht auch seine öffentlichen Informationen ein wenig einzuschränken, will man nicht den Mitmenschen, die einem nicht gerade einen Kuchen vorbeibringen wollen, eine unschätzbare Menge an Munition liefern.
Fazit
Caroline Corcoran löst ihren Roman stimmig und logisch auf und kann sogar auf den letzten Seiten noch mit einem allerletzten fiesen kleinen Twist aufwarten. Es wird also um eine der beiden Heldinnen spannend bleiben - eine Fortsetzung wünsche ich mir allerdings nicht, denn auch an Boshaftigkeiten kann sich ein Leser gewöhnen. Dennoch würde es mich freuen, ein weiteres Werk dieser begabten Autorin zu lesen, die einen Thriller ohne Berge von Ermordeten oder Seen von Blut erschaffen kann und den Leser doch schon fast vor Spannung an der Nase aus dem Sessel zieht. Ich werde jetzt als nächstes Die Nachbarin meiner Nachbarin ausleihen, denn ich denke (oder hoffe), dass gute Nachbarn sich auch nach diesem Buch ohne Misstrauen beäugen. Zumindest bin ich zuversichtlich ...
Caroline Corcoran, Heyne
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