Fallen und Sterben
- Knaur
- Erschienen: März 2020
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Vor Spannung stirbt hier keiner
Es ist ein schwarzer Tag für Interpol: Während eines Kongresses richtet ein Unbekannter auf dem Alexanderplatz in Berlin ein Blutbad unter den Teilnehmern an. Sechs Menschen erliegen ihren Verletzungen, der Täter entkommt unerkannt auf einem Motorrad. Rosa Lopez, Hauptkommissarin beim LKA nimmt die Ermittlungen auf. Das gestaltet sich aber schwierig, da sich ihr altgedienter Kollege Viktor Saizew einer stationären Therapie in der geschlossenen Psychiatrie unterziehen muss und sie nur von einer Praktikantin unterstützt wird.
Als wäre das nicht genug, hat Lopez auch noch einige private Probleme zu überwinden. und dann stellt sie auch noch fest, dass die Spur des Mörders offensichtlich in Richtung Falkensee weist, und zwar genau in Richtung der Klinik, in der Saizew untergebracht ist. Eine falsche Spur? Ein eigenartiger Zufall? Oder ist Saizew dem Täter näher gekommen, als ihm lieb ist?
Viel Privates – wenig Ermittlung
In ihrem vierten Band über das Ermittlerduo Lopez/Saizew mutet Katja Bohnet diesem eine gigantische Tagesordnung zu. Lopez steht vor den Scherben ihrer Ehe und versucht Trennungsschmerz, Verantwortung gegenüber ihren Kindern und dienstliche Notwendigkeiten zu jonglieren. Saizew dagegen ist nach den Erlebnissen des Vorgängerbandes „Krähentod“ stationär in der Psychiatrie untergebracht und ringt um seine geistige Gesundheit.
Unglücklicherweise wird gerade diesem Ringen ein sehr weiter Raum dieses „Thrillers“ eingeräumt, denn allein von den Seitenzahlen betrachtet, spielen sich die Morde auf den Seiten 26 bis 30 ab, und ein Tatverdächtiger, von dem der Leser und die Ermittler wissen, dass er mit einem Motorrad unerkannt davon brauste, ist schnell ausgemacht. Ja – und dann? Dann wird eine Menge über Saizews Befindlichkeiten und über die schwedische Praktikantin Mette Hansen geschwafelt, Rosa Lopez verbreitet einen Charme, der an ein Dreisterne-Eisfach erinnert. und plötzlich findet sich der Leser auf Seite 140 wieder und ist im vorliegenden Fall nicht einen einzigen Schritt weiter.
Katja Bohnet hatte sich dabei aber tatsächlich so einiges vorgenommen: Ein Handlungsstrang widmet sich an einem Verbrechen an drei Kindern, die in einer Erdhöhle offensichtlich dem Hungertod überlassen werden sollen. Auf einer weiteren Ebene ereignen sich die Morde an sechs Kongressteilnehmern, die hier aber nur eine seltsam untergeordnete Rolle spielen, wobei der es der Autorin nicht gelingt, den Opfern ein Gesicht zu verleihen. Zusätzliche Spannung – oder auch noch weitere Verwirrung – soll durch den besonderen Modus Operandi des Täters erzeugt werden, denn dieser hat offensichtlich nichts dagegen, hin und wieder einen guten Bissen aus einem seiner Opfer zu nehmen.
Unglücklicherweise treten diese Stränge aber insgesamt vor den epischen Schilderungen des Gesundheitsbulletin Viktor Saizews zurück, und wird gerade nicht von seiner psychischen Krise berichtet, erfährt der Leser von seiner Familie, seiner Ex-Frau, der adoptierten Tochter - und von der eigenwilligen Oma. Damit gehen die grundsätzlich guten Ideen sang und klanglos unter. Hätte Bohnet sich ein wenig Zeit genommen, möglicherweise aus ihren Ideen drei ruhig erzählte Geschichten gemacht, und das ganze Drumherum um den Kommissar deutlich gekürzt, wäre vermutlich ein dichter Krimi zustande gekommen - und nicht die teilweise wirr anmutenden Bruchstücke der einzelnen Verbrechen.
Verschiedene Widersprüche
Sehr eigenartig ist auch die Rolle von Mette Hansen, die Rosa Lopez als neue Unterstützung zur Seite gestellt wird. Wird diese abschnittsweise regelrecht als blitzgescheite, fleißige und attraktive Super-Polizistin – wenn auch mit ungewöhnlichen sexuellen Angewohnheiten – eingeführt, scheint der Autorin dann doch immer wieder mal auf den letzten Meter eingefallen zu sein, dass es vielleicht schwierig sein könnte, eine Schwedin im LKA Berlin zu beschäftigen. Möglicherweise erklärt das, warum Hansen auf der einen Seite offensichtlich fast im Alleingang die Arbeit des LKA bewältigt, dann aber wieder auf ihre Rolle zurückgestutzt wird. Warum eine Praktikantin nach Frankreich entsandt wird, um dort selbständige Ermittlungen zu unternehmen, kann nicht zufriedenstellend geklärt werden.
Unklar ist mir persönlich auch, warum Kommissare des LKA ihr Tagewerk in Uniform verbringen – aber sei’s drum. Ganz schlimm wird die Sache, wenn Ermittlungsergebnisse präsentiert und zusammengefasst werden. So werden Beweise als „erdrückend“ bezeichnet, die sich auf einen Verdächtigen richten, weil er a) ein Motorrad fährt b) vermutlich so groß wie der Täter ist, sich c) während seines vor Jahren stattgefundenen Studiums mit „Kannibalismus“ beschäftigte und d) sich zeitweise – wie mehr als 500.000 andere Menschen auch – in einer Stadt aufhielt, die offensichtlich Verbindungen zu dem vorliegenden Fall aufweist. Mit solchen Indizien konfrontiert müsste jeder Superverbrecher auf der Stelle schluchzend zusammenbrechen.
Fazit:
Neben den zerrissenen und durch die Bank unsympathischen Helden nervt abschnittsweise zusätzlich Bohnets abgehackte Erzählweise. Die gute alte Regel, dass ein Satz zumindest aus Subjekt, Prädikat und Objekt bestehen sollte, scheint hier niemanden zu interessieren, und so wird in einer träge vor sich hin plätschernden Handlung ein sprachlicher Druck suggeriert, der tatsächlich nirgendwo hin führt. Immerhin führt abschließend der Krimi irgendwie zu einer Auflösung, bei der mehr oder weniger alle Fragen beantwortet werden. Ob dieses befriedigend und nachvollziehbar geschieht, sei dahingestellt. Abschließend bleibt zu wünschen, dass sich Lopez und Saizew vielleicht dann doch mal eine lange, lange Auszeit gönnen sollten, um ihre persönlichen Probleme zu regeln.
Katja Bohnet, Knaur
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