Commissaire Le Floch und das Gift der Liebe
- Blessing
- Erschienen: Juni 2019
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Originalausgabe erschienen unter dem Titel „L’affaire Nicolas Le Floch“
- Paris : JC Lattès 2002. 445 Seiten
- München : Blessing Verlag 2019. Übersetzung: Michael von Killisch-Horn. ISBN-13: 978-3-89667-643-6. 543 Seiten
- München : Blessing Verlag 2019 [eBook]. Übersetzung: Michael von Killisch-Horn. ISBN-13: ISBN-13: 978-3-6412-3764-6. 2,85 MB [ePUB]
Liebe, Tod und komplizierte Hofintrigen
Im Januar des Jahres 1774 wandelt Nicolas Le Floch, Kommissar der Pariser Stadtpolizei, auf Freiersfüßen. Er glaubt sich in der Gunst der schönen Julie de Lastérieux, die in ihrem Salon gern Gäste empfängt. Als Le Floch dort einen Nebenbuhler entdeckt, platzt ihm der Kragen. In Anwesenheit ihrer Gäste macht er der untreuen Geliebten eine Szene und sich anschließend empört davon.
Am nächsten Morgen liegt Julie tot in ihrem Schlafgemach; sie wurde vergiftet. Le Flochs Auftritt vor nunmehr zu Zeugen gewordenen Gästen wirft ein schlechtes Licht auf ihn. Die Indizien am Tatort machen ihn erst recht als Mörder verdächtig. Dass man Le Floch - der seine Unschuld beteuert und eine Intrige vermutet - nicht sofort verhaftet, verdankt er seinem Vorgesetzten, der um die Redlichkeit des Untergebenen weiß.
Le Floch wird aus der Schusslinie genommen und von König Ludwig XV., der ihn schätzt, mit einer Geheimmission betraut, die ihn nach England führt. Mehrfach versucht man ihn umzubringen, denn der Hof des alternden Königs ist eine Schlangengrube, deren Bewohner im Kampf um Macht und Einfluss kein Pardon kennen.
Zu Recht argwöhnt Le Floch, dass mächtige Männer hinter den Kulissen seinen Untergang wollen. Darüber hinaus erkennt er den Tod der Geliebten als Teil einer Verschwörung, deren Drahtzieher auch gegen den König konspirieren. Als Ludwig XV. an den Pocken stirbt, verliert Le Floch einen wichtigen Fürsprecher. Er muss sich nicht nur seiner anonymen Feinde erwehren, sondern auch einen letzten Wunsch des verstorbenen Königs erfüllen, ohne darüber seine Reputation oder gar sein Leben zu einzubüßen …
Gerechtigkeit im Zeitalter gesetzlich untermauerten Standesdünkels
Der vierte Band der Le-Floch-Serie ist insofern ein ‚echter‘ Historienkrimi, als er uns zeigt, wie unterschiedlich Verbrechen definiert werden kann. Hauptsächlicher Hemmschuh der Ermittlungen sind nicht die rudimentären kriminalistischen Kenntnisse der zeitgenössischen Polizisten, sondern die Staatsraison: Der gesellschaftliche Stand eines Menschen bestimmt darüber, ob und wie ihn Ordnungshüter und Juristen zur Rechenschaft ziehen können.
Schuld wird zur Nebensache, wenn der oder die Verdächtige adelig ist. Im 18. Jahrhundert können sie sich völlig selbstverständlich auf Privilegien stützen, die sie aus einem angeblichen Gottesgnadentum ableiten, das noch tief im Mittelalter wurzelt. Das darauf fußende System hält sich verständlicherweise eisern, solange seine Nutznießer es bewahren können. 1774 ist dies noch möglich, doch Autor Parot lässt mehrfach deutliche Hinweise darauf einfließen, dass sich die goldenen Zeit des Adels dem Ende zuneigt: Das Volk murrt und lässt sich auch über ein Heer von Spitzeln nur noch mühsam kontrollieren. Die Französische Revolution zeichnet sich bereits ab, und Parot informiert uns über die Auslöser.
Daraus folgt eine historisch konsequente, aber weitschweifige Handlung, deren Krimi-Gehalt die Leser für sich feststellen müssen. Dieser Rezensent kommt zu dem Schluss, dass es Parot in dieser Hinsicht an Disziplin mangelt. Statt die Handlung einem roten Faden folgen zu lassen, lässt er ihr zu viel Freiraum und erzählt beispielsweise über die letzten Tage des alten Königs Ludwig XV. Das ergibt zweifelsohne eine interessante Geschichte, die in dieser Ausführlichkeit jedoch nicht zu dem Geschehen gehört, das doch nach Auskunft des Verlags ein „historischer Paris-Krimi“ sein soll.
Vergangenheit allein ist kein Garant für Spannung
Der Historiker Parot weiß viel über die Zeit bzw. die Stadt, die ihm als Kulisse dient. Zweifellos fasziniert die Vergangenheit, wenn sie wie in unserem Fall ähnlich exotisch wirkt wie ein fremder Planet. Nichtsdestotrotz sollte sie Mittel zum Zweck bleiben, d. h. die Handlung unterstreichen, statt sie zur ersetzen. Zu oft gleiten Parot die Zügel aus der Schreibhand. Er versucht dies zu begründen, indem er uns eine unglaublich komplizierte Intrige vorsetzt, deren Elemente sich primär seinem Willen beugen: Nur mit vielen, vielen Worten entsteht ein „Fall“, dem sich die beschriebenen Ereignisse final mehr oder weniger unterordnen.
Selbst Parot schafft es nicht, den Plot-Knoten vollständig zu entwirren, was u. a. ausufernde nachträgliche Erklärungen belegen. Er will es auch gar nicht, denn es über das Ende von Band 4 hinaus sollen Rätsel bewahren bleiben, um die Leser zum Erwerb der Fortsetzungen zu verlocken: Ungeachtet des kenntnisgestützten Detailreichtums ist die Le-Floch-Saga das Werk eines Vielschreibers, der jedes Jahr einen neuen, voluminösen Band vorlegte. Originalität ist bei einem solchen Pensum eher kontraproduktiv, wichtiger ist eine sorgfältige Planung des ‚Produkts‘, um das Publikum bei der Stange zu halten.
Unter diesen Gesichtspunkten verwundert es kaum, dass Le Floch der vom Mord bis zur Staatsaffäre aufgeplusterte Fall unter den Ermittlerfingern zerrinnt: Wer ihm ‚ganz oben‘ im Nacken sitzt, soll seine Ränken auch in noch folgenden Bänden spinnen. Gelöst wird immerhin der Mord an der schönen, von ihrem Spitzel-Job überforderten Julie - ein Handlungsstrang, auf den Parot sich hätte beschränken sollen.
Name-Dropping und Autopilot-Figuren
Serientypisch hat sich in den Bänden 1 bis 4 ein Mikrokosmos herauskristallisiert, den man „Le-Floch-Paris“ nennen kann. Wenn der Commissaire nicht gerade ermittelt, ist er damit beschäftigt, seine zahlreichen menschlichen Kontakte zu pflegen. Le Floch ist gut vernetzt auf allen sozialen Ebenen, und Parot hält uns jederzeit auf dem Laufenden. In der Regel sind es Exkurse über interessante und/oder skandalöse Begebenheiten, die uns der Autor präsentiert. Solche Passagen lassen sich gutmütig als ‚atmosphärische Unterfütterung‘ bezeichnen, denn sie intensivieren den Eindruck des vorrevolutionären Paris‘.
Leider tragen solche Passagen ebenfalls nicht zum Geschehen bei. Sie sorgen stattdessen für jene Seifenoper-Elemente, die viel zu viele Historienromane verwässern, indem sie kitschig-komplizierte Privat- und Liebesgeschichten auswalzen, die in der Gegenwart übel langweilen würden. Le Floch hat viele Freunde, die er besucht, um gute Ratschläge (und ausführlich beschriebene Mahlzeiten) entgegen- (bzw. zu sich) zu nehmen. Solche Begegnungen laufen nach inzwischen bekannten Mustern ab und schinden vor allem Seiten. In diesem Band stellt sich zudem (bzw. zu allem Überfluss) heraus, dass Le Floch während einer halb vergessenen Liaison einen halbwüchsigem Sohn gezeugt hat: Wir dürfen/müssen ab Band 5 („Commissarie Le Floch und die silberne Hand“) auf einschlägige Irrungen & Wirrungen hoffen!
Parot beschränkt sein „Le-Floch-Paris“ nicht auf fiktive Figuren, die er nach Belieben formen kann. Er investiert viel Mühe in die möglichst dokumentarische Beschreibung realhistorischer Personen, die er in die Handlung integriert. Dabei geht er sehr ins Detail und vergisst darüber, dass solche Präzision primär Selbstzweck ist: Für die Geschichte/n, die uns Parot erzählt, ist sie nicht notwendig. Noch trägt das Serien-Konzept, aber es wird fadenscheinig und schimmert unter der Geschichte hervor.
Fazit:
Im vierten Band der Le-Floch-Serie präsentiert Autor Parot ein allzu komplexes Plot-Garn, das den Krimi-Aspekt zu oft vernachlässigt, um in historischen Details zu schwelgen. Die Routine des Verfassers kann nicht verbergen, dass dieser Roman sich aus Episoden eher fügt, als eine geradlinige Handlung zu bieten. Es geschieht viel, doch es bewegt sich wenig, was wenig Gutes für die Le-Floch-Serie verheißt, die neun weitere Bände umfasst.
Jean-François Parot, Blessing
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