Tote Hand

  • Droemer
  • Erschienen: August 2019
  • 1
Tote Hand
Tote Hand
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Thomas Gisbertz
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonOkt 2019

Humorvoller Kriminalroman mit ernstem Hintergrund

Kommissar Clemens Wallner von der Kripo Miesbach und Polizeiobermeister Leonhardt Kreuthner, liebevoll „Leichen-Leo“ genannt, bekommen alle Hände voll zu tun, als ausgerechnet der Schafkopf-Held Johann Lintinger durch eine Schrottschere seiner rechten Hand beraubt wird. Ein würdiges Begräbnis muss her für diese legendäre „Rechte“, beschließt Polizeiobermeister Kreuthner, und so wird gleich neben einer alten Kapelle, die hinter dem Garten der Mangfall-Mühle steht, ein Grab ausgehoben. Dabei macht „Leichen-Leo“ seinem Spitznamen mal wieder alle Ehre, denn der Ruheplatz ist bereits belegt: von einer männlichen Leiche.

Leichenfund im Mangfalltal

DNA-Untersuchungen ergeben, dass es sich um den seit einigen Monaten vermissten Vermögensberater Daniel Ulrich, ansässig in Frankfurt, handelt. Dieser soll einige Kunden um ihr Geld gebracht haben. Zudem scheinen dessen türkisch-stämmige Frau Sena und deren gemeinsamer Sohn wie vom Erdboden verschwunden.

Sind sie genauso wie Ulrich einem Verbrechen zum Opfer gefallen? Warum trieb sich der Vermögensberater überhaupt in Bayern herum? Und was hat er mit dem Diebstahl einer wertvollen Mercedes-Pagode zu tun? Schnell haben Kommissar Wallner und die Kripo Miesbach mehr Fragen als Antworten und eine bemerkenswerte Spurensuche im vermeintlich idyllischen Oberbayern nimmt ihren Lauf.

Wallners umtriebiger Großvater Manfred

Während Wallner und sein Team alle Händen voll zu tun haben, bereitet dem Kommissar auch die plötzliche Typ-Veränderung seines Großvaters Manfred Kopfzerbrechen. Warum lässt sich ein fast 90-jähriger Mann auf einmal seine schneeweißen Haare schulterlang wachsen und legt plötzlich Wert auf sein Äußeres? Früher hätte Wallner dahinter eine Frau vermutet, aber Manfred verlässt - von Gicht geplagt - kaum noch das Haus. Nach und nach gelingt es dem Kommissar, auch dieses Geheimnis zu lüften, welches mit seiner 12-jährigen Halbschwester Olivia und schamanischen Heilungsritualen zu tun hat. Unverhofft trägt das sogar zur Lösung des Falls bei.

Beliebter Bestsellerautor

Andreas Föhr, Jahrgang 1958, ist seit Jahren ein Garant für Kriminalromane auf Spitzenniveau. Nachdem er zunächst erfolgreich Drehbücher für das Fernsehen mit Schwerpunkt im Bereich Krimi verfasste (u.a. für „SOKO 5113“, „Ein Fall für zwei“ und „Der Bulle von Tölz“), widmete er sich dem Schreiben von Romanen. Seine preisgekrönten Kriminalromane um das Ermittlerduo Wallner und Kreuthner stehen zurecht immer wieder in den Bestsellerlisten. „Tote Hand“ ist der mittlerweile achte Band dieser Reihe.
Seit 2018 erscheinen die „Wallner-Kreuthner“-Fälle im Wechsel mit Föhrs „Eisenberg“-Romanen („Eisenberg“, 2018; „Eifersucht“, 2019). Bei letzteren steht die Anwältin Rachel Eisenberg im Mittelpunkt, sodass sich der gelernte Jurist und Anwalt Föhr hier auf vertrautem Gebiet bewegt.

Mehr als ein Kriminalroman

Föhrs aktueller Band ist wohltuend „normal“, allerdings keineswegs langweilig. Der Autor kommt aber ohne Gewaltorgien oder brutale Psychopathen aus, mit denen andere Thriller zu punkten versuchen. Mit „Tote Hand“ gelingt Föhr auch beim achten Fall der „Wallner-Kreuthner“-Reihe ein vielschichtiger, gleichzeitig unterhaltsamer sowie spannender Krimi. Dabei geht es dieses Mal auch um gesellschaftlich bedeutsame Themen: sexualisierte und häusliche Gewalt gegen Frauen. Beide verkommen bei Föhr nicht zu einer Randnotiz, sondern werden in nachhaltiger Form, aber zugleich sehr sensibel aufgearbeitet.

Die Hauptfigur Sena wird Opfer von beidem: Auf der Flucht vor ihrem gewalttätigen Mann Daniel bietet ihr der Fabrikant Gerd Ackeren Hilfe und Unterstützung an. Diesen Schutz muss die junge Deutsch-Türkin aber teuer erkaufen. Ihr neuer Chef vergewaltigt sie während eines Messe-Aufenthalts in Mailand.

Die scheinbare Nebenhandlung rückt mehr und mehr ins Zentrum der Erzählung. Welches Leid junge Frauen in solchen Situationen zu ertragen haben und wie viel Kraft bzw. Mut es erfordert, sich aus derartigen Beziehungen und Abhängigkeiten zu befreien, wird von Föhr mit sehr viel Feingefühl beschrieben. Dennoch treffen den Leser die Beschreibungen immer wieder mit voller Wucht.

Mischung aus Humor und Spannung

Sprachlich sticht der aktuelle Roman des Autors aus dem Einheitsbrei der Kriminalliteratur heraus. Im Gegensatz zu so manchem anderen Schriftstellerkollegen gelingt es Föhr, Spannung und Humor zu verbinden, und dabei niemals in die Banalität abzudriften. Das gilt insbesondere für die unterhaltsamen, schwarzhumorigen Episoden um „Leichen-Leo“ Leonhardt Kreuthner. Hier stellt Föhr sein besonderes Sprachtalent und seinen teils feinsinnigen, bisweilen bissigen, aber stets skurrilen Humor mit hintersinnigen Pointen unter Beweis. Die gesamte Reihe hebt sich deutlich von so genannten Regionalkrimis ab, die nur mit stereotypen Figuren in ländlicher Idylle und mit viel Lokalkolorit auftrumpfen können und dadurch schnell austauschbar werden. 

Liebevolle Personenzeichnung

Föhr ist ein guter Menschenkenner und -beobachter: Figuren wie den eigenwilligen Kreuthner kennt man als Leser zu genüge aus dem eigenen Alltag: scheinbar von Hybris strotzende, aber letztendlich nur nach Anerkennung lechzende Menschen, die im Grunde liebenswürdige Charaktere sind. Gerade weil einem diese Figuren aus dem eigenen Leben so bekannt vorkommen, funktioniert Föhrs Figurenzeichnung so gut. Dabei bewegt sich Leonhardt Kreuthner stets in einem Graubereich zwischen Recht und Unrecht, ohne dabei jedoch die Linie zur Unglaubwürdigkeit zu überschreiten.

Auch Wallners Großvater, der seinen Enkel immer wieder mit skurrilen Ideen überrascht, ist ein mehr als liebenswerter Charakter. Er wirkt trotz seiner abwegigen Einfälle niemals lächerlich. Auch hier schafft es Föhr, Manfreds Auftritt als Schamane mit einer bewegenden Geschichte zu verbinden. Genau dieses Schwanken zwischen Humor und ernüchternder Realität ist eine Stärke der gesamten Reihe, speziell aber dieses Bandes.

Kommissar Wallner selber überzeugt mit seinem Team der Kripo Miesbach mit guter Polizeiarbeit. Er und seine Kollegen brauchen keine polizeilichen Regeln zu missachten, halsbrecherische Verfolgungsjagden oder arrogantes Auftreten, um den Fall zu lösen. Trotz allem ist der Roman an keiner Stelle langweilig, weil es Föhr schafft, allen Figuren und Handlungen ihre notwendige Zeit einzuräumen, ohne vom eigentlichen Fall abzulenken.

Fazit:

Lebensnah, ohne zu langweilen. Spannend, ohne Gewaltorgien zu benötigen. Humorvoll, ohne albern zu werden. All das zeichnet den aktuellen Roman von Andreas Föhr aus. Dass es dem Autor gelingt, gleichzeitig dem ernsten Thema der Gewalt gegen Frauen genügend Raum zu geben, ohne dabei zu moralisch zu werden, zeugt von der Klasse Föhrs. Ein intelligenter Kriminalfall mit ausreichend schwarzem Humor.

Tote Hand

Andreas Föhr, Droemer

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