Tjark Wolf riskiert alles
Es wäre schon von Vorteil, die fünf bereits erschienenen Bücher der Dünenreihe zu kennen. In seinem sechsten Band bezieht sich der Autor mehrmals auf Vorkommnisse aus den Vorgängern, was ja noch zu verschmerzen wäre. Aber, er verzichtet auf die noch so geringe Vorstellung seiner Protagonisten, was dem unkundigen Leser sehr viel abverlangt. Die Handelnden bleiben für diesen Kreis blass und wenig virtuell. Erst im Laufe der Geschichte kann man einzelne Eigenarten erkennen, doch für eine gute Charakterisierung reicht das nur bei dem Protagonisten Tjark Wolf.
Ein absolut unsympathischer Protagonist
Vielleicht heißt die Hauptfigur der Dünenreihe nicht umsonst „Wolf“, denn er führt sich auf, wie ein einsamer Wolf, der kein Rudel braucht und nur nach der eigenen Fasson lebt. Was seine genaue Funktion im Polizeiapparat ist und, was seine Ermittlungseinheit eigentlich tut, ist leider wieder nur den Eingeweihten der Reihe bekannt. Aber in „Dünenblut“ versucht er ganz auf sich gestellt, selbst als Täter verdächtigt und in einer Fahndung gesucht, den Entführer von Anne Madsen zu finden, seine – ja was denn - Freundin, One-night-stand, Muse? Die Beziehung zwischen Anne und ihm ist auch so ein Mysterium für Neueinsteiger.
Jedenfalls gibt Wolf den ganz Harten, den nichts umhauen kann, der ohne Rücksicht auf Verluste sein Ding durchzieht. Heraus kommt ein Egoist, der durch sein Handeln nicht nur seine eigene Reputation riskiert, sondern den Fortbestand seines ganzen Teams, das sich dann auch noch ganz bescheiden die „Fantastic Four“ nennt. Genauso taff, wie ihr Leitwolf, scheinen sie auch nur im ganz coolen Slang kommunizieren zu können.
„Ich habe keine Ahnung woher ich die Adresse besorgen soll, und ich werde es nicht tun.“
„Fick dich, Fred“
„Nein, fick dich. Du hast es übertrieben, mein Freund. Deine Tanknadel steht im hochroten Bereich. Der Drehzahlmesser ebenfalls.“
Für mich waren sie allesamt keine Typen, die ich in meinem Umfeld haben möchte, die es aber so, zugegebenermaßen, in der freien Wildbahn gibt. Es muss ja auch keine Verbrüderung zwischen Leser und Romanfiguren stattfinden, aber eine gewisses Sympathie erleichtert das Lesen.
Der Runenmörder geht um
Die dänische Kripo sucht den Runenmörder. Zwei prominente Frauen hat er bereits getötet und in deren Körper Runenzeichen geschnitten. Und dann verschwindet auch noch Anne Madsen, die ermittelnde Beamtin. Sven Koch baut hier ein Szenario auf, dass spannend hätte sein können. Doch der Erzählstil, der nur sehr wenige Gedanken und Gefühle der Personen verrät, lässt den Leser außerhalb der Handlung stehen. Um eine Geschichte wirklich spannend zu machen, den Leser mitzunehmen, braucht es das Innenleben der Personen, nicht nur ihr Tun.
Erst dann kann man sich in sie hinein versetzen, mit den Opfern bangen oder mit Schrecken die Planung des Täters miterleben. Aber, so war die Idee vom Mörder, der die Edda in seine Opfer schneidet, wirklich gut, aber schlecht umgesetzt. Statt atemraubender Aufregung von Anfang bis Ende, blieben nur wenige Spannungsmomente übrig, ansonsten habe ich die Geschichte so runter gelesen wie der Autor sie runter erzählt hat. Dazu kommt, dass Tjark Wolf nicht unbedingt logisch handelt. Der Leser weiß es und ansonsten ist es auch jedem klar, dass er Madsen nichts angetan hat und trotzdem macht er sich im Alleingang auf die Mördersuche, riskiert sein Leben, seinen Job und den seiner Mitarbeiter, statt sich zu stellen und gemeinsam mit dem Polizeiapparat tätig zu werden.
Diese unrealistische Handlung nimmt dem Krimi jeden Schwung, denkt man sich doch – sowieso alles Quatsch. Zwar werden falsche Fährten gelegt, diverse potentielle Täter präsentiert, aber durch das Ausschlussprinzip kann man relativ schnell auf die Idee kommen, wer denn nun der Runenmörder ist. Der Schluss kommt dann auch ziemlich abrupt und bestätigt die angepeilte Identität des Mörders dann nur.
Fazit:
Wer von den ersten fünf Bänden der Dünenreihe angetan war, wird auch diesen lieben, hat er anscheinend Gefallen am Schreibstil und den Personen gefunden. Wer jetzt erst einsteigt, wird sich eventuell schwerer tun. „Dünenblut“ ist kein überragender Krimi, den man einfach gelesen haben muss, aber, zugegeben, es gibt auch schlechtere. Für den anstehenden Urlaub, vielleicht sogar an der Küste, ist er ganz passend. Ohne großen Aufwand und ohne schlechtes Gewissen, wenn man das Buch doch einmal beiseite legt um schwimmen zu gehen, kann man hier an der Suche nach einem wirklich unheimlichen Mörder teilnehmen, wenn auch der unkaputtbare, einsame Wolf mit seinem ausgelebten Egoismus etwas sehr nervt.
Sven Koch, Droemer
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