Letzter Ausweg Tempelhof

  • Goldmann
  • Erschienen: April 2019
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Jörg Kijanski
80°1001

Krimi-Couch Rezension vonJul 2019

Knallharter und düsterer Thriller im Zeichen der Flüchtlingskrise

In einer Zeltstadt auf dem ehemaligen Fughafen auf dem Tempelhofer Feld warten, dicht zusammengepfercht, zahlreiche Flüchtlinge auf ihr weiteres Schicksal. In einem der Zelt-Quadrate waren Baru Sabia und ihre Tochter Djamila seit Kurzem allein untergebracht, doch nun sind beide tot. Hauptkommissar Markus Lepke vom LKA übernimmt den Fall, der keiner zu sein scheint. Offensichtlich hat die Mutter ihre Tochter mit einem Kissen erstickt, sich anschließend erhängt.

Die spätere Obduktion ergibt ebenfalls keine Erkenntnisse, die auf ein Fremdeinwirken hinweisen. Wagner, Chef der Mordkommission, drängt bereits, die Ermittlungen einzustellen. Lepke ist nicht überzeugt, ebenso wenig wie seine beiden Mitstreiter Meyer, der wegen eines angerissenen Kreuzbandes eigentlich krankgeschrieben werden müsste, und seine Auszubildende Lina.

Frühere Partnerin will auf keinen Fall in die Reha

Und dann wäre da natürlich noch Alexandra „Alex“ Grote, mit der Lepke vor einem halben Jahr bisher zum ersten und zugleich letzten Mal zusammenarbeitete. Der „letzte Fall“ endete in einem wahren Desaster, aus dem Alex nur in letzter Minute von ihrem Partner gerettet werden konnte, nachdem sie zuvor gefoltert wurde. Lange lag sie im Koma, monatelang im Krankenhaus und müsste nun ihre Reha antreten. Doch ähnlich wie Meyer hält sie nichts im Krankenstand, sie will wieder ermitteln.

Der Deal: Schreibtischarbeit und Betreuung durch einen Psychologen. Als jedoch bereits am nächsten Tag zwei weitere Flüchtlingskinder an einer Cyanidvergiftung sterben, glauben die Ermittler, dass es hier einen Zusammenhang geben muss, denn auch diese Kinder lebten in der Notunterkunft Tempelhof.

Höchste Stellen aus Politik und Verwaltung sind in aktuelle Fälle involviert

 „Letzter Ausweg Tempelhof“ ist ein äußerst düsterer, brutaler und verstörender Thriller. Würde man ihn mit einer Tageszeit umschreiben müssen, es wäre rund 340 Seiten lang stockfinstere Nacht. Das Wachpersonal der Flüchtlingsunterkunft hat offenbar Beziehungen zur rechtsradikalen Szene, eine Vermittlerin für Flüchtlingsunterkünfte macht nur widerwillig ihren Job und in die aktuellen Fälle sind offenbar selbst höchste Stellen aus Politik und Verwaltung involviert.

Wie anders ist es zu erklären, dass nach einem weiteren Todesfall der Polizeipräsident persönlich dem Kripochef mitteilt, die Spurensicherung habe eindeutige DNA-Spuren gefunden, von denen Lepkes Team nichts weiß? Lepke selbst findet Zeugen die bestätigen, dass die beiden Verdächtigen – natürlich Flüchtlinge – ein Alibi haben. Trotzdem sollen sie im Eilverfahren abgeschoben werden.

Besonders brutales und perfides System von Zwangsprostitution

Nach und nach erschließt sich den Ermittlern ein wahrer Albtraum, der zu einer besonders brutalen und perfiden Form von Zwangsprostitution führt. Das Elend der Flüchtlinge in ihrer Heimat wird dabei durch ein neues, weiteres Elend ersetzt. Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft stirbt schnell, es bleibt einmal mehr pure Verzweiflung.

Auch die beiden Hauptfiguren haben ihre Päckchen zu tragen. Sowohl Alex wie Lepke haben Schreckliches in ihrer eigenen Vergangenheit erlebt, wollen darüber aber nicht sprechen und finden wohl deshalb nicht richtig zueinander, obwohl sie sich zueinander hingezogen fühlen.

Durch weitere Mordfälle behält derweil der Spannungsbogen eine ordentliche Dynamik, wenngleich die Auflösung bezüglich der Täter nicht in jeder Hinsicht (mangels Alternativen) überrascht. Doch das ganze Szenario im Hintergrund - wer ermöglicht, wer missbraucht die Zwangsprostitution - ist weit erschreckender.

Fazit: 

Der Frust der Autorin über die Situation der Flüchtlinge in den (deutschen) Aufnahmelagern, die Ignoranz bezüglich der Zustände in deren Heimat, das vermeidbare Sterben im Mittelmeer und das Erstarken rassistischer und faschistischer Gruppierungen ist auf jeder Seite greifbar. Hier schreibt eine junge Autorin (Jahrgang 1987) gegen ihre eigene Hilf- und Fassungslosigkeit an, ohne dabei in ihrer Wut irgendein gängiges Klischee auszulassen.

Dennoch ein starker, ein eindringlicher Roman, sofern man denn noch nicht des Flüchtlingsthemas gänzlich überdrüssig geworden ist. Auch dies ein Punkt, der die Autorin ratlos macht. Zu guter Letzt folgt ein großer Cliffhanger, der Interesse auf den nächsten Fall weckt.

Letzter Ausweg Tempelhof

Hilkje Hänel, Goldmann

Letzter Ausweg Tempelhof

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