Abgeschlagen
- Droemer Knaur
- Erschienen: März 2019
- 1
Spannung um jeden Preis
Die Verwandtschaft lässt sich nicht leugnen: Michael Tsokos kreiert mit diesem Buch und mit seinem Helden Paul Herzfeld die Vorgeschichte – oder neudeutsch den „Prequel“ - zu dem Krimi „Abgeschnitten“, den er zusammen mit Sebastian Fitzek verfasste. Fitzek wiederum ist vielen Lesern als Garant einer spannenden Lektüre bekannt, inwieweit diese Spannung aber der Realität entspricht, das wird allerdings gelegentlich stark in Zweifel gezogen. Offensichtlich sollte dieser Punkt im zweiten Werk durch die Beteiligung von „Deutschlands bekanntestem Gerichtsmediziner“ ausgeräumt werden. Sebastian Fitzek selbst meldet sich dann auch auf dem Buchrücken von „Abgeschnitten“ zu Wort und rühmt dessen „True-Crime-Faktor“.
Die Subtilität ist in diesem Buch offensichtlich nicht die Sache des Autorenduos Michael Tsokos und Wolf-Ulrich Schüler. Von Anfang an präsentieren sie eine Indizienkette, die nicht nur den Wink mit dem Zaunpfahl, sondern offensichtlich schon das gestikulierende Sägewerk beinhaltet. Die Zutaten sind dann auch die altbekannten: Ein ungeheuerlicher Verdacht, der sich breit macht, Handys, die verlegt werden oder anders verloren gehen, Schneestürme, die zu passender Zeit (passend für die Spannung und natürlich unpassend für die unglücklichen Opfer) durch das Land ziehen. Ein Großteil der Spannung entsteht dann auch aus der Frage, ob die neongelbe Leuchtspur, die zum vermeintlichen Täter weist, tatsächlich auch den realen Täter zeigt - oder hier nur als geschicktes Verwirrspiel der Autoren angelegt wurde.
Interessante und abschnittsweise sogar lehrreiche Passagen
Michael Tsokos – von Hause aus Gerichtsmediziner – versteht auch tatsächlich sein Geschäft, was die Schilderung des Sezierens von Leichen und die Hinweise zu einem möglichen Ableben mit – hüstel – einer gewissen „Nachhilfe“ betrifft. Die dazu verfassten Passagen sind interessant und abschnittsweise sogar lehrreich, ohne dass sich Tsokos in Fachbegriffen verzettelt.
Dennoch lässt sich hier ein gewisser reißerischer Faktor nicht von der Hand weisen, wird doch zu Beginn ein relativ „normaler“ Todesfall einer unauffälligen Rentnerin untersucht, nur um in der Mitte des Buches einer plakativen und äußerst ekligem Untersuchung einer massiv adipösen Person zu weichen. Wenn auch ein derartiges Begutachten sicherlich zum Aufgabenbereich der Gerichtsmedizin gehört, werden solche Vorgänge wohl kaum das tägliche Brot bilden. Hier stellt sich dann die Frage, ob die Arbeit des Gerichtsmediziners endete und die des zweiten Autoren Wolf-Ulrich Schüler – der laut Klappentext als Journalist bei der BILD-Zeitung beschäftigt ist – beginnt.
Diese Darstellung erinnert tatsächlich sehr stark an die Berichterstattung der Boulevardpresse und der letzte „Gag“ in der Bergung dieses riesenhaften Leichnams wäre weiß Gott nicht notwendig gewesen. Zumal diese „Arabeske“ nichts mehr mit der eigentlichen Krimihandlung zu tun hat. Generell wird aber ein bisschen viel das hohe Lied der Gerichtsmedizin gesungen, die letztendlich zwar sicherlich dazu beiträgt, Ermittlungen erst in Gang zu setzen – nicht aber dazu, sie zwingend aufzuklären. Wer in der Gerichtsmedizin arbeitet, geht einem bezahlten Job nach und arbeitet möglicherweise sehr genau oder sehr schlampig – genau wie ein Bäcker möglicherweise gutes oder miserables Brot backt. Dennoch ist natürlich nicht von der Hand zu weisen, dass der Arbeitstag eines Gerichtsmediziners schon ein wenig spannender sein mag, als der des durchschnittlichen Arbeitnehmers.
Fazit:
Tsokos Buch erinnert an das Aufreißen einer Tüte Chips. Jeder weiß, dass es besseres und wertvolleres gibt, nimmt sich vor, nur ein wenig davon zu lesen, und findet sich doch irgendwann in einer Verdauungsstarre mit einer leeren Tüte. „Abgeschlagen“ stellt tatsächlich eine spannende Lektüre dar und jeder will wissen, wie sie endet. Die Zutaten sind altbekannt: Entführte, hilflose Partnerin, Messer, Schneestürme und ein Herrenmensch, der meint sich alles erlauben zu können und dem das „diabolische“ Grinsen nicht aus dem Gesicht weicht. Ja, das alles schafft es, eine spannende Handlung zu kreieren, aber „True Crime“, das ist doch etwas anderes.
Prof. Dr. Michael Tsokos, Droemer Knaur
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