Der unschuldige Mörder
- Limes
- Erschienen: November 2019
- 8
Aus dem Schwedischen von Annika Krummacher
Originaltitel: En nästan sann historia
Originalverlag: Forum, Stockholm 2016
Gruppendynamik und Egomanie führen zum Tod
Betty, Zack, Adrian und Fredrik sind Literaturstudenten in Lund. Durch ihre charismatische Dozentin Li Karpe lernen sie den ebenso gefeierten, wie manipulativen Schriftsteller Leo Stark kennen. Immer tiefer geraten sie in seinen Bann, bis er eines Tages spurlos verschwindet. Obwohl es keine Leiche gibt, wird Adrian des Mordes für schuldig befunden und muss ins Gefängnis. Zwölf Jahre später will Zack ein Buch über die Vorkommnisse schreiben und sucht nach der Wahrheit, denn er glaubt, dass Adrian unschuldig ist.
Das Buch im Buch als Spannungsmotor
Edvardsson bedient sich eines alten Tricks um Spannung zu erzeugen. Zacks Roman „Der unschuldige Mörder“ wird als Buch im Buch integriert und beleuchtet als solches die Vorkommnisse, die zum Verschwinden von Leo Stark geführt haben. Immer, wenn es um 1996 oder früher geht, switcht die Erzählung in eines der Kapitel des imaginären Buches, während die Gegenwart, 2008, im vorliegenden Roman mit gleichem Titel abgehandelt wird. Der Leser muss ständig zwischen damals und jetzt pendeln, erfährt dabei immer mehr über das Leben von Betty, Zack, Adrian und Fredrik als Studenten und als allesamt Gescheiterte im Jahr 2008.
Durch den Zeitenwechsel verhindert der Autor zwar eine geradlinige Geschichte, schafft es aber trotzdem nicht Spannung in die Erzählung zu bringen. Die Vorgeschichte ist extrem ausführlich und teilweise langatmig, bis es endlich zum Verschwinden von Stark kommt. Es ist lange unklar, warum Adrian überhaupt schuldig gesprochen wurde und bis zum Schluss ist es auch unklar, ob er es wirklich ist.
Ganz am Ende der Geschichte löst Edvardsson das Rätsel und zaubert den Täter aus dem Hut, wie ein Zauberer ein Kaninchen. Das ist sehr enttäuschend, da anhand der Vorgeschichte der Schluss so für den Leser nicht entwickelbar war. Von Spannung kann zu diesem Zeitpunkt schon lange keine Rede mehr sein, aber auch für die ansonsten eher sozialkritische Geschichte ist es ein enttäuschendes Ende.
Elitäres Denken und Egomanie tun selten gut
1996 stehen die vier Studenten am Beginn eines selbstbestimmten Lebens. Erstmals auf sich gestellt stürzen sie sich hochmotiviert ins Studium, für das sie aus vielen Bewerbern ausgesucht und zugelassen wurden. Sie fühlen sich als Auserwählte, was durch den engen Kontakt mit ihrer Dozentin und dem Schriftsteller Leo Stark noch verstärkt wird. Die Charaktere hat Edvardsson alle gut getroffen. Der schüchterne Fredrik, die lebenslustige Betty, der intellektuelle Adrian und Zack, das Arbeiterkind, sind so gut beschrieben, dass man sie vor sich sieht, wie sie rauchend und trinkend versuchen ihren Intellekt unter Beweis zu stellen. Genauso die Schriftstellergrößen Stark und Karpe. Ihre Egomanie ist greifbar und macht manchmal regelrecht wütend. Sie fühlen sich als Elite, halten andere für minderwertig und geben dieses Gedankengut an die vier Studenten weiter.
Die gehen auf das Spiel ein und lassen sich immer mehr manipulieren ohne es zu merken. 2008 ist die Situation anders. Keiner der Studenten hat sich so entwickelt, wie er es annahm. Sie sind alle enttäuscht von sich und ihrem Leben. Und auch Li Karpe, die Dozentin, wurde in die reale Welt geschleudert. Die Lebensgeschichte der Protagonisten ist der eigentliche Inhalt des Romans. Die Suche nach der Wahrheit und dem Verbleib von Leo Stark tritt in den Hintergrund. Immer mehr schält sich heraus, dass das, was ein elitäres Leben mit einer ausreichenden Portion an Selbstbeweihräucherung sein sollte nur eine Farce war, die in der Katastrophe enden musste.
Nach „Die Lüge“ ist „Der unschuldige Mörder“ eine Enttäuschung
Obwohl als Nachfolgeroman von „Die Lüge“ beworben, ist „Der unschuldige Mörder“ im schwedischen Original bereits davor erschienen. Das merkt man dem Buch an, denn in den zwei Jahren dazwischen hat der Autor einiges dazu gelernt. Dem vorliegenden Buch fehlt es an Raffinesse, Schreibgewandtheit und hintergründiger Entwicklung. Die Geschichte ist herunter erzählt, wenig spannend und endet zu abrupt. Die ständigen Wiederholungen von verräucherten Wohnungen, selbstverliebten Möchtegern-Intellektuellen und egomanischen Schriftstellern ist auf Dauer ermüdend und macht die Geschichte langweilig. Lediglich unter dem Aspekt eines sozialkritischen Gesellschaftsromans könnte man dem Erzählten etwas abgewinnen.
Fazit:
Wer einen ausdrucksstarken, sprachlich ausgreiften und spannenden Thriller von Mattias Edvardsson lesen möchte, sollte sich „Die Lüge“ gönnen, ansonsten kann ihm eine herbe Enttäuschung ins Haus stehen. „Der unschuldige Mörder“ ist vom Verlag wohl nur zur Vollständigkeit nachgeschoben worden, was man besser gelassen hätte. Er ist eine Rückschritt in jeder Hinsicht, wenn man das Niveau von „Die Lüge“ kennt.
Mattias Edvardsson, Limes
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