Feine Freunde

  • Diogenes
  • Erschienen: Januar 2001
  • 13
  • London: Heinemann, 2000, Titel: 'Friends in high Places', Seiten: 250, Originalsprache
  • Zürich: Diogenes, 2001, Seiten: 332, Übersetzt: Monika Elwenspoek
  • Zürich: Diogenes, 2002, Seiten: 332
Feine Freunde
Feine Freunde
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Sabine Reiß
77°1001

Krimi-Couch Rezension vonJul 2003

Ich tauchte ein in den Sumpf und auch in die schönen Seiten von Venedig

Commissario Guido Brunetti hat ein neues Problem. Nach der Verhaftung seiner Frau in einem der Vorgänger-Romane steht nun Franco Rossi vom Katasteramt vor der Tür, um zu prüfen, ob es für den Bau seiner Wohnung genehmigte Pläne gibt. In Venedig wird nämlich sehr viel inoffiziell gebaut und renoviert und es ist üblich, die Vorschriften zu umgehen, den Kontrolleuren etwas vorzugaukeln oder ähnliches. Brunetti hat sich beim Kauf der Wohnung leider nicht die Genehmigungen geben lassen und so kann es im schlimmsten Fall sein, dass seine Wohnung abgerissen werden muß. Er spricht mit seiner Frau darüber, ob sie seinen Schwiegervater (einen Conte mit großem Einfluss) um Hilfe bitten sollen.

Beamter mit Höhenangst stürzt von Gerüst 

Es vergeht einige Zeit, in der er noch nichts unternommen hat, da liest er in der Zeitung, dass der Angestellte des Katasteramtes von einem Gerüst gestürzt ist und im Krankenhaus seinen Verletzungen erlegen ist. An sich keine Tatsache, bei der man stutzig werden musste, doch Brunetti ist aufgefallen, dass Franco Rossi unter extremer Höhenangst litt und nie freiwillig auf ein Gerüst gestiegen wäre. Und kurz davor rief Rossi noch bei Brunetti in der Questura an und wollte ihm irgend etwas mitteilen, doch leider kam er nicht mehr dazu und der Commissario wartete vergeblich auf seinen Rückruf.

Brunetti möchte den Fall, der zunächst eigentlich gar keiner ist, untersuchen. In Rossis Tasche ist eine Telefonnummer, die einem Anwalt gehörte, der erschossen wurde. Die Spur führt zu Zinswucherern, Bestechungen und Drogendealern. Einmal mehr erkennt er, dass ganz Venedig korrupt ist und er die Ideale seiner Jugend schon längst aufgegeben hat. An dieser Stelle möchte ich die Inhaltsangabe beenden, denn ich möchte nicht zuviel verraten.

Ein Wiedersehen mit alten Freunden 

Es ist schön, Brunetti in seinem neunten Fall begleiten zu dürfen. Für mich ist es wie ein Wiedersehen mit alten Freunden. Da wäre einmal der Commissario selbst, der seinen Job bei der Polizei von Venedig ernst nimmt. Er will den Dingen auf den Grund gehen. Einerseits scheut er sich nicht davor, jemanden in Schutz zu nehmen, andererseits löst er auch Gefälligkeiten ein, um in seiner Ermittlungsarbeit vorwärts zu kommen. In letzter Zeit muß er feststellen, dass er die Ideale seiner Jugend vernachlässigt und so kehrt er schon auch mal etwas unter den Teppich. In seiner Freizeit liest er griechische Klassiker. Dass er Polizist ist, hängt er lieber nicht an die große Glocke. Wenn man nach seinem Beruf fragt, sagt er, er hätte Jura studiert (was auch stimmt).

Seine Frau Paola lehrt Englische Literatur an der Universität. Mit ihr kann Brunetti alles besprechen und auf mich wirken die beiden sehr harmonisch, auch wenn die Stimmung in einem der Vorgänger-Romane auch schon mal getrübt war, denn Paola hat ihren eigenen Kopf, den sie auch ohne Rücksicht auf den Beruf ihres Mannes durchsetzt. Sie kocht sehr gut. Überhaupt wird dem Essen bei Donna Leon große Aufmerksamkeit gezollt.

Cholerisch, ungerecht und enorm wichtig - der Vice-Questore 

Neben diesen beiden trifft man auch immer wieder auf Vice-Questore Patta, den Chef von Brunetti. Er ist cholerisch, ungerecht und fühlt sich enorm wichtig. Komischerweise ist sein Schreibtisch immer leer. Seine Sekretärin Signorina Elletra, immer passend zu den Akten gekleidet, ist ein Original. Wenn brisante und persönliche Informationen wie geführte Telefongespräche, Steuerbescheide oder Vermögensverhältnisse Licht ins Dunkel bringen können, dann weiß Signorina Elletra sicher einen Weg, das Gewünschte binnen kurzer Zeit zu organisieren.

Nicht immer feiert die Gerechtigkeit ihren Sieg 

Was erwartet den Leser außer dieser Bekanntschaft: kein reisserischer blutrünstiger Thriller und kein Krimi der herkömmlichen Art, sondern ein Krimi, in dem leise Untertöne mitschwingen. Man darf an Brunettis Leben teilhaben, man wandert mit ihm durch Venedig und genießt mit ihm das Essen, das Paola ihm kocht. Daneben erhält man einen guten Einblick in die Gesellschaft und das Leben der Venezianer. Nicht immer feiert die Gerechtigkeit ihren Sieg, aber das Ende ist dennoch nicht unbefriedigend. Der Mörder wird nicht erst auf den letzten Seiten enthüllt, denn man kommt ihm mit Brunetti zusammen langsam auf die Spur. Ein wenig Spannung wird meines Erachtens dennoch geboten. Ich tauchte ein in den Sumpf und auch in die schönen Seiten von Venedig und hatte das Buch in nur drei Tagen zu Ende gelesen.

Ich habe inzwischen festgestellt, dass Donna Leon die Krimileser ziemlich polarisiert. Den einen freut es, seinen liebgewonnenen Freund wiederzusehen, der andere will diese Bekanntschaft erst gar nicht ausbauen, weil sich beim ersten Treffen aufgrund der falschen Erwartungshaltung vielleicht eine Dissonanz eingeschlichen hat. Ich würde "Feine Freunde" als soliden Krimi bezeichnen, der mir zwar keine Begeisterungsstürme entlockt, der aber dennoch leichte Unterhaltung bietet. Die Vorgänger-Romane muss man nicht gelesen haben, um diesen zu verstehen, aber vielleicht sollte man mit einem stärkeren beginnen, sonst gibt man gleich auf. Mir liegt der Stil von Donna Leon auf jeden Fall und ich werde sicherlich auch das nächste Buch von ihr lesen.

Feine Freunde

Donna Leon, Diogenes

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