Im Wald der Wölfe
- Ullstein
- Erschienen: Juli 2019
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Ein „Wolf“ treibt sein Unwesen im Thüringer Wald
Jan Römer, Journalist beim Kölner Nachrichtenmagazin Die Reporter, fühlt sich leer und ausgebrannt, wozu auch seine vor Kurzem gescheiterte Ehe sowie der Umstand beigetragen haben, dass seine Ex-Frau Sarah mit dem gemeinsamen Sohn Lukas nach Bayern gezogen ist. Also entscheidet er sich, eine zweiwöchige Auszeit im Thüringer Wald zu nehmen. Kurz entschlossen mietet er eine Blockhütte in der Nähe des Örtchens Frauenwald. Doch mit der Erholung ist es schnell vorbei.
Mitten in der Nacht steht eine blutüberströmte Frau vor der Tür der Waldhütte. Hannah Wozniak wirkt verängstigt, behauptet aber, nur beim Joggen gestolpert zu sein. Die Neugierde des Journalisten ist geweckt, als sie ihm vom „Wald der Wölfe“ erzählt, ein nahe gelegenes Waldstück, in dem schon früher Morde geschehen sind. Alle Opfer trugen Brandzeichen, einen Wolfskopf. Am nächsten Morgen ist Hannah verschwunden, und Jan Römer beginnt zu recherchieren. Schnell zeigt sich, dass die Morde in einem Zusammenhang stehen, der tief in die deutsche Vergangenheit hineinreicht. Als Jan Römer selbst in die Schusslinie gerät, wird ihm klar, dass die Geschichte noch nicht zu Ende ist.
Jahrzehntelange Mordserie im Thüringer Wald
Scheinbar hat der Mörder im „Wald der Wölfe“ seit 1957 bereits vier Mal zugeschlagen. Zuletzt tötete er vor einigen Jahren Werner Lehmann. Der galt zu Lebzeiten als große Nummer in rechtsgerichteten Kreisen. Er war NPD-Mitglied, für die er 2002 sogar in den Suhler Stadtrat einzog. Außerdem gründete er eine rechtsnationale Monatszeitung, die Rennsteiger Volksstimme, die zeitweise unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stand, bevor ihr Erscheinen vor einigen Jahren eingestellt wurde.
Könnte der Tod Lehmanns mit dessen rechtsradikalen Kontakten in Verbindung stehen? Aber wie passen die anderen Morde dazu? Alle übrigen Opfer waren weiblich. Während die ersten beiden Frauen innerhalb weniger Jahre getötet wurden, geschah danach 20 Jahre lang nichts, bis 1984 schließlich mit Martina Thalbach die dritte Frau ermordet wurde. Alle vier Opfern haben aber eine Gemeinsamkeit: Ihnen wurde nach dem Tod ein Wolfsmal in die Stirn gebrannt.
Fortsetzung der Jan-Römer-Reihe
Mit „Der Wald der Wölfe“ liefert Linus Geschke den mittlerweile vierten Band um den Kölner Journalisten Jan Römer, der zusammen mit seiner Kollegin Stefanie Schneider, die von allen nur „Mütze“ genannt wird, unter anderem für die Rubrik Ungelöste Kriminalfälle zuständig ist. Mit Linus Geschke schreibt hier ein Autor, der sich auskennt. Er arbeitet als freier Journalist für führende deutsche Magazine und Tageszeitungen, darunter Spiegel online und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Mit seinen Reisereportagen hat der gebürtige Kölner bereits mehrere Journalistenpreise gewonnen. Erst im Januar veröffentlichte der Autor seinen ersten Thriller „Tannenstein“ bei dtv premium. Während Geschke in den letzten Jahren als Geheimtipp gehandelt wurde, hat er sich mittlerweile als feste Größe der deutschen Krimi-Landschaft etabliert.
Am 22. Oktober 2019 begannen die Dreharbeiten zur Sat.1-Verfilmung von „Das Lied der toten Mädchen“, dem dritten Band der Jan-Römer-Reihe.
Gute Einblick in die Tätigkeit eines Journalisten
Die besondere Qualität der Kriminalromane von Linus Geschke liegt darin, dass der Autor dem Leser einen authentischen Blick auf die Arbeit eines Journalisten gibt. Man merkt, dass Geschke selber Journalist ist. Jan Römer ist kein kriminalistisches Superhirn, sondern er nähert sich den Fällen durch gute Recherchearbeit, ein feines Gespür für seine Mitmenschen und mit der nötigen Hartnäckigkeit in der Zusammenarbeit mit der Polizei.
Vor allem aber wirkt er durch seine richtige Einschätzung von Situationen sehr wirklichkeitsnah. Als er diesmal bei seinen Recherchen erkennen muss, dass er sich zusammen mit seinem Kumpel Arslan, dessen Freundin Lena und seiner Kollegin Mütze in große Gefahr begibt, drängt er die anderen dazu, den Fall ruhen zu lassen und nach Köln zurückzukehren.
Als diese aber – aus Starrsinn – zurückbleiben wollen, macht sich Römer zunächst alleine auf den Weg nach Köln, da er um sein Leben fürchtet und bei seiner Arbeit kein unkalkulierbares Risiko eingehen möchte. Dieses Verhalten ist wohltuend natürlich. Dass er später dennoch zurückkehrt, wirkt dabei keineswegs inkonsequent und unpassend, da das weniger mit seinen Prinzipien als mit seiner besonderen Beziehung zu seiner Kollegin Stefanie zu tun hat.
Gelungene Figurendarstellung
Wie bereits bei den anderen Bänden der Reihe lebt die Handlung vor allem von den beiden Hauptfiguren. Während der Boxer Arslan, ein enger Freund Jans, doch eher plump und konträr gezeichnet wird, ergänzen sich Jan und Mütze sehr gut. Während Römer ein zurückhaltender, nüchterner, irgendwie distanziert wirkender Charakter ist, der auch Grenzen überschreitet, sich aber auch immer der Folgen bewusst ist und dann auch ein schlechtes Gewissen entwickeln kann, ist seine Kollegin Stefanie eher eine Abenteurerin. Sie besitzt einen großen Gerechtigkeitssinn gepaart mit einem unglaublichen Ehrgeiz. Vor allem aber will sie sich – auch gegenüber den Männern – beweisen. Der Grund hierfür ist in ihrer Vergangenheit zu suchen. Als Mädchen wurde sie Zeugin einer familiären Tragödie, was sie als junge Frau zu einer Gewalttat veranlasste. Obwohl sie sich nach außen als taffe, starke Frau darstellt, ist sie eigentlich ein empfindsamer Charakter.
Komplexer Hintergrund der Mordserie
Die eigentliche Story um Jan Römer und seine Kollegin Stefanie ist stimmig und glaubwürdig. Wenn aber mehr und mehr die Hintergründe der vier Morde deutlich werden, schwächelt der ansonsten gute Kriminalroman doch stärker. Hier wirken die Taten der Vergangenheit zu sehr konstruiert. Dass die Morde nicht von einem Täter begannen werden konnten, wird auch aus zeitlichen Gründen schnell deutlich. Die Umstände der einzelnen Morde, welche sich in der Zeit von 1957 bis heute ereignet haben, sind zwar nicht abwegig, dennoch gibt es Unstimmigkeiten, was vor allem das Motiv der Taten betrifft.
Der eiskalte Killer, der von seiner Kindheit und Jugend stark geprägt wurde, tötet sein letztes Opfer aus ganz profanen Gründen, die nicht so recht zu der Darstellung der Ereignisse in der Vergangenheit passen. Auch wenn das Motiv durchaus nachvollziehbar ist, wirkt es insgesamt unpassend. Während die ersten beiden Opfer, bei denen es sich um illegale Einwanderinnen aus Polen oder der Tschechoslowakei gehandelt haben soll, war Maria Thalbach eine Einheimische aus Frauenwald. Weil schnell deutlich wird, dass es unterschiedliche Gründe für die Morde gegeben haben muss, wirken die Hintergründe eher verwirrend als passend. Hier hat der Autor etwas zu viel gewollt, darunter leidet auch der Spannungsbogen.
Die dunkle Zeit der DDR
Alles in allem liefert Linus Geschke wieder einen gut recherchierten Kriminalroman, der den Bogen spannt vom Beginn der DDR bis in die Gegenwart. Hier wirkt die Darstellung authentisch, insbesondere bei der Frage, warum die Polizei damals die ersten drei Morde eher halbherzig verfolgte. In der Blütezeit der DDR gab es offiziell keine Gewaltverbrechen oder gar Serienmörder. Das waren lediglich Auswüchse einer verkommenen westlichen Konsumgesellschaft, die es im funktionierenden Sozialismus gar nicht geben konnte. Daher wurden solche Morde einfach geheim gehalten. Der Autor führt den Leser an verschiedene Orte der DDR-Vergangenheit rund um Frauenwald und verbindet diese zu einer durchaus interessanten Suche nach dem Täter.
Fazit:
Linus Geschke überzeugt erneut mit einem gut recherchierten Roman. Römer und Schneider sind ein interessantes Ermittlerpaar, auch weil sie in ihrem Auftreten als Journalisten authentisch wirken. Dennoch reicht der vierte Teil der Jan-Römer-Reihe bei weitem nicht an seinen Vorgänger „Das Lied der toten Mädchen“ heran. Das liegt vor allem an der zu komplexen und auch verwirrenden Motivsuche. Das trübt das Lesevergnügen, weil es lange dauert, bis die Handlung Fahrt aufnimmt und Spannung aufkommt, die dann aber in einem fulminanten Schlussteil endet.
Linus Geschke, Ullstein
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