Das Geschenk
- Droemer
- Erschienen: Oktober 2019
- 14
Ein nicht enden wollender Alptraum
Milan Berg kann sich grundsätzlich nicht beschweren: Er kommt in seinem Kellner-Job gut zurecht, die Gäste lieben ihn, er ist in der Position Job und Privatleben zu verbinden, ist erfolgreich und witzig. Aber nicht einmal seine Freundin Andra ahnt, wie viel Kraft in das kostet, den Milan hat ein Geheimnis: Er ist Analphabet - und jeder Tag ist für ihn ein Balanceakt, soll doch keiner etwas von seinem Handicap ahnen.
Jedes Ereignis kann aber dieses fragile Gerüst ins Einstürzen bringen und so hat Milan ein großes Problem, als eines Tages ein verzweifelt wirkendes Mädchen im Fond eines Wagens einen Zettel ans das Autofenster presst, der möglicherweise einen verzweifelten Hilferuf aussendet. Mit diesem Hilferuf startet aber eine wahnwitzige Jagd und ein nicht enden wollender Alptraum. Dabei soll nicht vergessen werden, dass menschliche Alpträume gut und gerne die Grenzen der Logik überwinden.
Fitzeks gewohnt rasante Schreibweise zieht den Leser blitzschnell in die Geschichte
Die limitierte Sonderausgabe von „Das Geschenk“ besticht als allererstes durch seine schöne Aufmachung, die mit roter Verpackung und Schleife tatsächlich an ein Geschenk erinnert. Unklar ist aber dann erst einmal, worin dieses Geschenk besteht, denn der Leser wird zwar mit Fitzeks gewohnt rasanter Schreibweise blitzschnell in die Geschichte herein gezogen, aber ein Geschenk ist erstmal nicht zu finden. Man erfährt erst einmal so einiges über Milan Bergs Leben und über seine die kleinen Gaunereien, die sich aber nun blitzschnell in ein großes Drama um die Rettungsaktion des Kindes auf dem Autorücksitz entspinnen.
Sebastian Fitzek gelingt es mit großem Tempo, eine immense Spannung aufzubauen, die während der Lektüre tatsächlich sämtliche Fragen nach Logik und Wahrscheinlichkeit nach hinten zu drängen vermag. Dennoch bleibt auch beim Lesen ein eigenartiges Gefühl, so wie es sich auch bei zu phantastischen Träumen anfühlt: Ich weiß, dass ich grundsätzlich nicht fliegen kann – aber wenn es denn hilft, dann akzeptiere ich es. Unglücklicherweise wird aber die Zahl der Leser, die das Buch ohne Pause und in einem Rutsch lesen, relativ gering sein, und sowie diese rasante Fahrt einmal unterbrochen wird und das Gehirn nicht ständig mit neuen Informationen bedrängt wird, stellen sich diverse Fragen.
So zum Beispiel die, wie wahrscheinlich es ist, dass eine ausgewählte Person, die an einem Wintertag mit dem Fahrrad unterwegs ist, so genau in ein Auto hereinspäht, um einerseits eine kurz erkennbare Nachricht zu entziffern, und dann auch noch so genau hinschaut, um die mögliche Verzweiflung der Autorin zu erkennen. Unklar ist auch, wie die Kollateral-Opfer, von denen es auch einige gibt, offensichtlich schnell und wirksam aus dem Blickwinkel der Öffentlichkeit gezogen werden, denn sie tauchen auf, werden ermordet und verschwinden wieder.
Träume entwickeln ihre eigene Logik - und die muss nicht realistisch sein
Unklar ist auch, welche Intention die Übeltäterinnen und Übeltäter überhaupt bei ihren Taten antrieb, wie die Verbrechen in ihrer Vielzahl überhaupt gelingen konnten, und warum ein Elektrobohrer für die Amputation eines Fingers herhalten muss, wenn bei einem mehrfach erwähnten gut sortierten Werkzeugkoffer die Geschichte mit einem altmodischen Seitenschneider vermutlich in einem Bruchteil der Zeit erledigt worden wäre. Aber das muss nicht überraschen, denn Träume entwickeln ihre eigene Logik und die muss nicht realistisch sein.
Fitzek schafft es auch immer wieder, die wildesten Behauptungen so als Fakten zu präsentieren, dass der Leser fast geneigt ist, sie zu glauben. Schaltet sich das gehetzte Hirn wieder ein, so blitzt zwar immer wieder der Gedanke „Blödsinn“ auf, aber was so entschieden präsentiert wird, das will auch niemand so einfach als solchen abtun.
Neben diesen temporeichen Entwicklungen gibt es auch durchweg komische Szenen im Buch. Ungewollt komisch erscheint dagegen die Höhe der finanziellen Forderung, die die beschriebenen Bösewichte irgendwann dann doch stellen. Sie fordern eine solche eigenartige, krumme Summe, dass sich der Leser fast an den alten Comedy-Film „Otto, der Film“ erinnert fühlt, wo der damalige Held der Geschichte die Summe von 9.876,50 DM aufbringen musste und zappelnd dieser Summer hinterher rannte.
Fazit:
“Das Geschenk“ setzt in erster Linie auf Tempo und auf eine atemlose Hetzjagd mit schnell wechselnden Beteiligten, aber mit teils so waghalsigen und realtitätsfernen Aspekten, dass hier auf schönem Teller und mit edlem Besteck dann doch nur Fastfood serviert wird. Auch wenn das sicherlich seine Berechtigung hat. Wer aber neben Tempo und Dynamik auch im Hinblick auf Logik und Wahrscheinlichkeit Ansprüche an ein gelungenes Werk stellt, der sollte sich dieses Geschenk vielleicht doch noch einmal gut durch den Kopf gehen lassen.
Sebastian Fitzek, Droemer
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