Der Keller
- Heyne
- Erschienen: September 2019
- 4
Willkommen im Dilettanten-Stadl
Es gibt Dinge, die sind nicht so, wie sie scheinen. Es gibt Menschen, die laden dich zu einem Abendessen ein, weil sie sich gerne mit dir unterhalten, andere tun es, weil ihnen langweilig ist, andere deswegen, weil sie dich ermorden wollen. Jeder hat seine verschiedenen Motive und es ist die Kunst, klug zu erkennen, wer was im Schilde führt. Verschiedenen Frauen in Sabine Thieslers neuem Buch ist das nicht gelungen.
Sie tappen regelrecht in die Venus-Fliegenfalle, die ihre Opfer nicht wie ihr biologischer Vetter mit strengen Gerüchen, sondern mit dem Anstrich von Bildung, Reichtum und einem schönen Anwesen anlockt. Grundsätzlich wäre das die Grundlage für ein spannendes – wenn auch sicherlich nicht unerhört neues – Buch. Leider gelingt es der Autorin hier nicht, diese Spannung tatsächlich am Leben zu erhalten und weiter zu entwickeln.
Lustlose und dilletantische Polizisten verheddern sich im Zuständigkeitsgerangel
Möglicherweise liegt das daran, dass dieser Krimi mit einer Buchstärke von fast 500 Seiten nicht einmal die Hälfte seines Umfangs erreichen würde, wenn die ermittelnde Polizei nicht dermaßen dilettantisch ihren Job erledigen würde. Im Zuständigkeitsgerangel zwischen der unfähigen, dilettantischen italienischen Polizei und der lustlosen, dilettantischen deutschen Polizei gehen alle wichtigen Hinweise unter, wird auf Hörensagen vertraut und offenbar lieber in der Nase gebohrt, als einmal zu ermitteln.
Im Hinblick auf überflüssige Seiten ist auch fraglich, ob es bei den Kurzauftritten der verschiedenen Opfer dennoch notwendig ist, deren Lebensgeschichte zu erzählen oder Handlungsstränge um ihre Angehörigen einzurichten. Ein guter Effekt ist sicher, dass auf diese Art und Weise niemand glaubt, dass so eingeführte Personen tatsächlich alsbald abtreten, dennoch wird sehr viel Aufwand für nichts betrieben. In diesem Zusammenhang empfand ich es auch als nervig, mit welcher Hartnäckigkeit eine besondere Verwertung der verschiedenen Mordopfer angedeutet wurde. Ein subtiler Hinweis sollte ein solcher bleiben. Wird er immer und immer wieder eingebaut, winkt alsbald dann doch der viel gescholtene Zaunpfahl.
Motive bleiben im Dunkeln
Absolut unwahrscheinlich erscheinen dagegen die Motive der handelnden Bösewichte. Der hauptsächliche Motor der Taten liefert keinen Grund für seine Abartigkeit. Eine körperliche Einschränkung stellt keinen ernsthaften Grund dar, sonst müsste sich die Allgemeinheit vor jedem Behinderten fürchten. Denkbar wäre die geschilderte Perversion im Hinblick auf einen anderen Beteiligten, aber dennoch finden sich auch hier keine explizit dargestellten Schlüsselszenen, die eine solche Entwicklung rechtfertigen könnten.
Ärgerlich sind generell die langatmigen und in weiten Teilen überflüssigen Lebensgeschichten verschiedener Akteure. Wenn ein Autor vom Format eines Thomas Harris den Lebenslauf seines vieldiskutierten und weltberühmten Helden Hannibal genauer vorstellt, ist das sicherlich die eine Sache, hier aber eine vollkommen andere, wenn Thiesler den Werdegang ihrer blassen Protagonisten beschreibt.
Hier fragte ich mich auch gelegentlich, ob die Autorin tatsächlich der Meinung ist, dass eine alleinerziehende Frau in Deutschland schon fast gezwungen ist, nebenher anzuschaffen und ob das deutsche „soziale Netz“ tatsächlich so wenig bekannt ist. Ab und an fühlte ich mich schon fast an die literarische Welt eines Charles Dickens erinnert, die in vielen Punkten aber mit der Gegenwart nichts mehr zu tun hat. Und das ist gut so.
Fazit:
Insgesamt kann Thieslers neues Werk leider nicht den literarischen Keller verlassen. Ich könnte es auch mit den Worten der Autorin beschreiben, die oft und gerne zum Ausdruck bringt, dass sie offensichtlich des Italienischen mächtig ist - und das wäre dann ein entschlossenes „Non mi piace!“.
Sabine Thiesler, Heyne
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