In den besten Familien
- Klett-Cotta
- Erschienen: Februar 2019
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Originalausgabe erschienen unter dem Titel „In the Best Families“
- New York : Viking Press 1950. 246 S.
- Gütersloh - Signum Verlag 1963 [unter dem Titel „Sogar in den besten Familien“], Übersetzt von N. N.. [keine ISBN], 218 S.
- Stuttgart : Klett-Cotta Verlag 2019. Übersetzt von Werner Löcher-Lawrence. ISBN-13: 978-3-608-96386-1. 320 S.
- Stuttgart : Klett-Cotta Verlag 2019. Übersetzt von Werner Löcher-Lawrence. ISBN-13: 978-3-608-11557-4. 3,69 MB (ePUB)
Nero Wolfe - slim/undercover!
Sarah Rackman ist eher hässlich, ihr Vermögen dagegen ansehnlich, weshalb sie sich vor einiger Zeit verheiraten konnte. Gatte Barry hat es im Leben nicht weit gebracht und wird von der Gattin finanziell aus- und knappgehalten. Um Geld bittet er Sarah inzwischen nicht mehr, lebt aber trotzdem auf großem Fuß. Wie ist das möglich? Sarah ist so beunruhigt, dass sie den alles andere als honorargünstigen Nero Wolfe engagiert.
Kurz darauf wird dem Detektiv eine Tränengasbombe ins Haus geschickt. Ein alter Feind gibt sich als Absender zu erkennen. Schon zweimal hat Wolfe die Klingen mit Arnold Zeck gekreuzt. Der mächtige Gangsterboss ist praktisch unangreifbar, Politiker, Juristen und Polizisten, aber auch Schläger und Mörder tanzen nach seiner Pfeife. Zeck will sich Barry Rackmans bedienen und Wolfe von seinen ‚Geschäften‘ fernhalten.
Eine direkte Konfrontation wäre sogar für Wolfe lebensgefährlich, ihr Ausgang ungewiss. Einknicken will der Detektiv nicht. Er schickt seinen Assistenten Archie Goodwin zum Landsitz der Rackmans, wo Alvin Leeds, Sarahs Cousin und Vertrauter, ihn unter einem Vorwand einführt. Archie soll die Gäste und vor allem Barry aushorchen. Schon in der nächsten Nacht wird Sarah ermordet - und Wolfe taucht unter!
Goodwin ahnt zwar, dass sein Chef undercover gegen Zeck vorzugehen gedenkt. Das tröstet ihn wenig, da sich die wütenden Behörden, die Wolfe unbedingt befragen wollen, an ihn halten. Niemand glaubt Goodwin, der beteuert, Wolfes Aufenthaltsort nicht zu kennen. Kurz wandert er deshalb sogar ins Gefängnis. Goodwin hat genug. Er eröffnet eine eigene Detektei und ist erfolgreich. Doch einige Monate später muss er feststellen, dass er weder mit den Rackmans noch mit Zeck oder Wolfe fertig ist …
Arnold Zeck zum dritten und letzten Mal
Dass die Nero-Wolfe-Romane hierzulande wieder bzw. erstmals ungekürzt und neu übersetzt erscheinen, ist ein Glücksfall, den die Freunde des klassischen Krimis gar nicht hoch genug einschätzen können bzw. sollten. Jeder Titel ist fest gebunden und trotzdem kostengünstig, weshalb - selten genug - tatsächlich zutrifft, was auf der Rückseite des Einbands zu lesen ist: Die deutschen Leser haben die Chance, „den Autor in seiner ganzen literarischen Qualität zu entdecken“.
„In den besten Familien“, der 13. Band der Serie, bestätigt dies und stellt sogar einen Höhepunkt dar. Dabei gibt es ein grundsätzliches Problem: Uns werden die Wolfe-Krimis nicht chronologisch präsentiert, sondern nach einem Prinzip, dass sich jedenfalls diesem Rezensenten nicht erschließt.
Normalerweise ist das nicht wichtig, obwohl es durchaus eine Chronologie gibt, die sich durch die Serie zieht. Dieses Mal wirft es ein Problem auf: Wenn Nero Wolfe und Archie Goodwin gegen Arnold Zeck zu Felde ziehen, fehlt der deutschen Leserschaft die keineswegs unwichtige Vorgeschichte. „In den besten Familien“ - „In the Best Families“ - stellt quasi Höhepunkt und Finale einer Wolfe-gegen-Zeck-Trilogie dar, die 1948 mit „And Be a Villain“/„More Deaths than One“ begonnen und 1949 mit „The Second Confession“ fortgesetzt wurde. Was den Konflikt beginnen und wieder aufflackern ließ, muss man sich aus den Andeutungen zusammenreimen, die Stout in die Handlung einfließen lässt. Glücklicherweise funktioniert das, denn Stout war ein Profi, der selbst berücksichtigte, dass Leser zuerst bzw. nur diesen Band lesen wollten.
Die Kunst der Variation
1950 war Rex Stout auf der Höhe seiner Krimi-Kunst. Man kann es buchstäblich nachlesen, denn insgesamt und erst recht für den 13. Band einer Serie bietet „In den besten Familien“ überdurchschnittliche Unterhaltung. Kritiker warfen Stout oft schwache Plots vor, die manchmal endeten, ohne aufgeworfene Fragen zufriedenstellend bzw. über überhaupt zu beantworten. Auch dieses Mal lassen sich Passagen feststellen, die gestrichen werden könnten, ohne die Primärstory zu beeinträchtigen; es sind jedoch wenige, und sie werden von einer doppelzügigen (und doppeldeutigen) Ereigniskette mehr als ausgeglichen.
Stout beginnt klassisch, d. h. mit einem rätselhaften Fall, den Wolfe klären soll. Der Darstellung folgen erste Ermittlungen, die wie immer von Archie Goodwin übernommen werden. Es kommt zu einem/zum ersten Mord, die Handlung scheint erwartungsgemäß umzuschwenken zur listenreichen Überführung des oder der Schuldigen, der oder die sich in einer überschaubaren Schar potenziell Verdächtiger verbirgt. Nun wirft Stout das bewährte Konzept abrupt und (angenehm) überraschend über den Haufen: Plötzlich kämpft Wolfe gegen einen modernen Professor Moriarty, der ihm intellektuell gewachsen, aber in der Durchsetzung seines (bösen) Willens überlegen ist, da Gesetze für Arnold Zeck nicht gelten. Das ist bei nüchterner Betrachtung eher dramatisch als plausibel, doch Stout umschifft diese Klippe souverän, zumal er als Schriftsteller der Unterhaltung, nicht aber der Realität nicht verpflichtet ist.
Stout verwandelt die Geschichte in einen (sanften) Thriller. Wolfe verlässt nachdrücklich seine Komfortzone und greift zu drastischen Mitteln, um dem Feind das Handwerk zu legen. Was er plant, bleibt lange nicht nur Goodwin, sondern auch den Lesern verborgen. Wie üblich ist Wolfes Plan kompliziert und zeitaufwändig; das muss er auch deshalb sein, um im großen Finale, wenn alle Karten auf den Tisch gelegt werden, mit faszinierenden Details aufwarten zu können.
Bösewicht mit Haifischaugen
Das organisierte Verbrechen saß nach dem Zweiten Weltkrieg fester im Sattel denn je. Die Generation von Gangstern, die Al Capone folgte, hatte begriffen, dass man die öffentliche Aufmerksamkeit meiden und möglichst unauffällig agieren musste. Wie die Spinne im Netz zieht Arnold Zeck als Repräsentant dieser ‚Geschäftsmänner‘ die Fäden, wobei die altbekannte Brutalität als Zuchtmittel keineswegs abgeschafft ist.
Stout investiert viel Mühe in das Konzept eines Verbrechers, der sich im System verankert hat. Damit bereitet er vor, dass Wolfe und Goodwin faktisch, aber nicht moralisch selbst ein Verbrechen begehen, um Zeck auszuschalten. Das Prozedere ist gefährlich und spannend, wie es sich für einen Kriminalroman gehört. Stout bleibt näher am Geschehen als sonst; für Abschweifungen bleibt wenig Raum, was aber die üblichen ‚witzige‘ Dreistigkeit Goodwinscher Prägung nicht schmälert.
Die Aufklärung jenes Verbrechens, das die Geschehnisse in Gang brachte, gerät keineswegs in Vergessenheit. Als Zeck endlich ausgetrickst ist, ruft Wolfe zur üblichen Runde in sein Büro. Dort sorgt er für Aufklärung - und selbstverständlich ist der allerseits verdächtigte Mörder von Sarah Rackham (zumindest an dieser Übeltat) unschuldig. Wie Wolfe die ‚tatsächlichen‘ Ereignisse aufdröselt, ist ebenso einfallsreich wie unterhaltsam - ein Urteil, das die Qualität des gesamten Romans unterstreicht, dem hoffentlich weitere Neuübersetzungen folgen werden.
Fazit:
Der 13. Roman der vier Jahrzehnte erfolgreich laufenden Nero-Wolfe-Serie ist einer der besten. Als klassischer Whodunit einsetzend, geht die Story in einen Gangster-Thriller über, in dessen Verlauf der ‚Held‘ zum Vertreter einer selbstdefinierten, keineswegs gesetzeskonformen ‚Gerechtigkeit‘ mutiert: Grimmiger als sonst geht es zur kriminellen Sache - es funktioniert reibungslos und spannend über die gesamte Romandistanz.
Rex Stout, Klett-Cotta
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