Cari Mora

  • Heyne
  • Erschienen: Mai 2019
  • 9
Cari Mora
Cari Mora
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Almut Oetjen
86°1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2019

Der Kupfergeschmack des Krieges

Die Kolumbianerin Cari Mora ist Hüterin einer Villa an der Biscayne Bay in Miami Beach. Die Villa gehörte dem Drogenbaron Pablo Escobar, nach dessen Tod diversen Playboys und Immobilien-Spekulanten, und wird nun an Filmcrews vermietet, ein Gruselhaus mit Film-Ungeheuern, Sex-Möbeln und einem elektrischen Stuhl aus Sing Sing.

Nachts schläft Cari in der Villa und kümmert sich dort um einen sprechenden Kakadu, tagsüber hat sie mehrere Jobs, so in der Pelican Harbor Seabird Station. Sie lebt seit neun Jahren mit einer Aufenthaltsgestattung in den Vereinigten Staaten und will Tierärztin werden.

Versteck für einen Haufen Gold

Nur die vorbeischippernden Touristenboote stören ihren Frieden. Bis im kolumbianischen Barranquilla Jesús Villareal, Escobars alter Weggefährte, im Sterben liegt und sein Wissen an Hans-Peter Schneider verkauft, um seine angehende Witwe abzusichern. 1989 hatte er per Schiff 600 Kilo Gold zur Villa geschafft.

Schneider taucht mit seiner „Filmcrew“, einer Söldnertruppe von Knastbrüdern, und schwerem Gerät in der Villa auf. Auch Cari Mora gerät in sein Visier. Denn Schneider ist ein perverser Serienkiller, sein Geschäft der Handel mit Frauen und ihren Organen, mit denen er die Gewaltfantasien einer steinreichen männlichen Klientel bedient.

Instinktiv erkennt Cari die Gefahr, anders als Schneider, der keine Ahnung von ihrer Vergangenheit hat und sie für leichte Beute hält. Unter der vom Meer freigespülten Terrasse der Villa entdecken sie einen schimmernden Würfel, größer als ein Kühlschrank und gesichert mit fünfzehn Kilo Semtex.

Weil Schneider die Restrate schuldig bleibt, verkauft Jesús seine Informationen an einen zweiten Interessenten, den dubiosen Kolumbianer Don Ernesto, der unter anderem die Diebesschule Ten Bells in Barraquilla betreibt. Don Ernesto aktiviert seine Diebesbande in Miami, die Kontakt zu Cari aufnimmt.

Der neue psychopathische Serienkiller ist nur abstoßend und banal

Thomas Harris, geboren 1940 in Mississippi, begann als Gerichtsreporter in den USA und Mexiko, bevor er zu Associated Press ging. 1975 erschien sein erster Roman, „Schwarzer Sonntag“, gefolgt von „Roter Drache“ (1981), in dem seine Kultfigur, Serienkiller Hannibal Lecter, erstmals auftritt, noch als Nebenfigur. Die Lecter-Reihe wird fortgesetzt mit „Das Schweigen der Lämmer“ (1988), „Hannibal“ (1999) und der Vorgeschichte „Hannibal Rising“ (2008).

„Cari Mora“ ist Harris‘ sechster Roman und handelt ebenfalls von einem Serienkiller. Der deutschstämmige Hans-Peter Schneider aus Paraguay ist ein literarischer Cousin von Dr. Lecter, aber er ist nicht wie dieser Ästhet und Dandy, Intellektueller und Bestie mit abstoßenden Neigungen.

Harris’ neue Kreation eines psychopathischen Serienkillers ist nur abstoßend und banal, erzeugt keinerlei Faszination für das Böse, nur Angst und Ekel. Schneider ist ein reptilienartiges Wesen, völlig haarlos, blass, groß, liebt die Wärme, imitiert Stimmen. Er verkauft Frauen, lässt sie auf Wunsch tätowieren oder führt mit seinen Obsidianskalpellen Amputationen an ihnen durch, auf die er stolz ist.

Wenn sie ein geschäftlicher Fehlschlag sind, erntet er ihre Organe, löst sie kohlendioxidfrei in seiner Resomationsanlage für Flüssigkeitsbestattungen auf und kippt die Reste ohne schädliche Auswirkungen auf das Grundwasser ins Klo. Auch auf diese umweltfreundliche Anlage ist er stolz.

Wie in den Lecter-Romanen lotet Harris die Sicht des Mannes auf die Welt in einer Weise aus, die spektakulär grauenerregend und beißend amüsant ist.

Hungrige Krokodile, hilflose Pelikane, eine wehrhafte Kobra

Eine zentrale Rolle spielt die Natur. Harris verwendet häufig Metaphern aus dem Tierreich, beschreibt menschliche Beziehungen als Räuber-Beute-Verhältnisse, die er mit dem Verhalten der hungrigen Krokodile und der hilflosen Pelikane in der Biscayne Bay assoziiert.

Schneider ist das Salzwasserkrokodil. Der Kinderschänder ist ein Wolf, der sich an sein Opfer heranschleicht. Die kleine Cari ist die Biene, die sich für ein paar Streicheleinheiten zu Tode arbeiten würde.

Wenn Schneider die Annäherung an einen modernen Dr. Lecter ist, dann ist Cari vielleicht die Neuerfindung von Clarice Starling. Cari(dad) Mora ist jung, schön und intelligent, mit Narben wie gewundene Schlangen am Arm. Physisch und psychisch beschädigt nach Jahren als zwangsrekrutierte Kindersoldatin der FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia), kennt sie sich mit Gehirnwäschern und Monstern aus. Sie ist geflohen, als sie erkannt hat, dass die FARC genauso wie die Regierungsarmee ganze Dörfer auslöscht.

Sie hat gelernt sich zu wehren, weiß wie man ein AK-47 lädt und entsichert oder Kabelbinder öffnet, wie man einen Pelikan am Hals operiert oder einen Dolch durch die weiche Stelle unter dem Kinn eines Menschen sticht. Cari, die bei der kranken Tante Jasmin, ihrer Cousine Julieta und deren Baby wohnt, träumt davon, Tierärztin zu werden und in einem Häuschen mit Garten am Snake Creek Canal zu leben. Sie ist die wehrhafte Kobra, deren Gift tödlich wirkt, aber auch Leben retten kann.

Ihre Stärke und Verletzlichkeit werden betont durch ihre Handlungen und Gedanken an eine friedliche Welt und ihre Nähe zur Natur. Während für Schneider das Weinen einer Frau Musik ist und ihm beim Einschlafen hilft, er von Tränen und Blut anderer lebt, kümmert sich Cari um die Umwelt, um sich von dem sie umgebenden Wahnsinn zu befreien.

Wie diese beiden Perspektiven kollidieren und sich auflösen, ist konventioneller als das Ende von Hannibal, jedoch nicht ohne Ironie und passend zu Harris’ Sicht, dass die Grenze zwischen Gut und Böse oft verschwimmt.

Harris bietet eine ganze Reihe interessanter Nebenfiguren auf

Es gibt sehr viele interessante Nebenfiguren, die kaleidoskopartig auftreten, wie der schlangenartige Immobilienmakler Felix, Detective Sergeant Terry Robles, der Winkeladvokat Diego Riva, der Immobilienmakler Felix, der Beißer und Menschenfresser Mr. Imran mit den rostigen Biberzähnen oder Ex-Knacki Bobby Joe mit den Schildkrötenaugen.

Harris erzählt filmisch, segmentiert die knapp 270 Seiten in schnell wechselndem Rhythmus in 43 Kapitel (die restlichen 60 Seiten der bei Heyne erschienenen deutschen Übersetzung sind eine Leseprobe von „Das Schweigen der Lämmer“). Für die Rückblicke auf Cari Moras schreckliche Vergangenheit verwendet Harris das Pendant zur japanischen Überblendung und macht deutlich, dass auch zwischen ihrem früheren und jetzigen Leben die Grenzen unklar sind, es wichtige Parallelen gibt.

Die Geschichte über die mörderische Suche nach dem Gold und der Jagd eines Serienkillers auf eine Frau ist konventionell, aber Harris erzählt sie mit viel Sinn für Details und das Groteske. Wir erfahren, dass Krokodile nicht kauen können und ihre Beute entweder in einem Stück verschlingen oder verrotten lassen, um das Fleisch stückweise herausreißen; warum man in Kolumbien eingedoste Escargot besser nicht essen sollte; oder was man bei den FARC isst.

Fazit:

„Cari Mora“ ist ein spannender und düsterer Thriller über einen Serienkiller, der seinen niedersten Instinkten folgt, und eine Frau, die es mit ihm aufnimmt. Eine Horrorshow menschlicher Abgründe, voll Ekel und Schrecken, einfallsreich und inspiriert, bild- und wortgewaltig. 

Cari Mora

Thomas Harris, Heyne

Cari Mora

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