Blind

  • Blanvalet
  • Erschienen: März 2019
  • 3

ORIGINALAUSGABE Paperback, Klappenbroschur, 448 Seiten, 13,5 x 21,5 cm ISBN: 978-3-7645-0645-2

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Thomas Gisbertz
78°1001

Krimi-Couch Rezension vonFeb 2019

Spannender Thriller mit interessanter Idee

Nathaniel ist blind. Dennoch ist er Zeuge eines Verbrechens. Zumindest glaubt er das. Als er per Video-App mit einer Unbekannten verbunden ist, die ihm bei der Auswahl des richtigen Hemdes helfen soll, hört er plötzlich einen schrecklichen Schrei, gefolgt von einem Rumpeln und einem Schleifen. Dann bricht die Verbindung ab. Nathaniel ist sich sicher, dass der Frau etwas angetan wurde.

Als er sich an die Polizei wendet, will ihm niemand Glauben schenken, denn es gibt keinerlei Beweise oder Spuren. In seiner Not sucht er Kontakt zu Milla Nova, einer befreundeten TV-Reporterin. Gemeinsam machen sich die beiden auf die Suche nach der Wahrheit. Um der unbekannten Frau zu helfen, begibt Nathaniel sich selber in Gefahr.

Verzweifelte Suche nach Unbekannter

Trotz seines Handicaps lässt er nichts ungenutzt, um herauszufinden, was mit der Unbekannten am Smartphone geschehen ist. Über die anonyme App „Be my eyes“ hatten die beiden Kontakt. Die Idee dahinter ist einfach: Es sind Kleinigkeiten im Alltag (wie die Auswahl eines Hemdes), die Blinde vor immense Probleme stellen - und bei denen ihnen Sehende per Video-App helfen können - und genau dies wollte die Unbekannte in dem Moment, als es nach Nathaniels Überzeugung zum Verbrechen kam.

Obwohl für ihn feststeht, dass man der Frau etwas angetan hat, glaubt ihm zunächst niemand. Auch die Journalistin Milla, die er vor einiger Zeit kennengelernt hat, hegt zunächst Zweifel. Dennoch schaltet sie ihren Freund, den Berner Polizisten Sandro Bandini, ein.
Mit Hilfe von Nathaniels Nachforschungen finden sie heraus, dass es sich bei der Unbekannten um Carole Stein handelt. Als Sandro an der Wohnung der Frau klingelt, öffnet diese vollkommen unversehrt die Tür. Sie kann sich nicht nur ausweisen, sondern stellt auch klar, dass sie keineswegs angegriffen wurde. Kann sich Nathaniel derart irren? Während für Sandro der Fall abgeschlossen ist, weiß Nathaniel genau, dass er sich nicht verhört hat - und begibt sich mit seinen Recherchen in größte Gefahr.

Schweizer Autorin mit vielfältiger Vergangenheit

Die Biografie von Christine Brand ist fast so spannend wie ihr aktueller Kriminalroman. Geboren und aufgewachsen im Schweizer Emmental arbeitete sie zunächst bis Ende 2017 als Redakteurin bei der „Neuen Züricher Zeitung“. Des Weiteren war sie als Reporterin beim Schweizer Fernsehen tätig, bevor sie bei der Berner Zeitung „Der Bund“ Gerichtsreporterin wurde. Im Gerichtssaal sowie durch ihre Recherchen und Reportagen über die Polizeiarbeit erhielt sie Einblick in die Welt der Justiz und der Kriminologie.

Noch heute arbeitet sie als freie Journalistin. Christine Brand hat fünf Kriminalromane, ein Buch mit wahren Kriminalgeschichten und einen Märchenband publiziert. Zudem erschienen zahlreiche ihrer Kurzgeschichten in Anthologien. Sie ist Mitglied beim Autorenverband der Schweiz (AdS) und beim Syndikat, dem Autorenverband deutschsprachiger Kriminalliteratur.

Vielschichtige Handlung

Neben den Ermittlungen zum vermeintlichen Verschwinden von Carole Stein ist Milla gleichzeitig auf der Spur eines großen HIV-Skandals. Hierfür soll der Musiklehrer Claudio Rudelli verantwortlich sein, der als eine Art Guru seine Schüler zur Lösung musikalischer Blockaden mit Akupunktur behandelt. Hierbei soll er sie absichtlich mit dem HIV- und zusätzlich dem Hepatitis-Virus angesteckt haben. Auch Sandro ermittelt mit Hochdruck in diesem Fall.
Darüber hinaus geht es im vorliegenden Roman um das Leben Nathaniels und ein Trauma aus seiner Kindheit. Zu Beginn der Handlung erfährt man, dass sein Vater, der unter Schizophrenie litt, die Familie getötet hat. Allein Nathaniel überlebte schwerverletzt und ist seitdem blind. Dieses Erlebnis hat er auch nach fast dreißig Jahren noch nicht verarbeitet und es quält ihn besonders nachts in seinen Träumen.

Gelungene Figurenkonstellation

Abgesehen von der überzeugenden Handlung ist besonders die Darstellung der einzelnen Figuren und ihre Beziehung untereinander gelungen. Neben der sehr einfühlsamen Schilderung Nathaniels ist hierbei vor allem die Beziehung zwischen Milla, die in Zürich für das Schweizer Fernsehen arbeitet, und ihrem Lebensgefährten Sandro, der bei der Berner Polizei tätig ist, interessant. Der Leser erhält somit aus zweierlei Perspektiven Einblick in den Fall - unterschiedliche Bewertungen der Ereignisse inklusive. Dass diese Konstellation auch für das Privatleben der beiden schwierig ist und es deswegen immer wieder zu Streitigkeiten kommt, ist selbstredend.

Besonders die Figur der Milla gefällt durch ihre unkonventionelle Art. Sie eckt gerne an und ist ein Sturkopf, der aber einen großen Sinn für Gerechtigkeit hat und sich für Hilfsbedürftige einsetzt. So gehen ihr Themen wie die erbärmliche Situation der Flüchtlinge in Griechenland, über die sie im Rahmen einer Dokumentation berichtet hat, persönlich sehr nahe. Im Gegensatz dazu kann sie sehr impulsiv und egoistisch sein. Dass sie damit immer wieder ihre Beziehung mit Sandro aufs Spiel setzt, ist ihr in diesen Momenten gleichgültig, auch wenn sie mit etwas Abstand ihr eigenes Verhalten bereut.

Darstellung einer besonderen Lebenssituation

Allein in der aktuellen Kriminalliteratur gibt es immer wieder blinde Ermittler, die im Mittelpunkt der Handlung stehen. Besonders Andreas Pflügers Hauptfigur Jenny Aaron („Endgültig“, „Niemals“) sowie Lukas Erlers Krimireihe um den erblindeten Ermittler Cornelius Teerjon („Auge um Auge“, „Der blinde Samurai“) haben in den letzten Jahren für Aufsehen gesorgt.

Dennoch hebt sich Christine Brands Roman und ihre Hauptfigur davon in zweierlei Sicht ab: Zum einen steht mit Nathaniel kein polizeilicher Ermittler im Mittelpunkt der Handlung, zum anderen zeichnet die Autorin einen Menschen, der trotz seiner schweren Lebenssituation und des traumatischen familiären Ereignisses weder verbittert noch übermäßig leidend auftritt. Im Gegenteil: Er meistert sein Leben auf mehr als beeindruckende Weise, tritt dabei zutiefst menschlich auf und zeigt mehr Interesse an seinen Mitmenschen als manch ein Sehender.

Fazit:

Auch wenn die Handlung insgesamt überzeugt, so ist vor allem die Ermittlungsarbeit der Polizei, insbesondere deren Vorgehen bei der Recherche zu Carole Stein, sowie bei einer Observation, nicht immer professionell genug. Sicherlich geschieht dies zum Teil aus erzählerischen Gründen und ist auch dem Spannungsaufbau geschuldet. Unabhängig davon wird der Fall des durchgedrehten Musik-Gurus etwas zu oberflächlich behandelt. Mit „Blind“ ist Christine Brand insgesamt ein überzeugender Einstieg in eine neue Reihe um die Protagonistin Milla gelungen. Sowohl die Figurendarstellung als auch der wendungsreiche Plot wissen zu überzeugen. Der Fall um den blinden Nathaniel und die selbstbewusste Milla packt den Leser ab der ersten Seite. Ein Kriminalroman, der nicht nur spannend ist, sondern auch berührt und nachdenklich stimmt.

Blind

Christine Brand, Blanvalet

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