Das Bekenntnis
- Heyne
- Erschienen: März 2019
- 6
Aus dem Amerikanischen von Kristiana Dorn-Ruhl, Bea Reiter, Imke Walsh-Araya
Originaltitel: The Reckoning Originalverlag: Doubleday
Hardcover mit Schutzumschlag, 592 Seiten, 13,5 x 21,5 cm
ISBN: 978-3-453-27213-2
Nichts ist ohne Grund
An einem kalten Oktobermorgen im Jahr 1946 fährt Plantagenbesitzer Pete Banning aus Ford County, Mississippi, mit seinem Ford Pickup in die nahe Kleinstadt Clanton. Er geht ins Büro der Methodistenkirche und tötet den Pfarrer Dexter Bell mit drei gezielten Schüssen aus seinem Armeerevolver, einem Colt Kaliber 45. Beim Verlassen der Kirche trifft er auf einen Arbeiter und befiehlt ihm, den Sheriff zu informieren.
Sheriff Nix Gridley trifft wenig später mit den beiden Deputys auf der Banning-Farm ein. Pete erwartet ihn, gibt die Tatwaffe heraus und lässt sich widerstandslos verhaften.
Die Gesetzeshüter sind geschockt und sprachlos, können nicht glauben, was geschehen ist. Ein angesehener Bürger der Gemeinde, legendärer Kriegsheld, wohlhabender Farmer und Familienvater, ermordet kaltblütig einen beliebten und hoch angesehenen Pfarrer und dreifachen Familienvater.
Dafür muss es einen Grund geben. Doch Pete Banning verweigert eine Erklärung, er habe nichts zu sagen. Diesen Satz wiederholt er vor seinen Anwälten, John und Russell Wilbanks, vor Gericht, dem Gouverneur, seiner Schwester Florry und seinen fast erwachsenen Kindern Joel und Stella.
Pete wird wegen Mordes ersten Grades angeklagt. Darauf steht die Todesstrafe. Wenn er sein Motiv nennt oder sich eine vorübergehende Unzurechnungsfähigkeit bescheinigen lässt, kommt er mit lebenslänglich davon. Das lehnt er ab, ebenso wie eine Verlegung des Prozesses oder eine Revision. Pete hat keine Angst vor dem Tod und ist gewillt, sein Geheimnis mit ins Grab zu nehmen.
Der Mord. Der Knochenacker. Der Verrat.
Der Roman besteht aus drei, sich gelegentlich inhaltlich überlappenden Teilen. Der erste Teil schildert den Mord und den Prozess. Man ahnt, dass die Tat in Zusammenhang mit Petes geliebter Frau Liza steht, über die der Leser fast nichts erfährt. Dexter Bell nennt ihren Namen in seinen letzten Worten, und es wird erwähnt, dass Pete sie in eine psychiatrische Klinik hat einweisen lassen. Bis dahin ist der Roman ein spannender und detailreicher Gerichts- und Justizthriller, mit kritischem Blick auf die Schwächen und schmutzigen Machenschaften innerhalb des Justizsystems. Ins Detail geht Grisham auch beim Thema Hinrichtung und was dabei so alles schief gehen kann. Dass die Schilderungen brutal sind, liegt in der Natur der Sache.
Geschickt lenkt der Autor die Sympathien auf Pete Banning. Obwohl der ein Mörder ist, ist der Leser bereit, dem Helden-Narrativ zu folgen und daran zu glauben, dass er einen triftigen Grund hatte, sich an Bell zu rächen.
Teil zwei, der fast so lang ist wie der erste, erzählt rückblickend, wie Pete und Liza sich 1925 im Peabody, Memphis, begegnen, sich verlieben und heiraten, die Farm übernehmen, zwei Kinder bekommen, sich durch Missernten und die Große Depression kämpfen und private Schicksalsschläge, mehrere Fehlgeburten Lizas, durchstehen.
Diese Familiensaga wird vor dem gesellschaftlichen Hintergrund einer klassenbewussten Gesellschaft entfaltet, die auch Pete und Liza unmittelbar betrifft. Es existiert eine strenge gesellschaftliche Hierarchie, eine soziale Kluft zwischen Farmern aus den Hügeln des nordöstlichen Mississippi und den reichen Pflanzern aus dem Delta.
Ausführlich werden Petes Kriegsjahre ab 1941 auf den Philippinen geschildert, die Kämpfe gegen die Japaner auf der Bataan-Halbinsel, die Kapitulation mit dem anschließenden berüchtigten Bataan-Todesmarsch, die Monate im Todescamp O’Donnell, die Fahrt auf einem Todesschiff gen Japan, der Untergang des Schiffs, die Rettung, die Jahre als Guerillakämpfer in den Bergen.
Der dritte und kürzeste Teil schildert ein weiteres Justizdrama, aufgeführt in zwei Akten. Im ersten geht es um die betrügerische Überschreibung des Banning-Besitzes, im zweiten um eine Klage gegen den Nachlass von Pete Banning wegen widerrechtlicher Tötung. Damit wollen sich die Bell-Witwe und ihr neuer Ehemann, der Jurist McLeish, den Besitz der Bannings aneignen. Jurastudent Joel Banning und die Wilbanks-Anwälte wollen das verhindern.
Überheblichkeit der Weißen trifft auf Misstrauen der Schwarzen
Vor diesem Hintergrund reiht sich Grisham in die literarische Tradition von Südstaaten-Autoren wie William Faulkner und Eudora Welty ein, die beide namentlich im Roman erwähnt werden und die Kultur der weißen Vorherrschaft thematisieren: Korruption, Selbstjustiz, Segregation, Ausbeutung, Heuchelei.
Alle Hauptfiguren sind Weiße, wobei sich die Bannings zu den guten Weißen zählen. Sie geben den schwarzen Kindern Schulunterricht, behandeln ihre Feldarbeiter und das Hauspersonal anständig und arbeiten mindestens ebensoviel. Sie glauben, ein gutes Verhältnis zu „ihren“ Schwarzen zu haben. Doch ihre Idylle trügt. Tatsächlich sind sie reich, leben in einem Prachtbau im Postkolonialen Stil, während ihre schwarzen Arbeiter Habenichtse sind und unter Bedingungen leben, die Stadtmensch Liza niederschmetternd und dringend reformbedürftig findet.
Nineva und ihr Mann Amos, das schwarze Hauspersonal der Bannings, würden sich niemals trauen, Kritik an ihrem Boss zu üben. Pete Banning weiß nicht, dass sie ihn fürchten. Von Angst bestimmt ist auch das Leben der anderen Schwarzen, was deutlich wird, wann immer Grisham aus ihrer Sicht erzählt.
Was all das mit dem Mord zu tun hat, enthüllt sich, während sich die Geschichte entfaltet und man immer tiefer in einen Sumpf aus Selbstbetrug, Täuschungen und Lügen gerät. Dabei zeigt sich, dass Pete nicht der einzige mit einem Geheimnis ist.
Am Ende erfährt die Geschichte eine überraschende Entwicklung. Ein weiteres Geheimnis tritt zutage, ein Irrtum wird aufgeklärt. Man erfährt, was geschah, doch die Gründe bleiben unklar, müssen aus dem Text erschlossen werden. Denn die sie benennen könnten, Pete und Liza, haben keine Stimme.
Fazit:
John Grishams ambitionierter Roman „Das Bekenntnis“ ist Kriminalgeschichte, Gerichtsdrama, Kriegsgeschichte, Familiensaga, Coming of Age-Geschichte, ein Stück Zeitgeschichte, wobei die Rassenspannungen subtil die Erzählung definieren. Spannend und mit unterschiedlichen Tempi wird der Niedergang einer Familie erzählt, die an ihren eigenen Geheimnissen, Lügen und Irrungen zugrunde geht.
John Grisham, Heyne
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