Verräterisches Schweigen
- Midnight
- Erschienen: Oktober 2018
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- Berlin: Midnight, 2018, Seiten: 215, Originalsprache
Ein Verhörspezialist ermittelt im Ruhrgebiet - der Profi als Kumpel
Hauptkommissar Leonard Lehmann agiert in seiner Sonderfunktion als Experte für Vernehmungen in ganz NRW und wird bei Bedarf zu den Ermittlungen eines Falls vor Ort hinzugezogen. Er lebt in Herne und hat ein Büro in Essen. Aufgrund seiner erfolgreichen Arbeit von Kollegen hochgeschätzt, sieht das im Privatleben ganz anders aus. Seinem nervenaufreibenem Job mit dem Anspruch der permanenten Erreichbarkeist ist seine Ehe zum Opfer gefallen, und die Treffen mit seiner kleinen Tochter Joy fallen nicht selten aus. Joy hat in ihrem kurzen Leben ohnehin schon viel erdulden müssen, da sie mit einem Lungenfehler geboren wurde und nur dank einer Organtransplantation überlebte.
Als Lehmann mit Joy an einem der seltenen Besuchstage gerade zu einem Bummel auf der Cranger Kirmes startet, wird er auch prompt wieder per Handy von ehemaligen Kollegen in die Herner Dienststelle zitiert. In der Sparkasse vor Ort ist es zu einer Geiselnahme gekommen, eine Geisel wurde erschossen, und der mutmaßliche Täter Mark Jankowitz wartet zum Verhör im Polizeipräsdium.
Der Täter ist ein ziemlich verzweifelter Mann
Obwohl die Beweislage eindeutig ist, bestreitet der Verhaftete die Tat. Dabei entpuppt er sich in Lehmanns Vernehmungen mehr und mehr als verzweifelter Mann, denn als ein kaltblütiger Verbrecher. Als Grund für den Banküberfall gibt er an, das Geld für seine Frau zu benötigen. Der Ermittler schenkt seinen Ausführungen zunächst wenig Glauben.
Die Aussage der Ehefrau der toten Geisel setzten die Geschehnisse in der Bank dann jedoch in ein ganz neues Licht. Parallel zu Lehmanns Verhören statten seine Kollegen dem Wohnhaus von Jankowitz einen Besuch ab. Was sie dort von einer Nachbarin erfahren und im Haus selbst vorfinden, gibt dem Fall zudem eine dramatische Wendung.
Organhandel und Mafia mitten im Revier
Nach der Untersuchung der Online- Kontoaktivitäten des Verdächtigen sieht sich Lehmann plötzlich mit illegalem Organhandel und den kriminellen Machenschaften der russischen Mafia in Dortmund konfrontiert.
Das Schicksal von Jankowitz und seiner Famile und dessen Beweggründe für sein Handeln wecken in Lehmann Erinnerungen an die Zeit der Erkrankung seiner Tochter. Aus Mitgefühl trifft er in dieser Situation eine persönliche Entscheidung, fern ab von jedem offiziellen Dienstweg. Mit nicht absehbaren Konsequenzen, tödlichen und lebensrettenden gleichermaßen.
„Verräterisches Schweigen“ist bei Midnight erschienen, einem Digitalverlag der Ullstein Buchverlage, der seit 2014 monatlich neue kostengünstige E-Books aus dem Bereich Spannung veröffentlicht. Gleichzeitig sind die Bände auch als Taschenbuch erhältlich, in diesem Format jedoch verhältnismäßig teuer. Zusammengearbeitet wird mit eher noch unbekannten Autoren, die hier eine Plattform für ihre Texte finden.
So auch Astrid Pfister, deren Buch im Verlagsangebot in die Sparte Regiokrimi fällt. Das Kind muss bekanntlich einen Namen haben, eine Definitionsdebatte um den Begriff des Regiokrimis soll hier aber gar nicht erfolgen. Lediglich der Hinweis, dass die Region - also das Ruhrgebiet - bis auf die Erwähnung einzelner Städte nicht besonders zum Tragen kommt. Die Ereignisse könnten ebenso wonders ablaufen. Allzuviel an Handlung gibt der Plot allerdings ohnehin nicht viel her.
Verhöre im Fokus
Lehmanns Ermittlungswerkzeug ist die Vernehmung, und so spielt sich viel im Austausch mit Jankowitz ab bzw. sollte man das bei dieser Fokussierung erwarten. Leider sind die Verhöre jedoch keineswegs psychologisch raffiniert gestaltet.
Der angebliche Spezialist auf diesem Gebiet präsentiert sich darin über weite Strecken als Vernehmer, der zwar bewusst ohne Vorwissen über den Belasteten einsteigt, sich jedoch dann aus den gemachten Angaben vorschnell einen möglichen Tathergang zusammenreimt. So erschwert nicht „verräterisches Schweigen“ des Befragten, wie der Titel suggeriert die Aufklärung, sondern vielmehr schlechtes Zuhören seines Gegenübers. Das ist langweilig und nicht gerade förderlich für den Spannungsbogen des Buches.
Alternative Spannungselemente oder Überraschungseffekte finden sich außerhalb vom Verhörraum wenig oder werden nach einer kurzen Erwähnung nicht weiter verfolgt wie beispielsweise die Rolle der Russenmafia. Daneben fehlt es Geschehnissen wie der Erschießung der Geisel an Glaubhaftigkeit. Zu viel Raum erhält auch die Beschreibung des persönlichen Backgrounds Lehmanns. Sein Verhalten am Ende wäre auch mit weniger Hinweisen nachvollziehbar.
Lehmanns Charakterisierung als Familienvater, bei dem die Arbeit oftmals im Vordergrund steht, lässt ihn dabei nicht sonderlich sympathisch erscheinen. Und die inneren Monologe, die den durch die Begegnung mit Jankowitz ausgelösten Läuterungsprozess an diesem Punkt begleiten, sind ermüdend.
Fazit:
Insgesamt gelingt es der Autorin leider nicht, die eigentlich im Grunde ganz originelle Idee, ihren Protagonisten in einem Tätigkeitsbereich anzusiedeln, der so explizit in Krimis nicht ständig vorkommt, effektiv umzusetzen. Ebenso bleibt das gesellschaftliche brandaktuelle Thema der Organtransplantation auf persönliche Betroffenheit, wenn nicht gar Rührseligkeit beschränkt. Letzlich vermag es die Geschichte als E-book vielleicht, manchem Pendler unterwegs in welcher Region auch immer, die Fahrt mit Bus und Bahn etwas zu verkürzen, packenden Lesestoff für eine spannende Lektüre-Auszeit liefert sie jedoch mitnichten.
Astrid Pfister, Midnight
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