Das vierte Siegel
- Erschienen: Januar 1989
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Die schönsten Dinge passieren meist ganz unverhofft. Fast zwei Jahre muss das Buch auf meinem Stapel ungelesener Bücher gelegen haben. Hat mich der Titel abgeschreckt? Oder vielleicht das Bild einer aufgeschnittenen Papaya auf dem Cover? Vielleicht ja auch die Lobeshymnen anderer südamerikanischer Autoren (Melo, Vargas Llosa), die das Buch schmücken wie die Stumme Androhung geballter literarischer Anspruchshaltung? Ich habe keine Ahnung, was mich bewegt hat, diesen Roman schließlich an einem späten Dienstagabend gegen 23 Uhr in die Hand zu nehmen, nur um mal die ersten Seiten anzulesen. Was mich dann aber bewogen hat, immer weiter zu lesen, bis ich um etwa 4.30 Uhr in der gleichen Nacht das Buch beendet hatte, weiß ich ziemlich genau.
Hier nur plump den Inhalt des Romans zusammen zu fassen, reichte in der Tat dem Anspruch des Buches nicht aus. Allerdings reichte dazu auch der Platz an dieser Stelle nicht aus, denn obwohl sich die Geschichte auf gerade mal 250 Seiten ausbreitet, ist sie gespickt mit Ereignissen und vor allem Denkanstößen. Deshalb hier nur das Wesentliche:
Protagonist und Ich-Erzähler ist ein Schriftsteller mit dem Pseudonym Gustavo Flavio, eine Hommage an den französischen Literaten Gustave Flaubert. Dessen Geliebte Delfina Delamare liegt mit einer Kugel im Herzen tot in ihrem Wagen. Was zunächst wie Selbstmord angesichts einer schweren Krebserkrankung aussieht (Wagen verriegelt, Schlüssel im Zündschloss, Tatwaffe in der Hand der Toten, ärztliches Attest im Handschuhfach), stellt sich nach der Obduktion als Mord heraus.
Flavio verstrickt sich in Widersprüche, weil er fürchtet dass der ermittelnde Kommissar Guedes zu tief in seiner Vergangenheit bohren könnte. Denn da gibt es eine zartbitter dunkle Geschichte, die der Autor vor dem Kommissar als auch vor seiner Leserschaft verbergen will. Natürlich schildert er sie anschließend doch in ausschweifender Weise. Flavio flüchtet in ein Luxushotel, das tief im brasilianischen Dschungel von der restlichen Welt abgeschnitten ist. Im Kampf gegen seine Schreibblockade begegnet er hier sonderlichen Zeitgenossen, als ein weiterer Mord geschieht. Zu allem Überfluss heftet sich der rachsüchtige Gatte Delfinas an Flavios Fersen.
Die zentrale Figur: ein erfolgreicher Autor (nicht nur) in einer Schreibkrise
Womit der Autor fesselt ist die ungewöhnliche Erzählperspektive. Allein die Verwendung eines fiktiven Autors als Ich-Erzähler eröffnet Fonseca die Möglichkeit zahlreicher Reflektionen über die Tätigkeit des Schreibens an sich. Das Buch bekommt auf diese Weise ganz elegant einen philosophischen Anstrich. Immer wieder verteidigt Flavio die Schriftstellerei und wirft Gedanken und Zitate anderer Autoren ein. Er wechselt Erzählebenen virtuos, kommt von dem reinen Bericht über die Ermittlungen (wobei der Ich-Erzähler einige Details hinzuerfinden muss, er ist ja nicht selbst dabei) zu einem inneren Monolog, berichtet dann kompakt über Geschehnisse, die 20 Jahre zurück liegen und im Anschluss ebenso geballt von seinen Erlebnissen im Refugio, jenem Luxushotel am Ende der Welt.
Und dann dieser verrückte Titel. Bufo bezieht sich auf den lateinischen Namen einer Krötenart, während Spallanzani ein italienischer Priester, Philosoph und Wissenschaftler war, der an eben solchen Kröten grausam herum experimentiert hat: Bein ausreißen, um zu sehen, ob ein neues nachwächst etc. Und ebenso scheint Fonseca am Genre des Kriminalromans zu experimentieren, wie ein kleines Zitat aus dem Roman (!) belegt:
"Aber ich greife voraus und spreche von Dingen, die nicht hierher gehören, und Schriftsteller verabscheuen Durcheinander und Unordnung. Das ist Teil unserer inneren schizoiden Zerrissenheit (vgl. W. Whitman). Wir lehnen das Chaos ab, missbilligen aber noch mehr die Ordnung. Ein Schriftsteller muss von seinem Wesen her subversiv sein. Unsere Sprache muss die des Nicht-Konformismus, der Nicht-Falschheit, der Nicht-Unterdrückung sein. Wir wollen nicht Ordnung in das Chaos bringen, wie manche Theoretiker vermuten. Wir wollen es auch nicht begreifbar machen. Wir stellen immer alles in Frage, auch die Logik."
Üppig, überbordend, aber nicht überfrachtet
So philosophiert der Erzähler über andere Künste. Gibt Einblicke in Welt der Musik und des Balletts, indem er anderen Charakteren die Aufgabe stellt, einen Aufsatz zum Thema "Kröte" zu schreiben. Ebenso steigt er in die Faszination der Naturwissenschaft ein, als er am eigenen Körper mit Krötengift experimentiert. Auch das Pseudonym seines Ich-Erzählers "Gustavo Flavio" darf nicht übersehen werden. Jedoch ist der Protagonist anders als sein (ehemaliges) Vorbild, sexbesessen und notorischer Frauenheld. (Wenn er noch einmal anfinge, würde er sich ein anderes Pseudonym zulegen). Jedoch teilt er mit Flaubert die Dauergeliebte, die in einer anderen Stadt lebt. Das Refugio wiederum ist vergleichbar mit Flauberts selbst gewähltem Exil. Und ähnlich wie Flaubert scheint auch Flavio keinen Skandal zu scheuen, denn seine Sprache ist deutlich und prägnant.
Der Roman ist spritzig und lebhaft erzählt, trotz nur 250 Seiten üppig, überbordend und abschweifend angelegt, ohne jedoch dabei den eigentlichen Fall aus dem Blickfeld zu verlieren. Aus jeder Zeile spricht die Begeisterung und das Vergnügen, womit Fonseca eine beinahe unglaubliche Geschichte gestrickt hat. Und - was selten genug zu erleben ist - es bleibt mit der Auflösung dem Leser selber überlassen zu richten. Wer vor einem philosophischen Kriminalroman nicht zurückschreckt, wird in "Bufo & Spallanzani" ein Hochvergnügen finden, das auch im Nachgang seine Leser noch lange zu beschäftigen weiß.
Rio de Janeiro, die »wunderbare Stadt«; das Rio der elenden Außenbezirke, wo die Todesschwadrone ihr schmutziges Handwerk ausüben und rivalisierende Drogenhändler mit brutalsten Mitteln um ihre Macht kämpfen, aber auch das Rio der feinen Leute, der neureichen, traditionslosen Geldaristokratie mit ihren Lastern und Leidenschaften. Die absurden Gegensätze der Zehnmillionenstadt entladen sich in einer Gewaltkriminalität von unvorstellbarem Ausmaß.
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