Mord im August
- Piper
- Erschienen: Januar 1994
- 1
- São Paulo: Companhia das Letras, 1990, Titel: 'Agosto', Seiten: 349, Originalsprache
- München; Zürich: Piper, 1994, Seiten: 399, Übersetzt: Karin von Schweder-Schreiner
- Berlin: Ullstein, 1998, Seiten: 400
- Zürich: Unionsverlag, 2004, Seiten: 319
Es war einmal in Brasilien
August 1954: Getulio Vargas ist der Präsident Brasiliens. Doch die Zeichen stehen auf Sturm, die Unzufriedenheit weht durch die Städte und Dörfer. Volkes Stimme erhebt sich in den flammenden Berichten der freien Presse, die sich mehr und mehr gegen den Präsidenten stellen. Da ergeht von einer Gruppe korrupter Politiker aus dem Dunstkreis des Präsidenten der Auftrag, Lacerda, den gefürchteten Rädelsführer der Journalisten, umzubringen. Doch der teuer bezahlte Killer ist ein Amateur, sein Anschlag misslingt und statt des Journalisten liegt sein Leibwächter, ein Major der Luftwaffe, tot im Rinnstein. Vom Militär wird der Major zum Märtyrer aufgebauscht. Und Lacerda verschärft in seinen Zeitungsartikeln die Attacken auf Präsident Vargas, der für ihn als einziger als Auftraggeber in Frage kommt. Für die Oppositionspolitiker willkommene Vorlagen: In jeder Parlamentsdebatte werden die Rufe nach einem Rücktritt des Präsidenten lauter.
Kommissar Alberto Mattos beschäftigen die Ermittlungen um das Attentat auf Lacerdo eigentlich nur am Rande. Er muss sich mit dem Mord an einem Industriellen befassen, der jedoch Kontakte in den gleichen Kreis von Politikern pflegte. Er wird so zum stillen Zeugen einer langsam wachsenden Staatskrise und erlebt die Entwicklungen in jenem August aus der ersten Reihe.
Hervorragend konzipierter Politthriller
Alles was Rubem Fonseca in diesem Roman macht, ist vom ersten Satz an durchdacht. Sein Kommissar Mattos wirkt zeitlich deplaziert, er ist der einzige Polizist, der sich nicht von der so genannten Lotteriemafia schmieren lässt, der bei jeder Verhaftung die unmenschlichen Bedingungen in den überfüllten Zellen im Hinterkopf hat. Die Rolle des integren Ermittlers macht ihn zum Medium für den Leser der Gegenwart. Mattos agiert wie ein in der Zeit zurückgereister Brasilianer, der der allgegenwärtigen Korruption verständnislos und ohnmächtig gegenüber steht. Perfekt!
Die Kombination der Fälle, der darin verwickelten Personen, Politiker, Verbrecher, Frauen, die Einbindung der historischen Fakten und Hintergründe, all das ist höchst komplex und verworren. Ein literarischer Amazonasregenwald. Doch Fonseca findet den Weg durch diesen Dschungel. Er verbindet Fiktion und Fakten, ohne seine Leser mit unübersichtlichen und allzu konstruiert wirkenden Handlungsgebirgen zu überfrachten. Es treten viele Figuren auf, es gibt viele wechselseitige Beziehungsebenen und Interaktion. Nur ein echter Meister kann dieses Geflecht entwirren und so souverän erzählen, dass der Leser nicht kapituliert. Fonseca gelingt dieses Kunststück hier eindrucksvoll.
Ein Monat Depression
Rubem Fonseca ist ein Ausnahmekünstler. Er transportiert die Verzweiflung einer ganzen Nation durch all seine Figuren über die Jahrzehnte, bis zu dem Moment, in dem heute seine Leser diesen Roman lesen. Er schildert einen Monat des staatlichen Durcheinanders, ein Brasilien von Widerstand, Stillstand und Depressionen gebeutelt. Er schildert die Gegensätze von Land- und Stadtleben, die Allgegenwart des organisierten Verbrechens, die Macht der Wenigen und die Ohnmacht und Bedeutungslosigkeit der großen Masse.
Fonseca ist kein Vielschreiber, er fühlt sich hohen Ansprüchen und Qualität gebunden, aber auch seinen ureigensten Prinzipien: Obwohl oft mit Preisen geehrt und international anerkannt, verweigert er grundsätzlich jede Auskunft über seine Person oder sein Werk und gibt keine Interviews. So konzentriert er sich auf das, was er meisterlich beherrscht: das Schreiben. Mord im August ist nur ein weiterer Beleg dafür.
Rubem Fonseca, Piper
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