Die Tote im Wannsee
- Ullstein
- Erschienen: Januar 2018
- 5
- Berlin: Ullstein, 2018, Seiten: 384, Originalsprache
Erstklassiger Krimi für an Geschichte und Politik interessierte Leser
Drei Autoren - eine ungewöhnliche Konstellation
Ich kenne nur wenige Krimis, die von mehr als einem Autor stammen. Hier sind es gleich drei! Meine Skepsis war groß. Können drei Köpfe wie einer schreiben oder wird es Brüche im Stil und im Plot geben? Doch die Journalisten Martin Lutz und Sven Felix Kellerhoff und der Drehbuchautor und Schriftsteller Uwe Wilhelm haben es geschafft einen historisch-politischen Krimi zu schreiben, dem man die ausführliche Hintergrundrecherche und die Ausarbeitung der Charaktere sehr wohl anmerkt, die Anzahl der Autoren aber nicht. Der flüssige, nie ins Detail abschweifende Schreibstil entführt den Leser mit deutlichen Bildern gekonnt in eine Zeit, die bis heute Auswirkungen auf unser Leben hat und, die gegensätzlicher nicht hätte sein können.
1968 - ein politisch unruhiges Jahr
Das Jahr 1968 war weltweit von Protesten und Unruhen geprägt. In der CSSR war es der Prager Frühling, in Polen die Mai-Unruhen und in den USA die schwarze Bürgerrechtsbewegung unter Martin Luther King und der Protest gegen den Vietnamkrieg. In West-Deutschland nahmen linksgerichtete Studenten diesen Protest auf und rebellierten zusätzlich gegen das System, gegen den Nazi-Klüngel und für die sexuelle Befreiung. APO, Kommune I, Rudi Dutschke, Ensslin und Baader sind Akteure dieser Zeit. Daneben gab es aber auch das gutbürgerliche Leben im Mief der Nachkriegsjahre. Homosexualität war strafbar, alles musste nach außen moralisch einwandfrei sein, die Frau gehörte an Herd und Wickeltisch, die Gedanken waren oftmals noch braun und die Aufarbeitung der Nazi-Zeit noch fern.
Ein Plot mit starker Sogwirkung
Das Autoren-Trio verknüpft auf bemerkenswert leichte Art die reellen politischen Ereignisse mit dem fiktiven Mord an einer jungen Frau. Die Vermischung von Realität und Fiktion ist dabei so fesselnd gelungen, dass von Beginn bis Ende der Geschichte der Nervenkitzel nicht abreißt. Zwar ist relativ schnell das Motiv für den Mord klar, aber, wer der Täter ist bleibt bis zum Schluss im Dunkeln. Jedoch tritt die Identität des Mörder im Laufe der Geschichte auch eher in den Hintergrund, die Umstände werden dagegen umso wichtiger. Schnell ist der Leser gefangen im Berlin 1968. In unterschiedlichen Erzählsträngen befindet man sich mitten in einer Auseinandersetzung zwischen radikalen Studenten und der Polizei, verfolgt kopfschüttelnd den andauernden Diskussionen in einer Kommune, nimmt Teil an den Intrigen der Stasi und der IMs und verfolgt natürlich auch die Arbeit der Polizei Die Frage, wer gehört alles zu den Spionen der DDR, wie weit geht die Unterwanderung und warum wird Kommissar Heller immer wieder ausgebremst ist mindestens ebenso spannend, wie die Frage nach dem Täter.
Gelungene Mischung aus reellen und fiktiven Figuren
In der Geschichte finden sich verschiedene Gruppen. Natürlich die Polizei und die Studenten, aber auch die Spione der DDR und die ganz normalen Bürger Berlins. Alle diese Figuren sind glaubhaft dargestellt und es fällt nicht schwer sich Gesichter zu den Namen auszudenken. Vor dem Auge des Lesers entstehen schnell demonstrierende Studenten im Parka, Polizisten in Anzug mit Hut und Krawatte und Hausfrauen in Nylonschürzen. Dabei sind es nicht nur fiktive Gestalten, auch Markus Wolf, Karl-Heinz Kurras und Horst Mahler kommen ebenso vor wie Reinhard May. Die erdachte Geschichte ist perfekt in die tatsächliche Vergangenheit eingebaut. Dabei kommt auch die passende Rhetorik der einzelnen Gruppen nicht zu kurz. Die Studenten frönen ausgiebigst der Redekunst ihrer revolutionären Idole und die Stasi drückt sich natürlich "sozialistisch" aus. Das auch immer wieder braunes Gedankengut geäußert wird, passt ebenso in die Zeit, in der "Persilschein-weiße" Nazis selbst in den höchsten Ämtern des Staates zu finden waren.
Ein Krimi an dem sich die Geister scheiden werde
Wer kein Interesse an Geschichte und Politik hat, wird von diesem Krimi, wenn auch nicht überfordert, so doch enttäuscht sein. Obwohl ein Glossar im Anhang etliche Begriffe erklärt, ist doch auch ein gewisses Hintergrundwissen zu den 1960er Jahren nötig, um die Geschichte wirklich zu würdigen. Wenn sie diese Voraussetzung mitbringen, steht einem außergewöhnlichen Lesegenuss nichts mehr im Wege, denn die Mörderjagd tritt in den Hintergrund, während die politische Situation der eingemauerten Stadt Berlin eine tragende Rolle spielt. Natürlich wird auch der Tot der jungen Frau aufgeklärt, wobei es herrlich ist eine Ermittlung ohne Handy, DNA-Analyse und schnell verfügbare elektronische Datenbank zu erleben.
Lutz Wilhelm Kellerhoff, Ullstein
Deine Meinung zu »Die Tote im Wannsee«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!