Bevor es dunkel wird
- Blanvalet
- Erschienen: Oktober 2018
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- München: Blanvalet, 2018, Seiten: 480, Übersetzt: Veronika Dünninger
Kein Psychothriller, aber eine Gruselgeschichte
Die Amerikanerin Zoe braucht Abstand. Ihre Ehe läuft schlecht, sie ist auf der Suche nach sich selbst und sehnt sich nach Ruhe und Einsamkeit. Die findet sie auf einer kleinen schottischen Insel, in einem alten Herrenhaus. Doch kaum ist sie da, beunruhigen sie ziemlich realistische Träume, sie sieht Schatten und hört nachts eine Frau singen. Dann erfährt Zoe, dass es seit dem Tod der seltsamen Vorbesitzerin vor vielen Jahren in dem Haus spuken soll und vor einigen Monaten ein Junge spurlos verschwunden ist.
Charaktere ohne Tiefgang
Die Schotten sind als eigensinniges Völkchen bekannt, doch davon ist in dieser Geschichte nichts zu spüren. Jeder Charakter bedient die Figur, die er darstellt und das ohne Ecken und Kanten. Pub-Besitzer, Lehrer, Esoterikerin und Buchhändler sind nette freundliche Leute und sehr um Zoe bemüht, mehr aber auch nicht. Sie alle kratzen in ihrer Darstellung an der Oberfläche, bleiben zu sehr Klischee, als dass sie Charaktere sein könnten.
Auch Zoe ist für den Leser nicht richtig zu greifen, zu farblos wird sie eingeführt. Man erfährt nur, dass sie raus muss aus der Ehe und dem Umfeld, dass sie gerne zeichnet und ihren Sohn Caleb vermisst. Ein tieferes Einfinden in ihre Psyche würde den Zugang zu ihr einfacher machen und ihr doch teilweise sehr irrationales Verhalten mehr erklären. So bleibt mir schleierhaft, warum eine Amerikanerin den Weg zu einer einsamen schottischen Insel auf sich nimmt, wo der amerikanische Kontinent doch wirklich groß genug ist, um sich aus dem Weg zu gehen.
Auch das Beharren alleine in einem für sie viel zu großem, ja riesigem Haus zu bleiben, obwohl sie dort wirklich beängstigende Dinge erlebt, ist nicht gerade glaubhaft, wird sie doch als psychisch instabil beschrieben. Aber, wenn sie gleich das Handtuch werfen würde, wäre die Geschichte ja auch recht kurz geworden.
Ein Plot, wie mit dem Lineal gezogen
Wie den Figuren fehlt auch der Handlung die Raffinesse. Die Ereignisse werden chronologisch erzählt und, was das Ganze noch langweiliger macht, nur aus der Sicht von Zoe. Obwohl es sich um einen auktorialen Erzähler handelt, bleibt es uns verborgen, was die anderen so machen, wenn Zoe nicht dabei ist, was sie denken und, was sie zu verbergen versuchen. Aber gerade das würde aus einem eindimensionalem Plot eine vielschichtige interessantere Geschichte machen. Und selbst Zoe lässt den Leser zu wenig an ihren Gedanken und Gefühlen teil haben.
Es kann doch nicht sein, dass sich alles, sobald sie die Insel betritt, nur noch um das Haus dreht. Jeder Gedanke, jedes Gespräch hat nur noch das eine Thema. Sie ist fremd und dennoch fährt sie nur noch auf die Geschichte rund um das McBrides-Haus ab, hat kein Interesse an der scheinbar grandiosen Landschaft oder was sonst um sie herum passiert. Auch hier hätte ein bisschen mehr Vielfalt und atmosphärische Dichte dem Lesevergnügen auf die Sprünge geholfen.
Der Gruselfaktor rettet die Geschichte
Das Buch ist als Psychothriller deklariert. Das ist es sicher nicht. Dafür fehlen die Wendungen in der Geschichte, die Vielschichtigkeit der Erzählung, das Eintauchen in die Psyche der Protagonisten, besonders Zoes. „Bevor es dunkel wird“ ist ein halbwegs gelungener Gruselroman, der stark an die Gothic-Novels der viktorianischen Zeit erinnert. Mit den üblichen Mitteln wird Unbehagen, Beklemmung und Horror erzeugt.
Auch wer nicht an Geister glaubt, kann sich dem Sog des alten Hauses mit seinen Schatten, singenden Frauen und kratzenden Geräuschen nicht entziehen. Der Gruselfaktor ist eindeutig vorhanden. Leider rutscht die Autorin auch hier auf die triviale Schiene. Das Heraufbeschwören einer unbekannten Macht ist ja ganz schön und gut, aber muss es gleich ein Sex-Dämon sein, der dem ganzem Haus die Aura von Verlangen aufdrückt?
Auch Zoes erotische Phantasien und Träume nehmen für meine Geschmack einen zu großen Raum ein. Hier merkt man, dass Stephanie Merritt dem historischen Roman zugeneigt ist, hat sie doch unter dem Pseudonym Stephanie Parris schon eine ganze Reihe veröffentlicht. Auch der etwas schwülstige Schluss ist wohl dieser Vorliebe geschuldet. Dennoch bleibt der wohlig gegruselte Leser bis zum Ende im Ungewissen und kann nur vermuten, was hinter den Vorgängen steckt und ist selbst dann noch nicht ganz sicher, was real ist und was nicht.
Lest das Buch, bevor es dunkel wird
Wenn man sich mit einem soliden Gruselroman zufrieden gibt, ist „bevor es dunkel wird“ die richtige Lektüre für genau diese Tagesstunden. Ohne großen intellektuellen Anspruch, in flüssig geradlinigem Stil geschrieben, kann der Leser den Spuk genießen, ohne sich allzu große Gedanken um das Geschehen zu machen. Es ist ein Buch für Zwischendurch, genau das richtige für düstere Winternachmittage.
Stephanie Merritt, Blanvalet
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