Dreckiger Schnee

  • Knaur
  • Erschienen: Januar 2018
  • 8
  • London: Doubleday, 2017, Titel: 'Sirens', Seiten: 374, Originalsprache
  • München: Knaur, 2018, Seiten: 432, Übersetzt: Andrea O'Brien
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Thomas Gisbertz
86°1001

Krimi-Couch Rezension vonAug 2018

Kompromissloser, harter Thriller

Detective Aidan Waits, bei seinen Vorgesetzten seit langem in Ungnade gefallen, soll die Tochter des Justizministers wiederfinden. Seine Suche auf den nächtlichen Straßen Manchesters führt ihn in einen Sumpf von Drogen und Gewalt: Offenbar setzt Zain Carver, der mächtigste Drogendealer Manchesters, minderjährige Mädchen, sogenannte »Sirenen«, als Drogen-Kuriere ein. Diese sollen nicht nur die Drogen übergeben, sondern auch das Geld kassieren. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Carver Polizisten bezahlt. Jahrelang verschwinden immer wieder Beweise, Razzien laufen ins Leere. Waits wird wegen eines polizeilichen Vergehens suspendiert und gilt fortan als korrupt.

Das macht sich sein Chef, Superintendent Parrs, zunutze. Er stellt den Detective vor die Wahl: Entweder wird ihm fristlos gekündigt und er sitzt im Gefängnis seine Strafe ab oder er arbeitet undercover im Drogenmilieu, um Carver das Handwerk zu legen und die Korruptionsfälle aufzuklären. Waits hat nichts zu verlieren. Während er sich auf die Suche nach Isabelle Rossiter macht, gelingt es ihm mehr und mehr das Vertrauen von Zain Carver zu gewinnen. Im Rahmen seiner Ermittlungen erkennt er, dass die Tochter des Justizministers ein dunkles Geheimnis mit sich trägt. Ein zwielichtiges Spiel in den Grauzonen des Gesetzes beginnt. Waits muss bei seinen Ermittlungen immer mehr die Grenzen des Legalen überschreiten, um die Wahrheit herauszufinden, und stößt dabei auf ein Geflecht dunkler Machenschaften, bei dem er bald niemanden mehr vertrauen kann.

Starkes Debüt eines jungen Autors

Joseph Knox wuchs in der Gegend um Stoke-on-Trent und Manchester in England auf. Er arbeitete in Bars und Buchläden, bevor er nach London zog. Er ist leidenschaftlicher Leser, Autor und Jogger. "Dreckiger Schnee" ist sein erster Thriller, mit dem er auf Anhieb die englischen Bestsellerlisten stürmte. Knox gehört zu einer Reihe junger britischer Autorinnen und Autoren wie Erin Kelly und Chris McGeorge, die in letzter Zeit im Thrillergenre auf sich aufmerksam gemacht haben.

Thematisch erinnert Knox' Thriller an Alan Parks Debütroman "Blutiger Januar", der fast zeitgleich im Heyne-Verlag erschienen ist. Zwar spielt Parks düsteres Werk in Glasgow, aber in beiden Cop-Krimis wird ein brutales, aber lebensechtes Bild der jeweiligen Stadt und der dortigen organisierten Drogenkriminalität gezeichnet.

Die dunkle Seite Manchesters

Im Mittelpunkt des Thrillers steht mit Manchester eine der größten Städte im Nordwesten Englands. Knox gelingt es, einen realistischen, atmosphärisch dichten Eindruck der Stadt zu vermitteln und spart nicht mit dessen schmutzigen, dunklen und kriminellen Seiten. Die Drogenproblematik in Manchester ist nicht neu und hat erst 2017 durch eine neuartige Spice-Droge einen traurigen und unrühmlichen Höhepunkt erreicht. Da passt es, dass der Autor in schonungsloser und oftmals drastischer Weise das Leben in der Drogenszene dieser Stadt beschreibt: Keine konstruierte Wirklichkeit, sondern nüchterne Realität. Hier wird nichts beschönigt, verklärt oder bagatellisiert. Knox bleibt erschreckend nah an der Wahrheit.

Aidan Waits - Ein drogenabhängiger Detective

Der Leser lernt mit Detective Waits sicherlich keinen neuartigen Ermittlertyp kennen. Drogen- oder alkoholabhängige Polizisten tauchen immer wieder in der Kriminalliteratur auf. So erinnert die Figur sehr stark an Ken Bruens Privatdetektiv Jack Taylor. Beide sind desillusioniert und scheuen kein Risiko, da sie letztendlich auch nichts zu verlieren haben. Waits ist im Heim groß geworden.

Die Ohnmacht, die er als Kleinkind spürte, da er allem ausgeliefert war, scheint nun eine Triebfeder für sein Leben zu sein: Er wehrt sich gegen alles, was sich ihm in den Weg stellt und hat dabei auch keine Angst vor Hierarchien und Gewalt. Die Übergänge zwischen dem Polizisten und dem Kriminellen Waits sind fließend. Selbst von Speed abhängig taucht er in eine Welt ein, die für ihn befremdlich und zugleich doch so vertraut ist.

Dasein ohne Perspektive

Waits ist ein durch und durch zerrissener Ermittler, ein klassischer Anti-Held, der unaufhaltsam seinem düsteren Schicksal folgt und ihm nicht zu entkommen vermag.

Lichtblicke in seinem Leben verschwinden ebenso schnell wieder, wie sie gekommen sind. So verliebt sich Waits in Catherine, eine von Carvers Lieblingen. Aber auch diese sich andeutende Liebesbeziehung endet tragisch. Waits Leben scheint nur Schwarz und Grau zu kennen. Aber nicht nur das Schicksal ist daran schuld. Auch Waits steht sich mit seiner Art immer wieder selbst im Weg. Man bekommt sogar das Gefühl, dass er sich in gewisser Weise auch mit seinem zerrütteten Leben arrangiert hat.

Facettenreicher Thriller mit Tempo

Der Roman bietet dem Leser zahlreiche Handlungsstränge, die nach und nach zusammengeführt werden. So geht es nicht nur um die Tochter des Justizministers, die in das Drogenmilieu abgerutscht ist, sondern auch um korrupte Polizisten, brutale Drogendealer, Bandenkriege und das unaufgeklärte Verschwinden eines Mädchens, das sich zum zehnten Mal jährt. Wie alles zusammenhängt, erkennt der Leser erst ist im Laufe der Handlung. Zwar ziehen sich die ersten 130 Seiten etwas, aber es lohnt sich, weiter zu lesen. Nach dem Tod einer der Hauptfiguren nimmt der Thriller richtig Fahrt auf. Die Ereignisse überschlagen sich und man kann den Roman nicht mehr aus der Hand legen. Ein echter Pageturner. Dabei spart Knox weder an harten Sprüchen und Zynismus noch an überraschenden Wendungen.

Ein großes Talent

Knox ist in seiner Darstellung schonungslos realsistisch. Messerscharf und kompromisslos seziert er in teilweise atemberaubender Weise die Schattenseiten menschlicher Existenz: erschreckend, bösartig und zugleich authentischer als man es wahrhaben möchte. Unglaublich, dass der Thriller ein Debüt sein soll. "Dreckiger Schnee" ist English Noir vom Feinsten. Knox ist sicherlich eines der größten Talente des englischen Thrillers. Ob er auch ein Star wird, bleibt (noch) abzuwarten. Mit "The smiling man" hat der Autor bereits einen zweiten Band der Aidan-Waits-Reihe fertig gestellt, auf den man sich sicherlich schon jetzt freuen kann.

Dreckiger Schnee

Joseph Knox, Knaur

Dreckiger Schnee

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