Ein eindeutiger Fall
- Grafit
- Erschienen: Januar 2018
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- Dortmund: Grafit, 2018, Titel: 'Ein eindeutiger Fall', Seiten: 316, Originalsprache
Was für ein großartiger Pageturner
Marc Hagen nahm es bei seinem letzten Fall mit der Schweigepflicht eines Rechtsanwalts nicht so genau, musste seine Praxis schließen und ist seit zwei Jahren Privatier. Ein Arrangement mit seiner Lebensgefährtin Melanie. Die sorgt für das Einkommen und jettet dafür um die Welt, er kümmert sich um den Haushalt und vor allem um die 15-jährige Tochter Lizzy. Plötzlich ein Anruf von Dr. Bartholdy, Vorsitzender der großen Strafkammer am Landgericht Bielefeld. Der Prozess gegen Rainer Höller droht ein zweites Mal zu platzen, da sein Verteidiger an einem Herzinfarkt verstarb. Hagen ist nicht die erste Wahl, zumal er nicht mehr praktiziert, aber er ist im Gegensatz zu seinen Kollegen verfügbar. Doch warum soll er sich auf einen aussichtslosen Prozess einlassen?
"Sie wissen ja, dass Ihr Verteidiger, Herr Rechtsanwalt Vogel, gestern ganz überraschend verstorben ist." "Hab ich gehört. Er war ja nicht mehr der Jüngste. Und als Verteidiger auch nicht gerade eine Granate. Was ist mit Ihnen? Sind Sie gut?" "Es gibt Bessere." "Warum bekomme ich dann keinen von denen?" "Weil Sie sich die nicht leisten können. Es steht Ihnen natürlich frei, sich zuerst selber nach einem neuen Verteidiger umzusehen. Aber wenn ich Dr. Bartholdy richtig verstanden habe, haben Sie ihm die Auswahl überlassen." "Ja, ja. Ist doch eh alles egal."
Seit einem Jahr sitzt Höller in Untersuchungshaft. Er soll damals seine 16-jährige Tochter Monja erstochen haben. Hautfetzen unter den Fingernägeln Monjas zeugen von einem handfesten Streit mit Höller am Tatabend. Zudem macht er widersprüchliche Aussagen, ist bekannt für seine Alkoholsucht und Gewalttätigkeit, und hat kein Alibi. Die Indizien sind erdrückend. Dabei beteuert Höller seine Unschuld und behauptet zu wissen, wer Monja ermordet hat: Andreas Bartels, der neue Partner seiner Ex-Frau Ilka. Die Sache hat nur einen Haken: Bartels hat ein Alibi für die Tatnacht, das durch ein Video belegt wird. Gleich drei Zeugen, allesamt Polizisten wie Bartels, bestätigen sein Alibi. Dennoch übernimmt Hagen ohne zu zögern den Fall, denn Monjas Mutter Ilka war seine erste große Liebe ...
Hohes Tempo und detaillierte Schilderung der Arbeit eines Verteidigers
Mit Ein eindeutiger Fall spricht der hauptberufliche Richter nicht nur Freunde von Justiz-Thrillern an, wenngleich ein interessanter Teil des Romans vor Gericht spielt. Zunächst arbeitet sich Hagen in den Fall ein, befragt Zeugen auch mit Hilfe von Lizzy, die in die gleiche Schule geht wie Monja, und findet heraus, dass Monja alles andere als ein harmloses Mädchen war. Bildhübsch, aber durchtrieben und nicht immer einfach. Den neuen Partner ihrer Mutter Ilka, Andreas Bartels, wollte sie unbedingt loswerden, unterstellt diesem sogar, sie sexuell zu belästigt zu haben. Was für ein Motiv!
Hagen, der nach wie vor von Ilka eingenommen ist, obwohl sie ihm vor fast 25 Jahren nach kurzer Liaison den Laufpass gab, will seiner Ex beweisen, wie toll er als Verteidiger ist, und zeigt vor Gericht sein ganzes Können. Schließlich ist er nur seinem Mandanten verpflichtet, und wenn er ein Alternativ-Szenario entwerfen kann, um diesen zu entlasten, dann greift man auch zum berühmten Strohhalm. Es kommt wie es kommen muss: Bartels gerät unter Tatverdacht, Höller scheint aus dem Schneider zu sein - und ohne mehr an dieser Stelle verraten zu dürfen, werden noch weitere Personen im Lauf der Handlung verdächtigt. So erfährt der Plot einige Wendungen mit - möglicherweise - überraschender Auflösung.
Überzeugend ist nicht nur der wendungsreiche Plot, sondern vor allem die kenntnisreiche Schilderung von Hagens Arbeit als Jurist sowie das enorm hohe Lesetempo. Ein lupenreiner Pageturner, den man problemlos an einem Tag bewältigt. Aufhören, mittendrin? Ganz schwierig. Andreas Hoppert hat eine Geschichte konstruiert, die zwar einige Überraschungen beinhaltet, aber gleichwohl geerdet bleibt. So hätte es sein können. Mit der moralischen Einstellung des Anwalts zum Ende des Romans mag man an einer Stelle hadern, doch - wenn überhaupt - sorgt allenfalls das teilweise etwas ausufernde Privatleben des Protagonisten für Abzüge.
Andreas Hoppert, Grafit
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