King Suckerman
- DuMont
- Erschienen: Januar 2000
- 1
- Boston: Little, Brown, 1997, Titel: 'King Suckerman', Seiten: 264, Originalsprache
- Köln: DuMont, 2000, Seiten: 327, Übersetzt: Bernd W. Holzrichter
- Köln: DuMont, 2006, Seiten: 367, Übersetzt: Bernd W. Holzrichter
- Köln: DuMont, 2012, Seiten: 281
Washington, here I come!
Wer Das große Umlegen inzwischen unter dem Titel Big Blowdown auf dem Markt genossen hat, will garantiert die Fortsetzung lesen: Die Zeitbilder im ersten Roman sind nahezu perfekt, die Figuren absolut lebendig, die Gegend erhebt sich vor dem Leser. Die diversen Stränge der Erzählung sind zudem mit Leichtigkeit verwoben, und wer ein Faible für ältere Popmusik hat, hat auch noch seine Freude am Soundtrack, der im Kopf abläuft. Wer die Musik nicht kennt, kann sich bei den einschlägigen Quellen versorgen und nebenher hören; es macht Spaß. Jedenfalls ist Pete Karras ein wahrhaft tragischer Held, zu gut für die Welt und dennoch böse.
Wer den ersten Roman der Washington-Trilogie nicht kennt: Jetzt nicht weiterlesen! Das Buch besorgen und lesen. Michael Drewniok hat den Erstling mit lediglich 85° versehen. Er soll sich was schämen.
Als ich den ersten Roman der Washington-Trilogie las, lag bereits der zweite auf dem Tisch, in den ich direkt reinschlupfen wollte. Eine Serie, dachte ich, es gibt ja auch noch einen dritten Roman. Und dann war die Hauptfigur plötzlich tot und ich ganz schön verwirrt. Also gut: Eine Serie über Generationen hinweg.
Es ist also nicht Pete Karras, dem wir in King Suckerman durch Washington folgen, sondern sein Sohn Dimitri. Schon das Motto von Curtis Mayfield zeigt: Wir befinden uns in einer anderen Zeit. Das hier sind die Siebziger, was auch die Anhäufung von Titeln teilweise unterklassiger Film im ersten Kapitel zeigt. Filme, von denen einige bei uns nie rauskamen. Wahrscheinlich zu Recht. Dieses erste Kapitel, in dem ein Durchgeknallter in einem Drive-in-Kino synchron zum Filmschuss seinen eigenen tödlichen Schuss abfeuert, stimmt wunderbar auf das ganze Buch ein. King Suckerman ist dunkel, brutal, obszön, dreckig aber gleichzeitig so ausgeglichen moralisch, dass die Brutalität nie zum Selbstzweck verkommt.
Pelecanos führt uns Verlierer vor, Unterprivilegierte, die nie eine richtige Chance hatten, zumindest keine, die sie hätten erkennen können. Seine Figuren sind dermaßen echt, dass es fast wehtut beim Lesen. Nie schützt der Autor seine Leser vor bösen Überraschungen, er bietet keine Unterhaltung zum Abschalten, im Gegenteil: Die drastische Darstellung von Schicksalen (und das heißt eben nicht nur: Gewalt) zwingt zur direkten Teilnahme.
Die Leute, unter denen King Suckerman spielt, definieren sich teilweise über die Bereitschaft, weit über normale Gewalttätigkeiten hinauszugehen. Sie träumen davon, viel, viel Geld zu verdienen, ohne dafür arbeiten zu müssen. Sie leben für den schnellen Kick, für Drogen und Action. Sie sehen sich Underground-Filme an, die vor allem viel Blut bieten, und versetzen sich in die Bösen und sie freuen sich auf den Film "King Suckerman", in dem es um einen schwarzen Zuhälter geht, der besonders blutrünstig sein soll.
Was dieses Buch von seinem Vorgänger unterscheidet: Pelecanos beschreibt ein Washington, das er aus eigenem Erleben kennt, er zieht sein bildreiches Zeitgemälde aus seinen Jugenderinnerung und das merkt man. Und er bevölkert die Stadt mit allerhand dubiosen Figuren: Allen voran Wilton Cooper, ein Gangsterboss, der gern bedeutender wäre, macht Geschäfte mit einem Großdealer den er über den Tisch ziehen will. Dabei setzt er auf die Hilfe von Jugendlichen, die keine Grenzen kennen und teils eher unterbelichtet sind.
Und dann treten die Guten auf, die natürlich gar nicht so gut sind Marcus Clay, der einen Plattenladen in der Stadt betreibt, und der griechischstämmige Dealer Dimitri Karras, ein eher kleines Licht. Immerhin haben sich die zwei so etwas wie Menschlichkeit bewahrt, was im schwelenden Konflikt aber eher ein Nachteil ist: Wer menschlich ist, ist naiv.
Clay begeht bei der Begegnung mit Cooper einen verhängnisvollen Fehler. Die Situation für Clay und Karras wird schnell scheinbar ausweglos: Sie haben es plötzlich mit kleinen Ganoven zu tun, die sich für Mafiabosse halten. Das kann nicht gut gehen.
Die Gestalten, die Pelecanos zeichnet, überzeugen komplett. Praktisch alle haben Dreck am Stecken, es ist schnell klar: Niemand in diesem Buch wird auch nur annähernd an das Ziel seiner Träume gelangen.
Eingelegt hat Pelecanos seine vielschichtige Story in einen historischen Kontext: Es ist die Zeit der Zweihundertjahrfeier der Vereinigten Staaten von Amerika, und es ist schließlich die Hauptstadt, in der der Roman spielt. Aber mit den allbekannten Sehenswürdigkeiten der Stadt hat dieser Roman nichts am Hut.
Die Zeit aber, die spielt eine Hauptrolle. Die Jungs definieren sich über Filme und Musik, Ablehnungen und wenig reflektierte Verehrung ergeben Gemeinsamkeiten, die für den Aufbau einer Gruppe ausreichen. Die alten Popsongs aus dem ersten Band werden dabei ersetzt durch die Musik der Zeit, vor allem dargestellt durch die Platten, die in Clays Laden laufen: Mott the Hoople, Captain Beefheart, Led Zeppelin, zeitgenössische Soulmusik. In gewisser Weise nahm Pelecanos damit sogar High Fidelity vorweg.
Wie High Fidelity ist auch King Suckerman ein soundtracklastiges Buch, das eine Epoche und ihre Menschen widerspiegelt. Wer nun, wie ich, zur Zeit der Handlung fünfzehn Jahre alt war, liest so ein Buch durchaus wie eine Reminiszenz an die eigene Jugend abgesehen, natürlich, von der allgegenwärtigen Gewalt. Allerdings: Die alten Songs aus dem ersten Band kenne ich auch nicht als Zeitzeuge.
Und am Ende? Wer gewinnt? Ohne etwas zu verraten: Es gewinnt niemand. Es geht weiter. Auch wenn nicht alle Figuren diesen Roman überleben, es geht natürlich weiter. Es gibt weiterhin Gute, die böse sind, und Böse, die durchaus mal gut sein können. Es gibt alle Schattierungen. Aber es gibt keine Gewinner, das nicht, und auch keine Wertungen. Das macht King Suckerman zu einem wirklich großen Buch. Es gibt auch, glücklicherweise, nicht allzu viel Moral. Das war in späteren Romanen von Pelecanos leider nicht immer so.
Eine kleine Vorwegnahme zum Schluss: Im dritten Band ist der Soundtrack noch besser. Der spielt in den Achtzigern, als die Musik langsam wieder besser wurde. Wer will schon heute noch Led Zeppelin hören.
[Ich, gelegentlich. Ebenso wie Deep Purple. Und mitunter sogar Captain Beefheart; aber eher noch Frank Zappa... jkö]
George P. Pelecanos, DuMont
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