Das große Umlegen
- DuMont
- Erschienen: Januar 1999
- 2
- New York: St. Martin’s Press, 1996, Titel: 'The Big Blowdown', Seiten: 313, Originalsprache
- Köln: DuMont, 1999, Titel: 'Das große Umlegen', Seiten: 453, Übersetzt: Bernd W. Holzrichter
- Köln: DuMont, 2006, Titel: 'Das große Umlegen', Seiten: 367, Übersetzt: Bernd W. Holzrichter
- Köln: DuMont, 2011, Titel: 'Big Blowdown', Seiten: 448, Übersetzt: Bernd W. Holzrichter
Da muss doch mehr für mich drin sein ...
Washington D. C. 1946: Ein Jahr ist vergangen, seit Peter Karras heimkehrte. Seine Welt - das war und ist das "Griechische Viertel" der Hauptstadt der USA. Unter den Arbeitern, kleinen Händlern, Krämern und Kneipenbesitzern ist er zu Hause; sein Vater Dimitri betreibt einen Obst- und Gemüsestand. Karras ist bekannt und geachtet, im Pazifikkrieg hat er sich als Angehöriger des Marine Corps hervorgetan. Nun ist er verheiratet, hat Freunde, die er schon seit Kindertagen kennt - ein geordnetes Leben auf den ersten Blick, doch Risse tun sich auf, deren Wurzeln tief in die Vergangenheit reichen. Karras ist unruhig. Er stellt höhere Ansprüche an das Leben als sein Vater und er möchte es weiter bringen als dieser, aus dem die Jahre harter, nie wirklich einträglicher Arbeit einen verbitterten Trinker gemacht haben. Mit der "alten Heimat" Griechenland und den Idealen seiner Eltern weiß Karras wenig anzufangen. Er gehört zur ersten Generation der Immigrantensöhne, die versuchen, sich anzupassen und tatsächlich heimisch zu werden in den USA.
Lektion für halbherzige Verbrecher
Karras versucht sich als Handlanger eines örtlichen Gangsterbosses und Kredithais. Burke verleiht Kredite zu Wucherzinsen und erpresst "Schutzgelder" von den Ladenbesitzern in "seinem" Viertel. Joe Recevo, Karras' bester Freund, hat ihn Burke empfohlen. Doch Karras bringt es nicht fertig, säumige Schuldner mit brutaler Härte an ihre Zahlungsverpflichtungen zu erinnern. Burke beschließt ihn fallen zu lassen. Doch zuvor will er Karras eine Lektion erteilen und ihn von seinen Schergen verprügeln lassen. Recevo wird zum Judas, als er den arglosen Freund in eine sorgfältig vorbereitete Falle führt, denn er kennt die ungeschriebenen Gesetze der Unterwelt: Bekommt Burke nicht seinen Willen, ist Karras ein toter Mann. Aber die Sache gerät außer Kontrolle, als der sadistische Reed, ein weiteres Mitglied der Gang, endlich die Chance sieht, sich an Karras, der es seiner Meinung den nötigen Respekt ihm gegenüber vermissen lässt, zu rächen. Vorsätzlich zertrümmert er Karras' Knie und macht ihn zum Krüppel.Drei Jahre später: Karras hat seine Träume von einer besseren Zukunft begraben. Er ist als Koch bei seinem Freund Stefanos in dessen Kneipe "Nick´s" untergekommen. Doch die Vergangenheit holt ihn auch in der Küche schließlich ein. Burke will seinen Einflussbereich ausdehnen. Er hat ein Auge auf "Nick´s" geworfen und fordert ein hohes monatliches Schutzgeld. Stefanos weigert sich zu zahlen. Burke schickt seine Schläger, doch Stefanos gelingt es mit Karras' Hilfe, die Gangster auszuschalten. Karras weiß nur zu gut, dass Burke bald zurückschlagen wird ...
Die Welt ist schlecht und schwarz
Eine kaltherzige Welt und ihre auf Gedeih und Verderb miteinander verbundenen Bewohner; ein um sich selbst kreisender Mikrokosmos, der scheinbar neben der "realen" Welt existiert, bevölkert von nur scheinbar starken Männern und schwachen Frauen, die wie von unsichtbaren Fäden gezogen auf ihr Verhängnis zusteuern; Menschen in der Krise, Menschen auf der Schattenseite des Lebens, die versuchen, sich ihr Stück vom Kuchen zu holen, und die doch am Ende mit leeren Händen dastehen - wenn sie denn noch stehen können! Keine Frage: Wir befinden uns in der Welt des "Schwarzen Serie", in der sich die Hoffnung auf ein besseres Leben oder gar Glück stets als grausam enttäuschte Illusion erweist.
Noch bekannter als die Romane der "Schwarzen Serie" ist ihr Pendant auf der Kinoleinwand geworden: der "Film Noir" ist ein seltenes Beispielen dafür, dass Hollywood manchmal originell sein kann. Das Genre entstand in der Umbruchphase nach dem für die USA zwar gewonnenen, an der "Heimatfront" aber mit tief greifenden gesellschaftlichen Verwerfungen einhergehenden II. Weltkrieg und brachte einige der größten Filmklassiker überhaupt hervor.
Die Zeit des "Film Noir" (ver-) endete in der bleiernen Eisenhower-Ära der 1950er Jahre. Die Romane der Schwarzen Serie überlebten, wenn auch nur in einer kleinen Nische am Rande der Krimi-Szene. George P. Pelecanos gelingt nun das Kunststück das Genre neu zu beleben und auf den aktuellen Stand zu bringen. Den gleichen Dienst konnte er einer anderen Gattung erweisen: der "Privat-Eye-Novel" und jenen Geschichten, in denen sich ein notorisch erfolgloser, aber aufrechter Privatdetektiv (inzwischen ruhig auch weiblichen Geschlechts) einsam und trotzig daran macht, einen hoffnungslosen Fall zu klären. Pelecanos gewinnt auch diesem Klischee neue Seiten ab, indem er aus seinem "Helden" den vielleicht ersten authentischen "proletarischen" Detektiv macht.
Weißes Haus & schwarze Seelen
"Das große Umlegen" ist der erste Teil einer Trilogie, die sich mit der "kriminellen Geschichte" Washingtons kurz vor und vor allem nach dem II. Weltkrieg beschäftigt. Die Hauptstadt der USA bringt man gemeinhin nicht mit dem "gewöhnlichen" Verbrechen in Verbindung. Thriller-Autoren lassen hier gern Bösewichte in feinen Nadelstreifenanzügen in Pentagon und Weißem Haus welterschütternde Verschwörungen ausbrüten. Darüber gerät leicht in Vergessenheit, dass Washington jenseits seiner politischen Arenen eine moderne Großstadt mit den üblichen Alltagsproblemen ist. Konflikte zwischen ethnischen Gruppen und die Machenschaften des organisierten Verbrechens sind dafür nur zwei Beispiele, die indes eng miteinander verzahnt sind.
Die USA galten lange als "gelobtes Land" für Auswanderer aus Europa, die den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zwängen ihrer alten Heimat entfliehen wollten. Jenseits des Großen Teiches mussten sie indes rasch erkennen, dass sie auch hier nicht mit offenen Armen empfangen wurden. Zum Kulturschock kam die Sprachbarriere. So ist es kaum verwunderlich, dass die Emigranten unter sich blieben. Bald gab es in den großen Städten Nordamerikas regelrechte "italienische", "russische" oder "deutsche" Viertel. Ihre Bewohner blieben mit ihrer Sprache, ihren Sitten und Gebräuchen unter sich, wo sie sich heimisch fühlten. Auf der anderen Seite isolierten sie sich auf diese Weise vom übrigen Amerika, in dem sie als schlecht verdienende Kleinstunternehmer und Hilfsarbeiter eine Nische nur am Rande der Gesellschaft fanden. Einen Weg aus diesem Mikrokosmos, der gleichzeitig ein Teufelskreis war, gab es nur für jene, die dem "Ghetto" dank einer guten Ausbildung und eines Quäntchens Glück den Rücken wenden konnten.
Geläutert um den Preis des Lebens
Eine überschaubare Welt, abgeschottet und außerhalb der "normalen" amerikanischen Gesellschaft stehend, bevölkert von Menschen, die Vertretern von Gesetz und Ordnung mit Misstrauen begegneten - das ist eine Welt, die als Opfer für das organisierte Verbrechen prädestiniert ist. Auf der einen Seite scheinbare Volksnähe demonstrierend und den Einwanderern auf "unbürokratischem" Wege Kleinkredite gewährend, auf der anderen "Schutzgelder" erpressend, halten die Banden Einzug auch in das griechische Viertel Washingtons, in dem George P. Pelecanos die Familie Karras angesiedelt hat. Die Gangster leben gut und müssen sich nicht sieben Tage in der Woche für einen Hungerlohn krumm legen. Da liegt es für viele Jugendliche des Viertels nahe, auf dem Weg zum Wohlstand eine Abkürzung zu versuchen. Für den, der bereit ist, die Drecksarbeit für die Bosse zu erledigen, gibt es immer etwas zu tun. Pete Karras, gerade zurückgekehrt aus dem Krieg, wo er jenseits seines bisher beschränkten Horizontes eine ganz neue Welt kennen gelernt hat, wird für einen besonders perfiden Job angeheuert: Er soll von den eigenen Landsleuten rückständige Wucherzinsen eintreiben. Aber er, der anständige Proletarier, kann nicht heraus aus seiner im Grunde ehrlichen Haut. Der Preis, den dafür bezahlt, ist hoch, aber er hat seine Lektion gelernt - auch wenn er dies letztlich nicht überleben wird.
George P. Pelecanos, DuMont
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