Mitternachtsmädchen
- Ullstein
- Erschienen: Februar 2019
- 13
- Stockholm: Lind & Co., 2016, Titel: 'Midnattsflickor ', Seiten: 399, Originalsprache
- Berlin: Ullstein, 2019, Seiten: 448, Übersetzt: Nora Pröfrock & Dagmar Mißfeldt
Leider kein ungetrübtes Lesevergnügen
„Mitternachtsmädchen“ spielt in den Städten Uppsala und Stockholm. Es ist Frühling, die Bäume sprießen, die Blumen stehen in voller bunter Pracht und ab und zu kommt ein Regenschauer. Aber, was sehen wir auf dem Cover – das typische rote Holzhaus, tief verschneit und natürlich einsam an einem Gewässer gelegen. Cover sollten den Inhalt repräsentieren und den Leser auf die Geschichte einstimmen, aber skandinavische Krimis haben immer die gleiche Aufmachung. Manchmal beschleicht mich das Gefühl, die Verlage halten ihre Leser für zu dumm, einen nordeuropäischen Autor zu erkennen und meinen deshalb immer wieder das Michel-aus-Lönneberga-Klischee auspacken zu müssen.
Dritte Teil aus der Nathalie-Svensson-Reihe
Man muss nicht unbedingt die beiden Vorgänger von „Mitternachtsmädchen“ gelesen haben, um in das Geschehen einsteigen zu können, aber um das Beziehungsgeflecht zu verstehen wäre es von Vorteil. Zwar wird dem Leser eine Personenliste an die Hand gegeben, aber trotzdem kommt es im Handlungsverlauf immer wieder zu Anspielungen, bei denen diese dann auch nicht weiterhilft.
So werden mehrmals das Begräbnis von Nathalies Vater und damit zusammenhängende familiäre Probleme erwähnt, aber warum es diese Probleme gibt, versteht nur, wer von Anfang an dabei war. Neben dem Personenregister wäre auch ein Stadtplan von Uppsala oder zumindest vom Univiertel zur Orientierung hilfreich gewesen. Zu oft werden Straßen oder Gebäude genannt, die dem Uppsala Leser fremd sind, wenn er die Stadt nicht kennt.
Polizeiarbeit statt atemloser Verbrecherjagd
Nach zwei am Leben gelassenen Vergewaltigungsopfern tötet der Täter sein drittes und drapiert es wie auf einer Bühne im Hörsaal der Anatomie. Schnell hat die Polizei drei Verdächtige ausgemacht, die in Frage kommen könnten. Mit Hilfe der „Einheit für operative Fallanalyse“ soll der Fall gelöst werden. Jonas Moström schildert die Suche nach dem Täter ruhig, strukturiert und ohne viel Sensationsgier. Er stellt die manchmal ermüdende und öfters ins Leere laufende Polizeiarbeit in den Vordergrund.
Und dennoch ist das Buch von Anfang bis Ende spannend, auch, weil die Kindheit des Täters thematisiert wird. Alle drei Verdächtigen können den geschilderten Verhältnissen ausgesetzt gewesen sein – also alles offen. Dazu wird das nächste potenzielle Opfer vorgestellt, und man kann gar nicht anders, als weiterzulesen und zu hoffen, dass es doch noch gut ausgeht, der Täter gestellt wird und keine Studentin mehr zu Schaden kommt.
Offene Fragen und Fehler im Text trüben das Lesevergnügen
Wie gesagt, die Geschichte ist spannend, aber sie würde noch mehr Spaß machen, wenn nicht immer wieder Fehler auftreten würden. So mutiert ein Smoothie zum Kaffee oder von 18 Uhr bis Mitternacht sind es nur 4 Stunden. Und was sind die so oft genannten Nationen? Ich gehe davon aus, dass es vielen Lesern so wie mir ging, und sie erst einmal ratlos waren. Nach einiger Recherchearbeit bin ich dann dahinter gekommen, was gemeint ist. Aber eigentlich sollte die Lektüre doch auch ohne nötige Hintergrundsuche möglich sein.
Bitte, liebe Autoren, Übersetzer und Lektoren, gebt euch ein bisschen mehr Mühe. Die Leser merken das und auch ein ansonsten noch so guter Text verliert einfach an Authentizität. Sehr zweifelhaft ist auch, dass Nathalie ein gerade gefundenes Passwort sofort und zielsicher einer Dating-Webseite zuordnen kann. Für mich sehen Passwörter immer gleich aus, egal auf welcher Seite sie eingesetzt werden.
Auch bleiben am Ende Fragen offen. Dadurch ist die Geschichte einfach nicht rund. Warum verhört niemand das zweite Opfer? Warum eskaliert die Gewalt in den Taten? Und warum immer Mitternacht? Ich finde, zu einer glaubhaften Lösung gehört das Beantworten aller Fragen, vor allem, wenn sie für das Geschehen so wichtig sind.
Auch Nathalie wirft Fragen auf
Nathalie Svensson ist Psychiaterin, Mitglied der Einheit für operative Fallanalyse und frisch geschieden. Ihr Ex-Mann will das alleinige Sorgerecht für die zwei Kinder und ist daher ganz wild auf Verfehlungen, die er Nathalie vorwerfen kann um den Prozess vor Gericht zu gewinnen. Und, was macht Nathalie? Sie gibt die Kinder ständig über Nacht zu ihrer Mutter und, das nicht nur um zu arbeiten, sondern sich Zeit für einen One-Night-Stand in ihrer Stockholmer Wohnung zu verschaffen. Wie wahrscheinlich ist das denn?
Überhaupt macht Nathalie in meinen Augen keine sehr sympathische Figur. Abgesehen von ihren sexuellen Fluchten wird immer wieder ihr Erscheinungbild thematisiert. Hier tummeln sich die Markennamen und der Leser fragt sich, ob es wohl Sponsoring gab. Aber anscheinend definiert sich Nathalie über ihre Äußerlichkeiten und ihre Libido und schätzt dadurch so manche Situation falsch ein. Eine weniger egoistische Protagonistin hätte mir besser gefallen, aber da darf man natürlich anderer Meinung sein.
Fazit:
Jonas Moström ist mit „Mitternachtsmädchen“ ein würdiger dritter Band der Nathalie-Svensson-Reihe gelungen. Spannend, flüssig und gefällig geschrieben wird der Leser von Anfang an gut unterhalten. Minuspunkte sind verschiedene Ungereimtheiten und die, für meinen Geschmack, zu unsympathische Protagonistin. Dennoch ist man nie versucht das Buch vorzeitig abzubrechen, denn der Frage, wer der Täter ist wird so dramatisch nachgegangen, dass man gerne einen getrübten Lesegenuss hinnimmt, ist es doch immer noch mehr Genuss als Verdruss.
Jonas Moström, Ullstein
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