Das fahle Pferd

  • Atlantik
  • Erschienen: Mai 2020
  • 14
  • Originalausgabe erschienen unter dem Titel „The Pale Horse“

    - London : William Collins/Collins Crime Club 1961

    - Bern - Stuttgart - Wien : Scherz Verlag 1962 (Die schwarzen Kriminalromane 183). Übersetzung: Margret Haas. 190 Seiten.

    - Bern - Stuttgart - Wien : Scherz Verlag 2003. Übersetzung: Margret Haas. 223 Seiten.

    - Frankfurt/Main : Fischer Verlag 2006. Übersetzung: Margret Haas. 223 Seiten.

    - Hamburg : Atlantik Verlag/Verlag Hoffmann und Campe [6. Mai] 2020. Übersetzung: Margret Haas. 251 Seiten.

     

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Michael Drewniok
70°1001

Krimi-Couch Rezension vonFeb 2021

Mord und Magie: Verbrechen sucht neue (Ab-)Wege

Eine Kette kruder Zufälle verwickelt den Historiker Mark Easterbrook in einen Kriminalfall, der ausgerechnet in einem Dorf mit dem seltsamen Namen Much Deeping wurzelt. Unweit der südenglischen Küstenstadt Bournemouth in der Grafschaft Dorset gelegen, konnte dieses Nest bisher höchstens eine Sehenswürdigkeit bieten: Das „Fahle Pferd“, ein ehemaliges Gasthaus, beherbergt Thyrza Grey, Sybil Stamfordis und Bella Webb, die von der lokalen Bevölkerung als Okkultistin bzw. Medium bzw. Hexe respektiert bzw. gefürchtet werden.

Die Aufmerksamkeit der Polizei richtet sich aktuell jedoch auf den brutalen Mord am katholischen Pater Gorman, bei dessen Leiche man eine Namensliste fand, die der Mörder offenbar gesucht, aber nicht gefunden hatte. Inspektor Lejeune wird bei seinen Ermittlungen ‚unterstützt‘ vom neugierigen, aber detektivisch eher dilettierenden Mark Easterbrook. Locker involviert ist außerdem die Krimi-Schriftstellerin Ariadne Oliver, die schon (und sogar an der Seite des berühmten Privatdetektivs Hercule Poirot) einige Mordfälle ‚geklärt‘ hat.

Das „Fahle Pferd“ ist Wirkungsstätte einer kapitalkriminellen Bande, die mit ‚magischem‘ Brimborium eine ganz besondere Dienstleistung tarnt: Hier kann sich melden, wer lästig gewordene Mitmenschen loswerden will. Sie werden mit einem ‚Fluch‘ belegt, der sie zuverlässig, rasch und polizeilich unauffällig unter die Friedhofserde bringt. Easterbrook stellt sich als ‚Kunde‘ vor und präsentiert eine Freundin als Opfer bzw. Köder. Obwohl er an Magie nicht glaubt, muss er feststellen, dass auch fauler Zauber verhängnisvoll wirksam werden kann …

Stil über Plot

51 Kriminalromane hatte die fleißige Agatha Christie bereits geschrieben, bevor sie Ende 1961 Das fahle Pferd veröffentlichte. Das Genre war so, wie sie es bediente, längst ausgeschöpft, aber Christie Profi genug, um dies unterhaltsam bemänteln zu können. Man kann - und so ist es geschehen - durchaus kritisieren, dass der hier ausgerollte Kriminalfall beinahe nebensächlich bzw. der Plot abenteuerlich ist, um es freundlich auszudrücken. In der Tat gilt Christies Hauptinteresse der Schaffung einer ‚unheimlichen‘ Atmosphäre, die sie gleichzeitig persiflieren möchte - ein Versuch, der erstaunlich gut gelingt, wenn man sich auf ihr Spiel einlässt sowie seine speziellen Regeln kennt.

Das fahle Pferd bedient sich gekonnt jener Methoden (und Stereotypen), mit denen britische Autoren literarischen Horror heraufbeschwören wollten. Aus heutiger Sicht fällt dieser vergleichsweise zahm aus, doch um 1960 wurden andere Maßstäbe angelegt. Christie orientierte sich primär am Werk des zeitgenössisch überaus erfolgreichen Dennis Wheatley (1897-1977), der sich einen Namen mit Romanen machte, die okkulte Praktiken, Teufelsglauben und dämonische Besessenheit in den Mittelpunkt stellten. Böse, schwarzmagisch begabte Bösewichte stellten dabei hübschen, ‚unschuldigen‘ „Mädchen“ nach, die erst gerettet und dann geheiratet werden mussten.

Christie erinnerte außerdem an einen ‚realen‘ Magier bzw. „Magicker“. Aleister Crowley (1875-1947) hatte sich in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg einen Namen als Okkultist, Schriftsteller und (sexuell) ruchloser Regelbrecher gemacht, wobei er seine diesbezügliche Prominenz tatkräftig durch negative Eigenwerbung verstärkte. Inwieweit oder ob er überhaupt an Magie glaubte, war eigentlich Nebensache. An Crowley erinnert man sich als manipulativen Scharlatan, der irgendwann seinem eigenen Bild nicht mehr gerecht wurde und zur Karikatur verkam. In seinen besten Zeiten war er freilich das Vorbild für zahllose literarische und filmische Zaubermeister der besonders sinisteren Art; Christie nennt ihre Variante Mr. Venables.

Es spukt - oder ist das die moderne Gegenwart?

Wirklich ernst nimmt Christie die ‚Magie‘ nur vordergründig. Ohnehin lässt sie immer wieder durchblicken, dass sie uns hier mit einer fiktiven Geschichte konfrontiert, weshalb die Autorin so ihre Späße treibt. Dies sollte man im Hinterkopf behalten, weil es das Urteil über diesen Roman beeinflusst, der als Krimi wie gesagt schwächelt, während sich der Plot in das ‚phantastische‘ Umfeld einfügt. Man kennt Christie heute als Autorin klassischer Kriminalromane, doch sie war vor allem in ihren jüngeren Jahren keineswegs auf dieses Genre festgelegt und hat eine ganze Reihe lupenreiner Grusel- und Geistergeschichten geschrieben (die übrigens auch hierzulande übersetzt vorliegen – Rolltreppe ins Grab, um ein Beispiel zu nennen).

Schon der Titel ist eine Anspielung: Christie setzte gern bekannte (Kinder-)Reime ein, die vor dem Hintergrund kunstvoll verwickelter Mordermittlungen eine neue, ironische Deutungsebene erreichten. Dieses Mal griff Christie auf die Bibel zurück: „Da sah ich und siehe, ein fahles Pferd; und der auf ihm saß, heißt ‚der Tod‘; und die Unterwelt zog hinter ihm her“, heißt es im 6. Kapitel der Offenbarung des Johannes über den vierten der apokalyptischen Reiter, die am Tag des Jüngsten Gerichts auftauchen werden. Der scheinbar unheilvolle Unterton löst sich final überaus rational auf, und Christie betont dies durch einen ironischen Epilog, der weitere ‚Rätsel‘ nicht nur löst, sondern ihnen auch jegliche womöglich noch innewohnende Übernatürlichkeit austreibt (sowie eine dem Geschehen übergestülpte, künstlich komplizierte Lovestory, die ebenso demonstrativ in eine Ehe mündet).

Weil es in diesem Rahmen nicht nötig ist, lässt Christie dieses Mal keinen kriminalistischen Experten, sondern einen weitgehend lebensuntauglichen Laien (Easterbrook ist Historiker, der über ostentativ langweilige Themen forscht) ‚ermitteln‘, der - wieder führt die Autorin trügerisch locker die Zügel - dort herumstolpern darf, wo es einem Polizisten nützt, der deutlich listiger ist als die Christie-üblichen Scotland-Yard-Beamten. Mark Easterbrook findet zwar heraus, was hinter dem tödlichen ‚Fluch‘ steckt, doch er täuscht sich, als er den Täter erkannt zu haben glaubt. Erst Inspektor Lejeune reißt einer bisher täuschend tölpeligen Nebenfigur die Maske vom Gesicht und sorgt gleichzeitig für jenen Twist, der auch die Leser in Verblüffung stürzen soll. Sie haben sich (hoffentlich) auf den von Easterbrook ‚entlarvten‘ Unhold konzentriert und somit unterhaltsam täuschen lassen - dies freilich auch deshalb, weil Das fahle Pferd zu jenen Kriminalromanen gehört, die ein ‚faires‘ Miträtseln durch die Leser nicht wirklich ermöglichen, obwohl die Autorin nachträglich (angebliche) Hinweise auf den Täter enthüllt.

Das fahle Pferd im Fernsehen

Agatha Christie ist quasi ein Stützpfeiler des britischen Fernsehens, das ihre zahlreichen Romane oft sowie bereits mehrfach aufgegriffen hat. Das fahle Pferd stellt keine Ausnahme dar, wobei die Geschichte jedes Mal zum Teil grundlegend verändert wurde, um angeblichen Zuschauererwartungen gerecht zu werden = diese Geschichte in einen ‚ernsthaften‘ Krimi zu verwandeln.

Erstmals wurde der Roman 1996 für den Sender ITV verfilmt; in dieser Fassung gilt Mark Easterbrook als Verdächtiger im Mordfall Gorman, um die Dringlichkeit seiner Ermittlung dramatisch zu unterstreichen. 2010 wurde die Vorlage - wieder für ITV - gar für eine Folge der Erfolgsserie Agatha Christie’s Marple (Staffel 5, Episode 1) umgeschrieben; nun fahndet Miss Jane Marple nach dem Mörder ihres Freundes Pfarrer Gorman, während Mark Easterbrook durch Abwesenheit glänzt.

2016 bildete der Roman die Vorlage für Folge 13 (Le cheval pâle) der französischen Serie Les Petits Meurtres d'Agatha Christie. Für BBC One entstand 2019 der Zweiteiler The Pale Horse, dessen Drehbuch erneut durch zum Teil markante Eingriffe geprägt wurde.

Fazit

Agatha Christies 52. Roman ist ein Krimi, der mit den Regeln und Chiffren des Genres spielt und dabei absichtlich in scheinbar übernatürliche Gefilde abdriftet, deren Klischees die Autorin geschickt einsetzt, ohne dabei ihre Absicht zu verhehlen: Hier spukt es nicht wirklich, aber auch die Auflösung der tatsächlichen Ereignisse erhebt keinen Anspruch auf Glaubwürdigkeit - ein Konzept, das man als Leser akzeptieren muss.

Das fahle Pferd

Agatha Christie, Atlantik

Das fahle Pferd

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