Quercher und das Jammertal
- Grafit
- Erschienen: Oktober 2018
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- Dortmund: Grafit, 2018, Seiten: 288, Originalsprache
Soll es das tatsächlich gewesen sein für Quercher?
Als studierter Soziologe und Journalist hat Martin Calsow nie einfach nur Kriminalromane geschrieben. In seinen Büchern hat er sich auch immer mit politischen Entwicklungen und gesellschaftlichen Phänomenen auseinandergesetzt. Insbesondere sein knorriger LKA-Ermittler Max Quercher, wie der Autor am bayrischen Tegernsee beheimatet, ist immer wieder über kriminelle Machenschaften gestolpert, die in politische Kreise im Spezl-Staat hinein reichten.
Im vorliegenden sechsten Band der Reihe sollte Quercher nun auf Andreas Atlas treffen. Den ziemlich speziellen Charakter, einen aufgeflogenen BKA-Zielfahnder, hatte Calsow in seiner alten Heimat am Teutoburger Wald angesiedelt. Das Umeinanderschleichen der beiden so verschiedenen Ermittler hätte großes Kino werden können, aber der Ausflug von Quercher nach Nordrhein-Westfalen dauerte zwar zwei Jahre, wird im aktuellen Buch aber aus nicht nachvollziehbaren Gründen nur in kurzen Andeutungen erwähnt. Schade, da ist in meinen Augen eine richtig gute Geschichte leichtfertig verschenkt worden.
Wie so oft tritt Quercher wieder einigen Menschen auf die Füße
Im “Jammertal”, womit natürlich das Tegernseer Tal gemeint ist, gibt es mal wieder ein Gewaltverbrechen. Ein örtlicher Immobilien-Mogul findet zusammen mit seiner zweiten Frau bei einer Explosion ihres Bootes auf dem See den Tod. Quercher ist inzwischen als privater Ermittler unterwegs, weil es ihm nach dem Tod seines väterlichen Freundes und LKA-Präsidenten im Amt zu eng geworden ist. Er kann sich nicht vorstellen, dass der spektakuläre Vorfall auf dem See ein Unfall war, und wird außerdem von einer ehemaligen Lehrerin mit privaten Nachforschungen beauftragt. Als dann auch noch die alte Dame getötet wird, ist Querchers Jagdinstinkt endgültig geweckt.
Wie so oft bei seinen Fällen tritt der Ermittler einigen Menschen auf die Füße, wenn auch zunächst nur unbewusst. Aber, und das macht zum großen Teil den Charme der Quercher-Romane aus, dem alten Fuchs ist das völlig egal. Allerdings hat sich seine Situation völlig verändert, seit der verstorbene Ex-Präsident des Landeskriminalamtes, ein väterlicher Freund und Mentor von Quercher, nicht mehr seine schützende Hand über den Poltergeist vom Tegernsee halten kann. Immerhin weiss die neue Präsidentin der Behörde um Querchers ermittlerische Qualitäten, in diesem Fall steht sie allerdings selbst zeitweise in der Schusslinie. Eine gefährliche Gemengelage also für seine Nachforschungen, bei denen er schnell selbst in Gefahr gerät.
Calsow hat den Rahmen des Regionalkrimis gesprengt
Max Quercher ist eine ungewöhnlicher, und in meinen Augen hochgradig interessanter Charakter. Wenn die spannende und lesenswerte Reihe jetzt wegen des Verlagswechsels - Grafit wurde von emons geschluckt - auf der Strecke bleiben sollte, wäre das mehr als bedauerlich. Aber im Moment sieht es wohl so aus.
Martin Calsow ist es hervorragend gelungen, den Rahmen des vermeintlichen Regionalkrimis mit seinen Themen mühelos zu sprengen. Auch in “Jammertal” geht es um mehr als einen Immobilienhai im Tegernseer Tal. Die Akteure der vermeintlichen bayrischen Staatspartei haben Angst, ihre dominante Rolle zu verlieren. Eine neu aufkommende politische Bewegung am rechten Rand des Spektrums zieht illegale Fäden im Hintergrund. Da ist die Geldwäsche eines russischen Oligarchen schon fast eine Nebensächlichkeit.
Quercher ist nicht nur wegen seiner guten Spürnase und seiner unkonventionellen Methoden als Ermittler eine schillernde Figur, sondern auch als Mensch. Er ist keine gescheiterte Existenz, wie das bei vielen Autoren mittlerweile leider Mode geworden ist, sondern ein gestandener Mann in der Mitte des Lebens. Und er geht mit den verschiedenen Wechselfällen des Lebens relativ normal um.
Der Tod seines väterlichen Freundes hat ihn mitgenommen, das Zusammenleben mit seiner Kollegin Arzu und ihrem Sohn ist nicht immer einfach, und die Beziehung mit seiner adeligen Freundin ist in die Brüche gegangen. Das treibt Quercher weder in die Alkohol- noch eine sonstige Sucht. Er grantelt hier und da, aber das hat er schon immer getan. ansonsten versucht er, sein Leben als Pensionär und Privatermittler einigermaßen angenehm zu gestalten. Sehr authentisch, sehr sympathisch.
Fazit:
Max Quercher ist ein Ermittler, wie ich ihn als Leser gerne begleite. Knorrig, unkonventionell - wie ein guter Verteidiger beim Fußball geht er dahin, wo es wehtut. Mit seinen stets aktuellen und authentisch erzählten Geschichten gehört Martin Calsow zu den bemerkenswerten Autoren von Kriminalliteratur in Deutschland. Es bleibt zu hoffen, dass er sein Schaffen irgendwie fortsetzen kann. Hier steht nicht nur Kriminalroman drauf, hier ist auch unterhaltsame Spannung drin.
Martin Calsow, Grafit
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