Roter Herbst 77 - RAF 2.0
- SWB
- Erschienen: Januar 2017
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- Waiblingen: SWB, 2017, Seiten: 335, Originalsprache
Reader's-Digest Ausgabe des Baader-Meinhof-Komplexes
Wer in Deutschland in den 70er Jahren die Postämter besuchte, der kann sich noch an sie erinnern: Plakate im Format DIN A3, mit diversen mehr oder weniger ungünstigen Porträt-Aufnahmen von jungen Leuten mit mehr oder weniger unmöglichen Frisuren und teilweise sehr kalten Augen. Es waren die Plakate mit denen nach den Mitgliedern der "Roten Armee-Fraktion" (RAF) gefahndet wurde.
Gelegentlich fand sich auf den Plakaten dann auch ein Hinweis auf einen Fahndungserfolg, nämlich dann wenn die Postbeamten ein Gesicht nach einer Verhaftung mit einem gerade noch funktionstüchtigen Kuli durchgestrichen hatten. Die RAF sorgte mit ihrem Markenzeichen, dem roten Stern und der darin eingelassenen Maschinenpistole von Heckler und Koch, für Angst und Schrecken. Mehr als 30 Morde und viele weitere schwere Verbrechen gehen auf ihr Konto.
Ein zugedröhnter Ermittler auf Erfolgskurs
In seinem Buch "Roter Herbst 77 - RAF 2.0" widmet sich der Autor Stefan Schweizer den Geschehnissen des so genannten "Deutschen Herbstes". Die erste Generation der RAF - namentlich: Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Jan-Carl Raspe und Gudrun Ensslin - sitzt in Haft, die zweite Generation tritt ihr Erbe an und setzt die zerstörerischen Schritte und letztendlich den damit verbundenen Plan der "Big Raushole" fort. In dieses historische Szenario pflanzt Schweizer seinen fiktiven Helden Harald "Harry" Grass, der - salopp formuliert - als Sonderermittler "in Sachen Terrorismus" aufsteigt. Rückblickend kommt dieser Aufstieg nicht überraschend, dürfte doch ein Ermittler, der sich mit der Terrorszene in Deutschland auskannte, im Jahr 1977 einen mehr als gedeckten Tisch vorfinden.
Dennoch lässt sich hier schon der erste Kritikpunkt finden, denn obwohl Grass zum Schluss drei Gehälter - von offensichtlich drei unterschiedlichen Behörden - bezieht, und damit nicht nur seiner Drogensucht ausgiebig frönen, sondern auch ein großes Haus in Bestlage finanzieren kann, bleibt unklar, wie er eigentlich seine Brötchen verdient. Von einem Mitabeiterteam, einem Behördenstab ist nie die Rede - Grass scheint vielmehr als Einzelkämpfer unterwegs zu sein. Unwahrscheinlich, dass er in dieser Konstellation der Komplexität der Aufgaben gerecht werden kann. Erschwert wird das durch seine zunehmende Drogenabhängigkeit.
Schweizer lässt seinen Helden die Einsätze vollkommen stoned angehen. In einem halbwegs realen Szenario dürfte er sich damit zur Lachnummer der zu verfolgenden Terroristen machen, bei den Ermittler-Kollegen wäre er mit einer solchen Geschichte unten durch. Schweizer ist indes mit seinem Helden wesentlich gnädiger. Sein desolates, abgerissenes Äußeres scheint vielmehr zu beeindrucken und gelegentlich lässt sich damit immerhin Mitleids-Sex abstauben - zumindest dann, wenn die "linke Szene" jung und naiv genug ist, um auf solche vordergründigen Verkleidungen hereinzufallen.
Die dunkle Seite der Macht
Mit diesem Szenario bagatellisiert Schweizer aber auch die historisch belegte Gefährlichkeit der RAF-Terroristen. Wie gefährlich konnten diese schon sein, wenn es sogar ein zugeknallter Ermittler schaffte, auf ihren Fersen zu bleiben? Überhaupt zeichnet der Autor im Hinblick auf Grass' Widersacher ein eigenartiges Bild: So wird Andreas Baader durchgehend als "Andi" bezeichnet. Ein Name, der quasi eine Verbindung, ein Miteinander-bekannt-sein initiiert und damit eine Verbindung schafft, die zwischen einem Ermittler und einem Verbrecher nicht gewünscht sein kann.
Generell fragt sich der Leser öfter, ob Schweizers Protagonist nicht ein wenig zu sehr von der "dunklen Seite der Macht" angezogen wird. Diese Frage muss aber auch dem Autor gestellt werden. Gerne werden die von ihm beschriebenen Terroristen mit fast heldenhaften Attitüden beschrieben, kann doch ihr Blick eine "Mischung aus Che Guevaras Tapferkeit und Maos Entschlossenheit" aufzeigen. Die Opfer dieser prominenten Mischung werden dagegen gerne als blasiert, arrogant oder zumindest als "spießig" beschrieben. Es würde zu weit gehen, wenn man behauptet, sie verdienen es, die Opfer zu sein, dennoch entsteht teilweise der Eindruck, dass ihr Schicksal bagatellisiert wird oder aber die als arrogant und blasiert beschriebenen Vertreter des Gesetzes zumindest eine Teilschuld tragen.
Schweizers Buch vermischt historische Fakten und fiktive Gegebenheiten. Möglicherweise könnte das bei einem historischen Roman funktionieren, bei dem sich ein Großteil der Leserschaft nicht an die damaligen Gegebenheiten erinnert. Hier aber klappt das nicht. Ungenaue Wiedergaben der historischen Fakten fallen sofort auf. Wer sich mit der Entführung der Lufthansa-Maschine "Landshut" auseinander gesetzt hat, weiß beispielsweise, wie sich die letzten Momente im Leben des Jürgen Schumann gestalteten. Sein bis heute nicht geklärtes Verschwinden, das zu seiner Ermordung führte, mit einem banalen und sinnlosen Telefonat mit dem zugedröhnten Grass zu erklären, kommt hier schon fast einer Frechheit gleich.
Immerhin hat Schweizer solche Kritikpunkte offensichtlich schon voraus gesehen und "tarnt" tatsächliche Zeitzeugen mit untauglichen Verkleidungen: Aus Brigitte Mohnhaupt wird daher "Gitte Mohn", aus dem Copiloten der Landshut Vietor wird ein "Vector", und hoffentlich denkt hier niemand an den Bösewicht aus "Ich - Einfach unverbesserlich". Ob diese Pappnasen-Tarnungen tatsächlich geeignet sind, Klagen abzuwehren, kann und soll hier nicht beurteilt werden, bei der Lektüre sorgen diese Namen nur für weitere Irritationen.
Bessere Nachrichten gibt es auch nicht im Hinblick auf den fiktiven Teil des Buches. Die Geschichte um den unsympathischen Helden Harry Grass bleibt so rudimentär und bruchstückhaft wie die immer wieder kehrende abgehackte Sprache des Autors. Warum dieser immer wieder stakkatohafte Aufzählungen nach dem Muster ""Er fühlte sich gut / stark / bedeutsam" denn "Deutschland / der Kanzler / die Minister benötigten jetzt seine Hilfe", bleibt hier unklar, geht aber bei fortgesetzter Lektüre gewaltig auf die Nerven / den Zeiger / die Nüsse. Unklar auch, warum der "Held" immer wieder in die Drogensucht rutscht, es aber auch wieder schafft sich zu lösen. Nicht erklärt wird, wie die immer wieder auftretenden ehelichen Krisen bewältigt werden, vollkommen unklar bleibt, warum Grass auf einmal die durch nichts begründete Paranoia entwickelt, selbst in das Visier der RAF geraten zu sein, nicht aufgeklärt seine permanenten Schmerzen (die aber immerhin auch dem medizinischen Laien den Verdacht eines kürbisgroßen Magengeschwürs nahe legen) und einiges mehr.
Auf den Punkt gebracht: Wer einen spannenden Roman lesen möchte, der sollte es vielleicht doch einmal mit Michael Robotham und Kollegen versuchen, wer durchdachte ,aber dennoch unterhaltende Fachliteratur zum Thema lesen möchte, der sollte das Standardwerk wählen. Denn ein zweiter Aufguss bleibt nun mal ein zweiter Aufguss - da beißt die Maus keinen Faden ab / dagegen ist kein Kraut gewachsen / das ist nun mal so.
Stefan Schweizer, SWB
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