Wahrheit gegen Wahrheit
- btb
- Erschienen: Januar 2018
- 8
- München: btb, 2018, Seiten: 350, Übersetzt: Stefanie Retterbush
Stirb die Professionalität immer zuerst?
Vielleicht haben es Einige auch schon so erlebt: Eine große Menge an Energie wird auf ein wichtiges Ziel gerichtet. Sei es beruflicher, sei es privater Natur - und wenn es dann erreicht wird, beinhaltet es möglicherweise eine üble Überraschung. So mancher hat sich dann schon gewünscht, die Kiste wieder schließen zu können, nachdem der "Kastenteufel" heraus gehüpft ist. Mit einem Spielzeug mag das funktionieren, mit Kenntnissen und Informationen, die auf diese Weise frei gesetzt wurden, ist das dagegen fast ein Ding der Unmöglichkeit.
Diese Erfahrung muss auch Vivian Miller machen. Viel Arbeit und Mühe hat sie in ein Programm investiert, das verschlüsselte Informationen über russische Spione in den USA entschlüsseln kann. Erfreulicherweise funktioniert das Programm tatsächlich - und so werden gut gehütete Geheimnisse der Russen sichtbar. Unerfreulicherweise gehörte Vivans eigener Mann offensichtlich zu einem dieser gut gehüteten Geheimnisse.
Wer bei der CIA arbeitet, sollte wissen, was jetzt zu tun ist
Karen Cleveland startet ihren Roman mit der oft beobachteten Zerrissenheit vieler Frauen, die einerseits ihren Beruf und andererseits ihre Familie "wuppen", und sich mit dieser Doppelbelastung aufreiben. Vivian hetzt von einem Schauplatz zum anderen, hat permanent das Gefühl, dass ihre Kinder bei diesen Verrenkungen zu kurz kommen, sieht sich ständig mit einem schlechten Gewissen belastet, und erfährt jetzt auch noch, dass ihr komplettes Leben möglicherweise auf einer Lüge aufgebaut ist.
Mit dieser Erfahrung und dem familiären Stress schafft Karen Cleveland ein sehr gut aufgebautes Szenario der inneren Zerrissenheit. Wie geht man mit einer Wahrheit um, die ein ganzes Leben umkrempeln, eine Familie zerreißen, alle Planungen ad absurdum führen wird? Wäre es nicht besser, diese Wahrheit einfach zu verstecken?
Kann ein Spion seine Prioritäten in Richtung Familie verschieben?
Ein besonderes Spannungsfeld konstruiert die Autorin durch die Einführung der verschiedenen Erinnerungs-Flashbacks der Hauptperson. Hier werden die Anfänge der Liebesbeziehung zu ihrem Ehemann - also zu dem zielgerichteten potentiellen Schläfer - Matt geschildert. Geschickt werden dabei Zweifel an seiner Aufrichtigkeit gesät. Ist jemand, der sich auftragsgemäß einer Zielperson nähert und diese in eine Liebesbeziehung verstrickt, tatsächlich jemand der sich anschließend in erster Linie als Familienvater betrachtet und damit seine politischen Ziele in die zweite Reihe stellt?
Wie aufrichtig ist ein Mann, der sich konzentriert, subversiv und geschickt über die Bedürfnisse seiner Partnerin hinwegsetzt und diese genau in die Position hinein lotst, in der sie für seine Ziele am besten "funktioniert"? Diese Fragen machen die Lektüre des Buches spannend, bilden aber auch gleichzeitig seinen Schwachpunkt, da die Heldin offensichtlich nicht in der Lage ist, diese Fragen zu reflektieren.
Eine CIA-Agentin sollte professioneller mit der Krise umgehen
Dennoch ist diese Haltung auch nachvollziehbar: Wer sich plötzlich mit der Frage konfrontiert sieht, ob der Mensch, dem man am meisten vertraute, tatsächlich der ist, der er zu sein behauptet, der verschließt möglicherweise vor allen Hinweisen die Augen, die dieses Gerüst weiter zum Wanken bringen können. Dennoch muss auch kühl festgehalten werden, dass von einer CIA-Agentin eine größere Professionalität erwartet werden dürfte und nicht nur emotionale Reaktionen, die letztendlich die Krise nur noch verschlimmern.
Diese Frage dürfte generell das größte Manko des Buches bilden: Ist eine Frau, die sich seit Jahren in einer Männerdomäne behaupten kann - also buchstäblich ihren "Mann" steht - wieder so leicht in die alte Rolle des "Weibchens, das gerettet werden muss" zurückzukatapultieren, sofern es um Fragen der Familie geht? Bleibt das "schwache Geschlecht" im letzten Schritt also tatsächlich schwach und will und verlässt sich weiter auf den Ritter mit dem weißen Ross? Kann nicht auch eine Krise dazu geeignet sein, neue Wege aufzuzeigen oder das zu markieren, was offensichtlich in der Vergangenheit falsch oder zumindest unrund lief?
Letztendlich kann diese Frage - trotz des gelungenen Spannungsaufbaus - nicht umfassend und befriedigend geklärt werden. Unbefriedigend auch die grundsätzliche Auflösung, die sich recht holprig und abrupt präsentiert. Dennoch bleiben die abschließenden Fragen des Romans interessant und spannend. Im Dunkeln bleibt auch, wie der weitere Lebensweg der Protagonistin verlaufen wird. Für die Freunde geschlossener Kreise mag das unbefriedigend sein, dennoch scheint Clevelands Lösung hier die passende, muss es doch auch fraglich sein, ob der Hydra eines Tages die nachwachsenden Köpfe ausgehen könnten.
Karen Cleveland, btb
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