Die Rache des Falken
- Edition M
- Erschienen: Januar 2018
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- Luxembourg: Edition M, 2018, Seiten: 512, Originalsprache
Weltpolitik als Familiengeschichten erzählt
Die Autoren fassen mit dem Nahostkonflikt und der Verstrickung von Ost und West ein heißes Eisen an. Aber die Weltpolitik ist nur das übergeordnete Thema, die eigentliche Geschichte geht um die persönlichen Tragödien und das tägliche Leben in den betroffenen Ländern. Anhand der Geschichte dreier Familien wird dem Leser Weltpolitik näher gebracht.
Der russisische General Jurij Arbatow erlebt sowohl die Blüte als auch den Zerfall der Sowjetunion. Frustriert über den schlechten Zustand der Streitkräfte und dem Prestigeverlust nach dem Wegfall des Ostblockes lässt er sich dazu verleiten den Atomsprengkopf zu stehlen.
Der Nahostkonflikt wird aus jüdischer Sicht durch die Erlebnisse der Familie Berman erzählt. Tochter Ruthi gehört zu den Anhängern von "Frieden jetzt", die eine Aussöhnung mit den Palästinensern anstreben, Sohn David stirbt als Soldat im Südlibanon, Avi ist Mitglied des Mossad und Vater Jacow erlebt als wiederaktivierter Reservist 1982 die Massaker an Palästinensern in den Lagern von Süd-Beirut.
"Der Falke", Top-Terrorist, erzählt die Geschichte aus Sicht der Palästinenser. Er musste als Kind 1982 die Vergeltungsmaßnahmen in Süd-Beirut mit ansehen, die ihn radikalisierten und seit denen er auf Rache für die Vertreibung und Ermordung seines Volkes sinnt.
Der Bogen der Ereignisse setzt im September 1982 mit der Ermordung des designierten libanesischen Präsidenten Gemayel ein, spannt sich über die Jahre hinweg und endet 2018 in der Zeit, die wir erleben und in der die Konflikte immer noch die alten sind oder gerade wieder werden.
Zu viele Personen verderben die Geschichte
Statt sich auf wenige Nebencharaktere zu beschränken und die Handlung den Protagonisten zu überlassen, wimmelt es in der Geschichte nur so von Personen, die in einem kurzen Moment auftauchen um dann ins Nirvana zu verschwinden. Umso verwirrender ist es, dass diese teilweise wie Hauptfiguren eingeführt werden und sich ein paar Seiten später doch als relativ irrelevant herausstellen. Hier wäre weniger mehr gewesen. Die Fülle an arabischen, hebräischen und russischen Namen kann doch sehr verwirrend sein. Vielleicht wäre hier eine beiliegende Namensliste ganz hilfreich gewesen.
Wenn Klischee Wirklichkeit ist
"Der Falke" Ali Ben Nasar, Avi Berman und Jurij Arbatow sind dann auch die wichtigen Hauptpersonen aus den drei unterschiedlichen Kulturkreisen. Leider entsprechen sie in jeder Hinsicht auch dem Klischee, das so oft bei Palästinensern, Israelis und Russen hervorgeholt wird. Ali Ben Nasar will alle Israelis und deren Verbündete lieber tot als lebendig sehen, Avi Berman denkt das gleiche von den Palästinensern, der Hisbollah und deren anderen Unterstützern und der Russe Jurij Arbatow ist ein Vodka-trinkender vom jetzigen Russland Enttäuschter und bereit alles für ein Russland wie zu Sowjetzeiten zu tun.
Aber, so traurig diese Stereotypen auch sind, genau solche und nur solche Menschen sind die Extremisten, die zu Anschlägen bereit sind. Und so wird aus einem Klischee traurige Wirklichkeit. Aber man sollte nie vergessen, dass es in jedem Land Menschen gibt, die nur in Frieden leben wollen, auf Versöhnung hoffen und nichts mit Terrorismus zu tun haben. Leider erwähnt das Autorenduo nur die jüdischen Bemühungen um Ausgleich, die arabische Seite wird traurigerweise als durchgehend gewaltbereit dargestellt. Hier hätte Herr Sonne die Möglichkeit gehabt mit einem Klischee aufzuräumen, aber die Chance ist wohl der Dramaturgie der Geschichte zum Opfer gefallen.
Spannung ist garantiert
Mit dem Rückblick auf die Zeit 1982-1995 legen die Autoren die Grundlage für die Handlungen 2018. Mit dem Beginn der Vorbereitungen für den Anschlag verflechten sich die einzelnen Geschehnisse zu einem Strang, der dann zum Schluss noch einmal die Auswirkungen auf die drei Familien zeigt. Aber die lange Vorgeschichte ist auch der Schwachpunkt in puncto Spannung. Immer wieder springen die Autoren zwischen Beirut, Israel und dem Aufenthaltsort von Juij Arbatow hin und her. Hier erfolgt ein regelrechter Infodump, ein Rundumschlag durch die Geschichte der Sowjetunion und dem Nahen Osten.
Zwar sind die Kapitel mit Ort- und Datumsangabe versehen, aber teilweise so kurz, dass dem Leser sich kaum Zeit zur Orientierung bleibt, bevor er den Handlungsort und die agierenden Personen schon wieder verlassen muss. Trotzdem verliert die Geschichte nie an Fahrt, der Leser schwankt permanent zwischen Verständnis für die Probleme der Protagonisten, ist gleichzeitig aber abgestoßen mit welcher Kaltblütigkeit und Brutalität die Ziele verfolgt werden. Und natürlich bleibt die Frage, ob der Sprengkopf früh genug entschärft werden kann oder ob alles in die Luft fliegt.
Ein Plot, der hoffentlich nur fiktiv bleibt
Sonne und Ehudin inszenieren in ihrem Thriller den Supergau. Ein Atomsprengkopf bedroht eine Großstadt, ein Staat wird erpresst, die Weltordnung steht vor dem Zusammenbruch. Schlimmer kann es eigentlich nicht mehr kommen. Und so hofft man, dass das nie passieren wird. Aber gleichzeitig zeigt "Die Rache des Falken" auf erschütternde Weise, wie schnell Fiktion Realität werden könnte. Wenn von der Welt Enttäuschte und Gewaltbereite sich zusammen tun, braucht es nicht viel um den Brand zu legen, der alle ins Verderben reißen kann. Der Thriller verdeutlicht sehr anschaulich, wie Bündnisse zwischen Staaten diese in Zugzwang bringen können, wie Sympathien und Antipathien das Weltgeschehen prägen und, wie wenig der Ottonormalverbraucher Einfluss hat.
Ein Poltikthriller für Nahost-Interessierte
"Die Rache des Falken" geht unter die Haut. Mit der Überarbeitung des Buches "Allahs Rache" aus dem Jahr 1999 ist dem Autorenteam ein spannender Thriller gelungen, der vor allem Nahost-Interessierte ansprechen dürfte. Er ist manchmal sehr brutal und permanent beängstigend. Ständig ist dem Leser klar, diese Fiktion ist eine der aktuellen Bedrohungen auf dieser Erde. Die Verflechtungen in der Politik, die Allianzen, die damit verbundenen Verpflichtungen und der anscheinend unlösbare Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern und seine Auswirkungen auf den Rest der Welt ist gut thematisiert. Vor allem zeigt die Geschichte aber, dass Hass immer mehr Hass und Gewalt immer mehr Gewalt gebiert, denn zum Schluss gibt es keine Gewinner, sondern nur Verlierer.
Werner Sonne, Edition M
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