Ihr totes Herz
- Blanvalet
- Erschienen: Januar 2018
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- München: Blanvalet, 2018, Seiten: 383, Originalsprache
Nicht perfekt, aber logisch
Durch einen Schlag auf den Kopf, den ihr einer der Täter verpasst hatte, kann sich Jessie jedoch bis heute nicht an die Tat erinnern. Auch in der Folgezeit hatte sie immer wieder Gedächtnislücken. Erst als sie nach Europa ging, um dort zu studieren, hörte es auf. Fängt jetzt alles wieder von vorne an, nachdem sie sich ein neues Leben aufgebaut hat?
Jessies Perspektive
Nur langsam werden die Zusammenhänge aufgeblättert, da der Leser nur das erfährt, was Jessie weiß und woran sie sich erinnert. Anspielungen auf ihre Vergangenheit machen neugierig, was damals passiert sein könnte: "als ihr Leben sich über Nacht in einen Scherbenhaufen verwandelt hatte."
Ihre Panik, dass die Gedächtnislücken zurückgekehrt sind, wird durch ihren Ex-Freund Bert, einen Strafverteidiger, gemildert. Er vermutet eher K.O.-Tropfen, die sie zudem nicht in die Lage versetzen würden, jemanden zu ermorden.
Er leitet sie an und führt sie durch die schwierige Zeit. Eine weitere Stütze ist Freundin Helen, die damals bei der Gruppenvergewaltigung auch dabei war, allerdings rechtzeitig fliehen und Hilfe holen konnte, die allerdings zu spät kam. Diese Vorwürfe macht sie sich noch heute.
Als Jessie im Polizeirevier ihre Aussage macht, vermuten die Kommissare Murray und Jacobson eine Rachetat ihrerseits. So langsam beginnen die Ermittlungsgedanken beim Leser zu rollen, die unweigerlich Fragen nach sich ziehen: wenn Jessie nicht die Täterin ist, wer war es dann? Wer hatte ein Motiv und wer die Gelegenheit? Warum würde jemand Jessie die Tat anhängen wollen?
Charaktere und ihre Reaktionen
Die Figuren sind wenig originell ausgearbeitet. Jessies Vater ist nur auf seinen guten Ruf bedacht, ihre Mutter macht ihr permanent Vorwürfe, während Schwester Fran vergöttert wird, die allerdings ihr Leben nicht auf die Reihe bekommt und sich natürlich dauernd die falschen, sprich: brutalen Typen als Freunde aussucht.
Mit Bert gibt es eine Hop-on-hop-off-Beziehung, und mit Helen kann man am besten einen Wein trinken. Über Jacobson, der die Ermittlungen leitet, erfährt man kaum Persönliches außer die Eckdaten seiner beruflichen Laufbahn. Das bleibt alles zu blass und schematisch.
Auch Jessie reagiert mitunter fragwürdig, wenn sie wenige Tage nach der Vergewaltigung schon wieder Sex hat. Auch wenn sie sich an die Tat nicht erinnern kann, so hat sie doch körperliche Blessuren davongetragen, die schmerzhaft sind. Gerade als Frau kann man das eher nicht nachvollziehen.
Und wenn man nicht nach Hause will, dann fährt man den ganzen Tag im Auto umher. Hier greift die deutsche Autorin (Rebeca M. Williams ist ein Pseudonym von Eva Völler) ganz tief in die amerikanische Phrasenkiste.
Schade ist auch, dass New Orleans als Handlungsort kaum in Erscheinung tritt. Hier hätte man mehr Lokalkolorit herausarbeiten können, anstatt so vage zu bleiben, dass der Ort beliebig wird.
Der Modernität wird allerdings gut Rechnung getragen, indem Schaulustige Filme mit ihren Smartphonekameras aufnehmen oder sich die Nachrichten unter einem Hashtag über Twitter verbreiten.
Sackgassen und kurze Umwege
Obwohl das Thema brutal und schaurig ist, verzichtet die Autorin auf detaillierte Beschreibungen, was zum Teil damit zusammenhängt, dass dem Leser Jessies Sichtweise vermittelt wird, die sich nicht erinnern kann. Die Auswirkungen der damaligen Tat allerdings sind in voller Breite sichtbar und veranschaulichen, wie nicht nur der Einzelne, sondern auch die Menschen im Umfeld, Familie und Freunde, betroffen sind.
Manche Spuren, die ausgelegt werden, erweisen sich als Sackgassen und das teilweise relativ schnell. Das ist ein wenig schade, weil hier die Möglichkeit bestanden hätte, den Fall auszubauen und falsche Fährten zu legen. Dennoch ist das Ende überraschend und logisch aufgebaut.
Fakten und Gefühle
Wieso der Titel "Ihr totes Herz" gewählt wurde, bleibt das Geheimnis der Autorin oder des Verlags. Einer unglücklichen Übersetzung ist er nicht geschuldet, unpassend ist er trotzdem.
Insgesamt bleibt zu sagen, dass der Thriller es schafft, das Zusammenspiel zwischen der Ermittlung, die häppchenweise präsentiert wird, und dem Gefühlschaos von Jessie eine gute Balance zu finden, die den Leser zum Weiterlesen motiviert. Das sollte man auch, obwohl es zwischendurch die ein oder andere Länge gibt, bis zum Ende auf jeden Fall durchziehen.
Anne Sievers, Blanvalet
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