ESCAPE - Wenn die Angst dich einholt
- Knaur
- Erschienen: Januar 2018
- 3
- New York: Grand Central, 2017, Titel: 'Girl last seen', Seiten: 342, Originalsprache
- München: Knaur, 2018, Seiten: 344, Übersetzt: Alice Jakubeit
Opiate, Speed, Downer und Alkohol sind die besten Freunde
Der Klappentext klingt absolut vielversprechend. Endlich ein Buch, das bei vielen ähnlichen gestrickten Krimis aufregendes Entertainment ankündigt. Auch das Layout des Verlags, düster und neblig-grün, mit einem schemenhaft angedeuteten und offensichtlich fliehenden Mädchen gestaltet, impliziert spannende Unterhaltung.
Laine ist eine junge Frau, die scheinbar keine Perspektive hat. Opiate, Speed, Downer und Alkohol sind ihre besten Freunde.
Vom Supermarkt über die Bar zum Dealer
Sie hat wechselnde Jobs in Supermärkten, einen Zweitjob als Serviererin in einem Strip-Club und keinerlei Perspektive für ihr Leben. Sie ist ein hübsches Mädchen afroamerikanischer Herkunft und fast ihr gesamter Körper ist mit Narben bedeckt. Die versteckt sie. Manchmal geht sie joggen oder surft in einem Chat, wo Verschwörungstheorien zu Kriminalfällen Thema sind.
Die Geschichte spielt in der Regenstadt Seattle, und Laine lebt dort in einer miesen Gegend in einem Mini-Apartment. Das ist ihre Oase. Freunde hat keine. Kontakt hat sie nur zu ihrem Dealer oder zu Kolleginnen aus dem Club.
Laine bräuchte eigentlich konstante psychologische Betreuung, denn sie ist durch ein unbeschreibliches Ereignis schwer traumatisiert. Der widerliche und grausame Entführer hat sie nicht nur einige Jahre in einem düsteren Loch gefangen gehalten und gequält, sondern auch noch geschwängert.
Als sie endlich entkommen ist, wird sie 13jährig, hochschwanger und verwirrt vom "guten Cop" Sean ins Krankenhaus gebracht, wo sie das Kind bekommt und es nie wieder sieht.
Olivia Shaw: Ein Klon von Laine?
Laine sieht die Plakate an, wo ein Mädchen namens Olivia entführt wurde und sieht sich selbst. Zufällig ist der Ermittler der zuständige Cop, der der sie damals in Krankenhaus gebracht hat.
Dieser smarte Mann ist der einzige an den sie sich mit Wehmut erinnert, von dem sie träumt und schwärmt.
Laine möchte helfen den Fall aufzuklären, denn sie ist Ella, das entführte Mädchen von vor 10 Jahren. Der Cop nimmt sie mit zu den reichen Eltern von Olivia, wo Laine sich total daneben benimmt. So stolpert Laine/Ella durch die Ermittlungen.
Intention der gebrochenen Protagonistin oder Tagebuch einer Nervensäge?
Andauernd denkt Laine/Ella, aus deren Perspektive man die Geschichte ausschließlich erlebt, das gleiche oder versucht zu denken, denn die meiste Zeit ist sie durch die ganzen Tabletten, die sie einwirft nicht wirklich dabei. Und das macht das Buch unglaublich anstrengend. Es liest sich ein wenig wie das Tagebuch eines Teenagers ("Heute habe ich mich wieder zugedröhnt; oh, ich müsste eigentlich noch Schlaftabletten auf mein Rezept bekommen, bla, bla).
Die Intention der Autorin war vermutlich eine Protagonistin zu schaffen, die dem männlichen Äquivalent des Whisky-trinkenden Ermittlers entspricht. Obwohl ständig besoffen, löst er den Fall trotzdem mit Bravour (Gutes Beispiel: Harry Hole) und kommt irgendwie sympathisch rüber.
Was man als Leser sofort erfasst hat, kapiert die Protagonistin mit viel Glück irgendwann schemenhaft, meistens ist sie aber weggetreten, was die Story unnötig in die Länge zieht. Die Sprache ist simpel, die Misshandlungen werden drastisch beschrieben, und dann gibt es noch einen blutigen Showdown.
Dieser Thriller verspricht leider mehr als er letztendlich hält
Laine ist für mich alles andere als sympathisch. Natürlich kann ich nachvollziehen, dass sie die schrecklichen Erlebnisse ihrer Kindheit hinter sich lassen und einfach nur vergessen will. Trotzdem sind ihre Handlungen - als Hilfe oder Behinderung - für mich nicht logisch. Gefühlt jedes Mal entscheidet Laine sich für den falschen Weg, was sie einem dann auch gleich durch ihre Gedanken mitteilt (Zitat: "Ich wünschte, ich könnte die Worte zurücknehmen& !") liest man leider nicht nur einmal direkt nach einer ihrer idiotischen Handlungen. Manchmal möchte man als Leser die junge Frau nehmen und schütteln.
Im Buch geht es kaum um den Fall des verschwundenen Mädchens, man bekommt so gut wie gar keinen Einblick in die Polizeiarbeit und entgegen des Klappentextes stellt sich Laine nicht ihren Dämonen, sondern die Dämonen stellen sie.
Es gibt keine schockierenden Twists, wie versprochen, sondern eine klare Linie, die einfach zu durchschauen ist. Leider.
Die Recherche über die verwendeten Medikamente ist furchtbar schlecht; die Autorin hat wohl hier keine eigenen Erfahrungen als Grundlage genommen. Schade eigentlich, obgleich ich der Autorin keine Medikamentensucht wünsche (manchmal schaden eigene negative Erlebnisse/Erfahrungen nicht, um eine gebrochene Person darzustellen). Ansonsten ist das meiste der dünnen Story leider vorhersehbar, und dann haben wir noch ein Ende, das bei genauerer Betrachtung doch extrem viele Ungereimtheiten im Raum stehen lässt.
Gute Idee, flüssig geschrieben, einfache Sprache, aber seltsam blass
Wer leichte Kost lesen möchte und an ständigen Reflexionen und den endlosen Selbstanklagen einer jungen Frau interessiert ist, ist mit diesem Buch vielleicht gar nicht so schlecht beraten. Wer sich aber einen spannenden Thriller erhofft, bekommt seine Wünsche nicht erfüllt. Seltsamerweise wirken auch die ganz brutalen Stellen so trivial, dass sie mich als Leser nicht berühren, obwohl alles sehr deutlich und auch teilweise drastisch beschrieben wird. Netter Versuch. Nina Laurin kann sich definitiv weiterentwickeln - und nach diesem Debüt nur steigern.
Nina Laurin, Knaur
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