Ein Mord wird angekündigt
- Scherz
- Erschienen: Januar 1956
- 26
- London: Collins, 1950, Titel: 'A Murder is Announced', Seiten: 256, Originalsprache
- Bern: Scherz, 1956, Seiten: 189, Übersetzt: ?
- Bern; München; Wien: Scherz, 1977, Seiten: 141, Übersetzt: ?
- Genf: Edito-Service, 1982, Seiten: 151, Übersetzt: ?
- Bern; München; Wien: Scherz, 1988, Seiten: 171, Übersetzt: ?
- Bern; München; Wien: Scherz, 1992, Seiten: 171, Übersetzt: ?
- Frankfurt am Main: Scherz, 2003, Seiten: 206, Übersetzt: ?
- Marburg: Verl. und Studio für Hörbuchproduktionen, 2005, Seiten: 4, Übersetzt: Gabriele Blum, Bemerkung: ungekürzt
- Frankfurt am Main: Fischer, 2012, Seiten: 256, Übersetzt: Sylvia Spatz
- Hamburg: Atlantik, 2015, Seiten: 287, Übersetzt: Sylvia Spatz
Meisterhafte Verschleierung mörderischer Tücke
Chipping Cleghorn ist eines jener englischen Dörfer, in denen die Zeit auch nach dem Zweiten Weltkrieg stehengeblieben zu sein scheint. Jede/r kennt jede/n; was nicht öffentlich bekanntgemacht wird, ergänzt scharfe Beobachtung seitens der Nachbarn. Die örtliche Zeitung wird aufmerksam studiert, weshalb diese seltsame Kleinanzeige keineswegs unentdeckt bleibt: "Ein Mord wird angekündigt, der am Freitag, den 29. Oktober, in Little Paddock um 18.30 Uhr stattfinden wird. Freunde werden gebeten, diesen Hinweis als Einladung aufzufassen."
Little Paddock ist das Haus von Letitia Blacklock, die dort mit einer alten Freundin sowie zwei jüngeren Verwandten lebt. Auch hier sorgt die seltsame Anzeige für Verwirrung, aber die resolute Hausherrin reagiert angemessen: Sie stellt Getränke für jene Dorfbewohner bereit, die zum genannten Termin voller Neugier "zufällig" ins Haus schneien werden. In der Tat tauchen die Gattin des Pfarrers, die immer neugierige Mrs. Swettenham und ihr Sohn, Colonel Easterbrook und Gattin sowie die (verdächtig) zusammenlebenden Jungfern Hinchcliffe und Murgatroyd auf. Sie werden nicht enttäuscht: Um 18.30 Uhr geht das Licht aus, Schüsse fallen, dann liegt ein fremder Mann tot im Haus: Rudi Scherz war ein kleiner Gauner, der hier offenbar als Strohmann missbraucht wurde. Doch warum hat er die Anzeige aufgegeben - und wer hat ihn erschossen?
Das fragt sich auch Kommissar Craddock, der mit dem Fall betraut wird. Er vermutet ein Komplott, das sich gegen Letitia Blacklock richtet, der ein reiches Erbe ins Haus steht. Nichtsdestotrotz bleibt dieses Verbrechen so rätselhaft, dass Craddock den Rat eines erfahrenen Scotland-Yard-Ermittlers annimmt und eine Amateur-Detektivin zu Rate zieht: Miss Jane Marple schaltet sich unauffällig aber effektiv ein, was zumindest einem bestimmten Verdächtigen nicht verborgen bleibt ...
Jubiläum mit Stil
1950 feierte Agatha Christie ein Jubiläum: Mit "Ein Mord wird angekündigt" veröffentlichte sie ihr 50. Buch! Es wurde eines ihrer besten Werke und belegt, dass die Autorin auf der Höhe ihrer Schaffenskraft war: Dieser Krimi bot einerseits schriftstellerisches Handwerk in Vollendung, während Christie andererseits immer noch fähig und bereit war, neue Entwicklungen aufzugreifen.
Zwar nahm das "psychologische" Element in ihren Romanen schon früher zu und stellte sich schließlich gleichrangig an die Seite der Frage nach dem Wer und Wie des begangenen und beschriebenen Verbrechens. Die Mechanik der reinen Kriminalistik wurde durch die Erkenntnis bereichert, dass Morde von Menschen begangen wurden sowie eben doch keine "Kunst" darstellen, wie Thomas de Quincey es 1827 in einem berühmtgewordenen Essay provokativ formuliert hatte. Das quasi sportliche "Spiel" zwischen Täter und Ermittler entfaltete sich zu einem Duell, das jenseits offensichtlicher Indizien am Tatort auf geistiger Ebene geführt wurde.
Durchaus revolutionär war um 1950 die Ansicht, dass es entlastende Argumente für Mord geben konnte. Bisher hatte vor allem oder höchstens eindeutiger Irrsinn Täter vor dem Henkersstrick bewahrt. Nur mühsam setzte sich die Erkenntnis durch, dass gravierende geistige Störungen sich subtiler manifestieren konnte: Mörder entlarvten sich nicht zwangsläufig irgendwann durch gellendes Gelächter und das Schwingen einer Axt in der Öffentlichkeit.
Wie Christie Spannung erschafft
Mit "Ein Mord wird angekündigt" versucht sich Christie im Entwurf eines entsprechenden Verbrechens, ohne darüber die Unterhaltung zu vernachlässigen. Die Geschichte beginnt wie ein klassischer englischer Kriminalroman, d. h. mit einem eigentlich "unmöglichen" Mord, der zudem bizarr eingefädelt wird. Dem erfahrenen Leser ist klar, dass sich der Täter unter den eindeutig/zweideutig unschuldigen Zeugen des Verbrechens befinden muss; auf die typische "Fairness" der Krimi-Schriftsteller ihrer Generation mochte Christie nicht verzichten. Überraschungsauftritte, Geheimgänge oder Zufälle blieben also tabu.
Viel Zeit verwendet die Autorin darauf, uns ihre Hauptpersonen vorzustellen. Wie so oft bleibt Miss Marple recht lange außen vor. Auch später beschränkt sie sich auf kurze Auftritte, bis sie im Finale ausführlich aufrollt, was sich ereignet hat. Christie geht geschickt vor: Miss Marple bleibt gerade durch ihr sparsames Erscheinen interessant. Zudem ist sie eindeutig zu alt, um tatkräftige Polizeiarbeit zu leisten. Die übernimmt mit allen ermüdenden aber erforderlichen Routinen Inspektor Craddock.
Die Zügel hält Christie jederzeit fest in der Schreibhand. "Ein Mord wird angekündigt" ist Spannungs-Ökonomie der Sonderklasse. Es gibt keine Längen, keine Abschweifungen. Die Handlung steht im Mittelpunkt, Seifenoper-Gewäsch entfällt. Dagegen gelingen der Autorin immer wieder humorvolle bis boshafte Seitenhiebe, die versteckt aber deutlich Aspekte der zeitgenössischen Alltagswelt, die Christie kommentieren bzw. kritisieren möchte, auf die Schippe nehmen. Heute mögen uns diese Scherze altbacken und harmlos vorkommen, doch manche Kritik blieb zeitlos. So war Christie keineswegs eine Feministin, doch als Frau, die sich ihren Lebensunterhalt selbstständig verdiente und sehr erfolgreich dabei war, stellte sie in ihrem Werk Dumm-Weibchen, die vor allem gerettet und geheiratet werden wollten, recht gnadenlos bloß.
Der stille Mörder
Hinter dem "angekündigten" Mord - dem weitere Bluttaten folgen - steckt sowohl ein perfider Plan als auch eine Tragödie. Spannung entsteht im Krimi gerade dann, wenn ein perfekt geplantes Verbrechen aus dem Ruder läuft. Nun muss improvisiert werden, was selten funktioniert. Die Fehler häufen sich, beim Täter steigt die Panik, was zu neuen Gewaltausbrüchen führt, bis das kriminelle Kartenhaus schließlich spektakulär zusammenstürzt bzw. in diesem Fall von Miss Marple zum Einsturz gebracht wird.
Hier ist der Mörder zudem psychisch gestört. Der Begriff "Soziopath" war 1950 noch nicht so allgemeingültig wie in unserer Gegenwart, die von Hannibal-Lecter-Klonen und "True-Crime"-Gruseldokus wimmelt. Christie kennt oder verwendet ihn nicht. Dennoch ist klar, dass der Täter anders "tickt" als die Gemeinschaft und sich an Gesetze und moralische Regeln nicht gebunden fühlt.
Dennoch bleibt dieser Mörder menschlich genug, um die Distanz zu den "normalen" Mitmenschen zu begreifen und darunter zu leiden. Der daraus resultierende innere Konflikt ergibt für Miss Marple einen Hebel, mit dessen Hilfe sie dem Täter eine Falle stellen kann. Sie versteht die Mechanismen, denen dieser labile Geist folgt, und nutzt ihr Wissen.
Die (trügerisch) stille Ermittlerin
In gewisser Weise ist Miss Marple selbst eine Soziopathin. Gar zu offensichtlich tarnt sie sich als harmlose, neugierige, alte Jungfer. Tatsächlich ist sie eine Spinne im Netz. Sie giert nicht nach Menschenleben, sondern ist manisch in ihrem Eifer, Menschen auch dann zu belauschen, auszuhorchen und zu manipulieren, wenn es nicht darum geht, ein Verbrechen aufzuklären. Dann "röten sich ihre Wangen"; zu entscheiden, was Christie damit andeuten möchte und wie tief dieses Gefühl tatsächlich geht, bleibt dem Leser überlassen.
Wie Sherlock Holmes belastet es Miss Marple nicht, dass die dank ihrer Hilfe überführten Täter hingerichtet werden. In der Kurzgeschichte "The Hat and the Alibi" (1929; dt. "Eine Weihnachtstragödie") spricht sie es unverblümt aus: "Sie haben Sanders gehängt & Und das war gut so. Ich habe nie bereut, dass ich dazu beigetragen habe, diesen Mann seiner gerechten Strafe zuzuführen. Ich halte nichts von den modernen humanitären Skrupeln wegen der Todesstrafe." Christie entschärfte dies gern, indem sie überführte Mörder im Epilog an einer schweren Krankheit sterben oder Selbstmord begehen ließ. Auf diese Weise blieb auch der Skandal aus, den man im (englischen) Establishment dieser Epoche mehr fürchtete als Tod & Teufel. Wer gegen gesellschaftliche Regeln verstieß, wurde und blieb ausgestoßen.
Dies impliziert eine Unerbittlichkeit, die Christie immer wieder zur Sprache bringt. Der bloße, nie durch Klärung aufgelöste Verdacht ist ebenso schädlich wie die tatsächlich begangene Untat. Deshalb ist es wichtig, einen Mordfall zu lösen. Würde dies in unserem Fall nicht gelingen, müssten sich sämtliche Verdächtige zu Recht zeit ihres Lebens fragen, ob man hinter ihren Rücken schlecht über sie spricht und sie deshalb schneidet. Auch deshalb ist "Ein Mord wird angekündigt" ein Krimi mit Tiefenschärfe, der an Spannung ungeachtet seines Alters keineswegs verloren hat.
"Ein Mord wird angekündigt" in Film und Fernsehen
Mindestens dreimal wurde Christies Roman bisher filmisch umgesetzt. Erstmals geschah dies schon kurz nach dem Erscheinen des Romans im "Goodyear Television Playhouse". In Episode 5 der sechsten Staffel spielte neben den Schauspielerinnen Gracie Fields und Jessica Tandy 1956 ein noch sehr junger Roger Moore.
Für die BBC-Serie "Miss Marple" (zwölf spielfilmlange Episoden zwischen 1984 und 1992) verkörperte Joan Hickson (1906-1998) die Titelrolle; "A Murder Is Announced" wurde als Folge 3 im Frühjahr 1985 ausgestrahlt. In "Agatha Christie"s Marple" (23 Episoden zwischen 2004 und 2013) übernahm Geraldine McEwan die Marple-Rolle. "A Murder Is Announced" wurde als Episode 4 2005 gesendet.
Agatha Christie, Scherz
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