Herzensgut
- Fischer
- Erschienen: Januar 2002
- 4
- Frankfurt am Main: Fischer, 2002, Seiten: 382, Originalsprache
Ein guter, moderner Thriller made in Germany
Immer wieder schockieren die Nachrichten über verschwundene Kinder. Entweder sie bleiben verschwunden oder sie werden Tage, wenn nicht Wochen später tot aufgefunden. Grausame Realität, besonders wenn man bedenkt, dass viele Taten auf das Konto von Serientätern gehen, die von der Polizei jahrelang erfolglos gejagt werden.
Barbara Pross zieht um. Sie ist festen Willens, sich von ihrem Lebensgefährten Thomas zu trennen. Die Gründe dafür weiß sie selbst am besten und werden dem Leser auch nicht so ganz klar, aber auf jeden Fall zieht es sie aus dem hippen Düsseldorf ins schnöde Duisburg. Bei der Besichtigung einer Mietwohnung dringt ihr ein allzu vertrauter Geruch aus der Nachbarwohnung ins feine Näschen. Tatsächlich, die junge Frau, die hier wohnt, liegt seit Tagen tot auf ihrem Bett - offenbar Selbstmord. Barbara lernt den Polizisten Sven Heyer kennen, der diesen Todesfall bearbeitet und sich dabei ein wenig in sie verguckt. Ungewollt rutscht die Psychologin Pross so in eine Dreiecksbeziehung, die sie bis Ende des Romans für sich klären muss.
Pädophiler Serienmörder immer noch auf freiem Fuß
Aber sie muss auch noch was anderes aufklären. Die tote junge Frau war die Schwester eines vor Jahren entführten Mädchens namens Jenny, offenbar ein Opfer des psychisch kranken Grigoleit, der damals auf frischer Tat bei der Beerdigung eines seiner Opfer ertappt wurde. Grigoleit gestand 5 Morde, darunter auch den an Jenny. Nun tauchen aber Fotos auf, die ein Mädchen zeigen, das Ähnlichkeit mit Jenny hat. Und dann stellt auch der Gerichtsmediziner fest, dass bei der Leiche Spuren von Gewalteinwirkung zu sehen sind. Doch kein Selbstmord? War die junge Frau einer Bande von Pädophilen auf der Spur, die ihre Schwester verkauft haben?
Gleichzeitig verschwindet wieder ein kleines Mädchen und mit Hilfe eines pensionierten Polizisten entdeckt Barbara Zusammenhänge zwischen zwölf Kindesentführungen in den zurückliegenden 35 Jahren. Eine zweifelhafte Rolle scheint dabei der Unternehmer Terboom zu spielen, dessen Schwester damals das erste Opfer des Serientäters gewesen sein könnte, obwohl sie nicht recht in das Schema passen will: Alle anderen Mädchen hatten etwas zierliches, glichen im Aussehen alten Spielzeugpuppen. Immer fester wächst in Barbara die Überzeugung, dass mit Grigoleit der falsche für die Verbrechen bestraft wurde und der wahre Täter noch immer vor ihren Augen agiert.
Durchgehend hoher Spannungsbogen
Wer sagt, dass deutsche Autoren keine spannenden Thriller schreiben können, dem zeigt Silvia Kaffke auch mit ihrem zweiten Buch das Gegenteil auf. Die in nur neun Kapitel gegliederte Handlung unterhält von der ersten bis zur letzten der 380 Seiten, ohne zwischendurch zu verflachen. Vor Vergleichen mit renommierten Kollegen braucht sich die Autorin wahrlich nicht zu scheuen. Der Fall ist gut durchdacht, hat einen stets aktuellen Bezug und die nötige Brisanz, um Leser zu fesseln.
So grausam das Thema, so tiefgründig die Hauptfigur Dr. Barbara Pross. Als Kind selber Zeugin geworden, wie eine Freundin ermordet wurde, scheint sie den Beruf einer Psychologin auch gewählt zu haben, um sich selbst zu therapieren. Irgendwie scheint sie trotz ihrer 40 Jahre ankerlos zu sein. Den Beruf aufgegeben, weil sie sich ihm nicht mehr gewachsen fühlte, die Beziehung aus ähnlichen Motiven aufs Spiel gesetzt. Wie wird es mit der wankelmütigen Frau Doktor weiter gehen? Andere Charaktere haben sympathischere Züge erhalten, ohne dabei weniger Ecken und Kanten zu haben. Besonders gefällt dabei der pensionierte Kommissar Leiß, der aus seiner Seniorenresidenz heraus eine wichtige Hilfe für Barbara Pross ist.
Warum Ela Bach?
Es gibt auch Sachen, die für leichtes Befremden sorgen. Wieso kann Pross so leicht die Akten der Polizei einsehen und sogar an Verhören teilnehmen, obwohl sie den Dienst bei der Polizei lange quittiert hat? Inwiefern ist sie eigentlich eine Profilerin, zumal sie mehr klassisch ermittelt als ein Täterprofil zu erstellen? Bleibt zu hoffen, dass sie bald wieder einen Job bekommt, damit ihre Ermittlungen an Glaubhaftigkeit gewinnen. Und wieso hat es Silvia Kaffke nötig, sich die Kommissarin Ela Bach von ihrem Autorenkollegen Horst Eckert auszuleihen? So kurz der Auftritt dieser Figur auch sein mag, so überflüssig ist er auch, denn er hinterlässt bei Kennern der Romane Eckerts einen negativen Nachgeschmack.
Wie dem auch sei, der sehr gute Gesamteindruck wird durch die gelegentliche großzügige Auslegung des Wirkungsbereiches der Hauptfigur nicht getrübt. Ein guter, moderner Thriller made in Germany. Silvia Kaffke beweist, dass nicht nur Amerikaner dieses Metier beherrschen und hat mit "Herzensgut" einen soliden Nachfolger für ihr Debüt Messerscharf vorgelegt.
Silvia Kaffke, Fischer
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