Die Katze im Taubenschlag

  • Atlantik
  • Erschienen: November 2021
  • 35
  • London: Collins, 1959, Titel: 'Cat Among Pigeons', Seiten: 255, Originalsprache
  • Bern; Stuttgart; Wien: Scherz, 1961, Seiten: 189, Übersetzt: Dorothea Gotfurt
  • Bern; München; Wien: Scherz, 1975, Seiten: 191, Übersetzt: Dorothea Gotfurt
  • Bern; München; Wien: Scherz, 1986, Seiten: 191, Übersetzt: Dorothea Gotfurt
  • Bern; München; Wien: Scherz, 1990, Seiten: 197, Übersetzt: Dorothea Gotfurt
  • Bern; München; Wien: Scherz, 1997, Seiten: 197, Übersetzt: Dorothea Gotfurt
  • Frankfurt am Main: Scherz, 2004, Seiten: 207, Übersetzt: Dorothea Gotfurt
  • Frankfurt am Main: Fischer, 2005, Seiten: 207, Übersetzt: Dorothea Gotfurt
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Michael Drewniok
80°1001

Krimi-Couch Rezension vonFeb 2023

Geheimdiensttücke und Mord im Mädcheninternat

Meadowbank genießt als Mädchenschule einen Ruf, der weit über Englands Grenzen hinausreicht. Streng, aber gerecht führen Honoria Bulstrode und Miss Chadwick ihre Schule, in die Adlige, reiche Geschäftsleute oder ausländische Potentaten ihre Töchter schicken.

Dieses Renommee ist empfindlich: Auf keinen Fall darf Meadowbank mit einem Skandal in Verbindung gebracht werden! Deshalb ist der Schrecken groß, als Miss Springer, die tüchtige, aber ungeliebte Turnlehrerin mit einer Pistolenkugel im Herzen im Turn-Pavillon der Schule gefunden wird.

Inspector Kelsey übernimmt den Fall, aber auch der britische Geheimdienst ist involviert: Im fernen Königreich Ramat fiel Prinz Ali Yusuf während der kürzlich stattgefundenen Revolution einem Attentat zum Opfer. Seither verschwunden ist seine berühmte Sammlung kostbarer Juwelen, die er offenbar vor seinem Ende außer Landes schaffen lassen konnte.

Der Geheimdienst vermutet sie in Meadowbank, wo die zukünftige Gattin des verstorbenen Prinzen zur Schule geht. Allerdings hat sie keine Edelsteine erhalten. Wurde der Schatz abgefangen und irgendwo auf dem Schulgelände versteckt, bis die Aufregung sich legt? Eine Suche bleibt erfolglos, stattdessen liegt eine zweite Lehrerin tot im genannten Pavillon, und die Prinzessin wird entführt. Kelsey und der Geheimdienst sind ratlos und deshalb erleichtert, als der von einer Schülerin gerufene Privatdetektiv Hercule Poirot in Meadowbank zu ermitteln beginnt …

Ein ‚gemütlicher‘ Thriller

Agatha Christie hat im Laufe ihre langen Karriere immer wieder die Grenzen des Rätselkrimis überschritten und Thriller geschrieben, in denen ‚normale‘ Zeitgenossen in die Wirren politischer Umtriebe verwickelt werden. Vor allem Christies Serien-Ehepaar Tommy und Tuppence Beresford gerieten mehrfach in entsprechende Bredouillen, wobei der Abenteuer-Faktor die Logik stets hinter sich ließ.

Ein Thriller muss anders als ein Landhaus-Krimi zumindest plausibel ‚klingen‘. Weltpolitik à la Christie besitzt einen eher märchenhaften Unterton. In ihrem Frühwerk orientierte sich die Autorin an Autorenkollegen wie Rudyard Kipling oder John Buchan, die Politik und Geheimdienstarbeit als „Großes Spiel“ darstellten: Hinter den Kulissen lieferte sich das koloniale Großbritannien weltweit ein ewiges Katz-und-Maus-Spiel mit konkurrierenden bis offen feindseligen Mächten (Russland, Deutsches und Osmanisches Reich), ‚Anarchisten‘ und ‚Aufrührern‘, die sich vor allem im Nahen Osten und Indien gegen die manipulativen Ränken des Inselreiches stemmten.

In „Die Katze im Taubenschlag“ spielt die Handlung u. a. im fiktiven Königreich Ramat, das Christie als malerischen Hort morgenländischer Exotik (und gespickt mit zeitgenössischen Klischees) darstellt. An der Seite eines ‚modernen‘ Kleinkönigs in Not steht ein wackerer Brite, der dafür sorgt, dass böse Rebellen zumindest nicht die Kronjuwelen in die Klauen bekommen, also keine Waffen kaufen und die britische Interessen in der Region durchkreuzen können.

Die Welt zu Gast in einer Mädchenschule

Ausgerechnet in einer urenglischen Mädchenschule treffen Geheimdienstler und schurkische Auslandsagenten aufeinander! Sie agieren eher putzig: Die Schurken tücken theatralisch, der britische Geheimdienst wird als Ort gemütlich planenden Überlegenheit geschildert. Überhaupt gehört „Die Katze im Taubenschlag“ jenen Christie-Werken, die aus ihrem humorvollen Grundtenor keinen Hehl machen. Die Kronjuwelen von Ramat sind der von Alfred Hitchcock so genannte „MacGuffin“ - ein faktisch belangloser Auslöser oder Katalysator, der eine Geschichte in Gang setzt und hält.

Im Mittelpunkt steht Meadowbank, in der zwar die weite Welt zu Gast ist, aber urbritische Tugenden vermittelt werden. Christie erkennt den Widerspruch und setzt ihn witzig ein, wenn sie dies in Relation zum Alltag einer Welt setzt, die sich deutlich weitergedreht hat. In Meadowbank ist die Zeit in gewisser Weise stehengeblieben. Die Lehrinhalte mögen zeitgerecht sein, doch das System folgt weiterhin jenen starren Regeln und vor allem Einschränkungen, die Mädchen in ‚ordentliche‘ Frauen verwandeln sollen.

Immerhin sieht Christie hier das Dilemma. Meadowbank soll ‚modern‘ werden - und genau dies sorgt für mörderischen Widerstand, der sich mit den Agentenumtrieben vermischt und einen komplexen Kriminalfall generiert, der letztlich nur gelöst werden kann, weil ein Spezialist ins Haus kommt. Hercule Poirot bleibt bei seinem 28. Romanauftritt ‚Gaststar‘, denn er tritt erst im letzten Drittel Teil auf, ohne wirklich ein Teil der Handlung zu werden, die (problemlos) ohne ihn weit fortgeschritten ist. Offenbar gibt er sich die Ehre, um jene Leser zu locken, die ihn in einem Christie-Krimi sehen wollen: Christie war eine Profi-Autorin, die ihrem Publikum gern bot, was es sich wünschte.

Mikrokosmos der Frauen

In Meadowbank ist das weibliche Geschlecht in der Überzahl. Christie weiß dies für ihre Geschichte zu nutzen, wobei sich Klischees und akkurate Zeitbilder mischen; dies erst recht im 21. Jahrhundert, wo manche Äußerung mit dem Attribut „Nostalgie“ versehen und dadurch entschärft werden muss: „Französin“ zu sein bedeutet ein flatterhaftes Wesen und einen Hang zum Regelverstoß, und „Mädchen“ aus dem Morgenland sind schon jung „zu sehr Frau“.

In Meadowbank wird wie schon gesagt nicht nur gelernt, sondern auch geprägt. „Mädchen“ sind ein kostbares Gut, müssen gehegt und kontrolliert werden, um sie vor Entwertung zu schützen. Dies heißt zu gewährleisten, dass neben einer guten Ausbildung die „Ehre“ garantiert bleibt und jede Schülerin die Schule buchstäblich jungfräulich sowie mit diesbezüglich makellosem Ruf verlässt, um ihren weiteren Weg in einer Gesellschaft zu gehen, die darauf großen Wert legt. Das ist keine einfache Aufgabe, denn Meadowbank ist ein Minenfeld kochender Hormone - ein „Taubenschlag“ eben. Die Schülerinnen nehmen jeden auftauchenden Mann unter die Lupe, weshalb vorsichtshalber nur alte, hässliche und somit immune Angestellte für die Schule arbeiten. Daraus wird unter Christies Feder ein potenzielles Motiv, aber natürlich sorgt die gewiefte Autorin dafür, dass die „Katze“ nicht durch solche Stereotypen motiviert ist.

Nur makellose Lehrerinnen dürfen vor makellosen Schülerinnen stehen. Die zeitgenössische Ethik fordert auch hier (männerfreie) Vorbildlichkeit. Christie weicht hier vom Schema ab, schildert die Frauen als Menschen, die mit nicht zwangsläufig ‚geschlechtstypischen‘ Alltagsproblemen kämpfen. Die Schulleiterin denkt erstaunlich liberal und sieht eine Zukunft kommen, in der Frauen eine Rolle spielen werden, auf die sie jenseits traditioneller Wertvorstellungen vorbereitet werden sollten. „Die Katze im Taubenschlag“ ist alles andere als ein feministisches Manifest, aber Christie bezieht Stellung. Weil sie wie gesagt ihr Handwerk versteht, drängt sie damit nicht in den Vordergrund, sondern lässt es in ein Geschehen einfließen, dass Thriller bzw. Krimi bleibt und deshalb seine Unterhaltungsqualitäten wahren konnte.

„Die Katze im Taubenschlag“ im Fernsehen

In der britischen TV-Serie „Agatha Christie’s Poirot“ ging David Suchet in der Titelrolle in Staffel 11, Folge 2, 2008 in Meadowbank seinen Ermittlungen nach, wobei die Handlung wie für diese Serie üblich in die 1930er Jahre verlegt wurde.

Fazit

Hercule Poirot bleibt Gast in einem Roman, der mit lockerem Unterton einen verzwickten Kriminalfall mit beinahe komödiantisch überspitzten Thriller-Elementen mischt. „Die Katze im Taubenschlag“ ist keiner der ‚großen‘ Christie-Werke, unterhält aber vorzüglich über die gesamte Distanz.

 

Die Katze im Taubenschlag

Agatha Christie, Atlantik

Die Katze im Taubenschlag

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