Vier Frauen und ein Mord

  • Scherz
  • Erschienen: Januar 1956
  • 12
  • New York: W. J. Black, 1951, Titel: 'Blood will tell', Seiten: 180, Originalsprache
  • London: Collins, 1952, Titel: 'Mrs McGinty´s dead', Seiten: 187, Originalsprache
  • Bern: Scherz, 1956, Seiten: 190, Übersetzt: George S. Martin
  • Bern; München; Wien: Scherz, 1965, Seiten: 189, Übersetzt: George S. Martin
  • Bern; München; Wien: Scherz, 1977, Seiten: 189, Übersetzt: George S. Martin
  • Bern; München; Wien: Scherz, 1991, Seiten: 197, Übersetzt: George S. Martin
  • Bern; München; Wien: Scherz, 1997, Seiten: 197, Übersetzt: George S. Martin
  • Bern; München; Wien: Scherz, 2000, Seiten: 197, Übersetzt: George S. Martin
  • Frankfurt am Main: Scherz, 2003, Seiten: 206, Übersetzt: George S. Martin, Bemerkung: überarbeitete Fassung
  • Frankfurt am Main: Fischer, 2005, Seiten: 206, Übersetzt: George S. Martin, Bemerkung: überarbeitete Fassung
Vier Frauen und ein Mord
Vier Frauen und ein Mord
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Michael Drewniok
80°1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2003

(Zu) viel gesehen, aber das Wesentliche nicht erkannt

In der britischen Kleinstadt Broadhenny wurde Mrs. McGinty mausetot in ihrem Blut gefunden. Eine unter den Dielen ihres Häuschens verborgene Geldsumme verschwand, während sich ihr Untermieter Bentley verdächtig benahm und in Widersprüche verwickelte. Er wurde vor Gericht gestellt und verurteilt. Nun wartet er im Gefängnis auf seine Hinrichtung.

Superintendent Spence hat Bentley dorthin gebracht. Damit könnte der Polizeibeamte zufrieden sein, aber die Unschuldsbeteuerungen des Verdächtigen lassen ihm keine Ruhe. Sein durch langjährige Erfahrung geschärftes Gefühl sorgt für Zweifel an Bentleys Täterschaft. Keinesfalls will er einen Unschuldigen hängen sehen.

Das Justizsystem ignoriert solche „Gefühle“. Deshalb wendet sich Spence an den berühmten Privatdetektiv Hercule Poirot. Dessen Interesse ist rasch geweckt. Dass die Beweise sämtlich gegen Bentley sprechen, facht seinen Ermittlungseifer zusätzlich an. Poirot reist nach Broadhenny und quartiert sich dort ein. Aus seiner Identität und seinem Vorhaben macht er absichtlich kein Geheimnis: Poirot will für Aufregung im Ort und Unruhe unter den Verdächtigen sorgen.

Das gelingt ihm: Mrs. McGinty war als Putzfrau in verschiedenen Häusern tätig und für ihre Neugier berüchtigt. Offenbar ist sie über ein Geheimnis gestolpert, das durch ein Verbrechen gewahrt werden sollte. Poirot konzentriert sich auf vier Frauen. Eine ist womöglich eine Mörderin und dem Gesetz vor Jahren durch die Maschen geschlüpft. Hat sie auf ihre ‚Fachkenntnis‘ zurückgegriffen, um Mrs. McGinty zum Schweigen zu bringen und Bentley als Sündenbock hinzustellen …?

Feldzug für die Gerechtigkeit

Zum 24. Mal lässt Hercule seine berühmt-berüchtigten „kleinen grauen Zellen“ spielen.  „Vier Frauen und ein Mord“ war Agatha Christies 42. Kriminalroman. In den 1950er Jahren war sie im Vollbesitz ihrer intellektuellen und schriftstellerischen Fähigkeiten, was sich in diesem Roman widerspiegelt, in dem sie ihr Publikum spannend gleich mehrfach an der Nase herumführt und doch die Regeln des ‚fairen‘ Krimis wahrt.

Christie bindet ihrem Meisterdetektiv quasi eine Hand auf den Rücken. Als Poirot mit seinen Nachforschungen beginnt, gibt es keinen Fall mehr. Der Mord an Mrs. McGinty gilt als geklärt und der Schuldige gefunden. Alle Indizien weisen eindeutig auf den Untermieter als Täter hin. Bentley wurde vor Gericht gestellt und verurteilt; sogar er hat sich damit abgefunden.

Als ob dies nicht Herausforderung genug ist, setzt sich Poirot für einen Mann ein, der diesen Aufwand nicht ‚wert‘ ist. Christie stellt Bentley als abgestumpften, gleichgültigen und in keiner Weise sympathischer Mann dar. Poirot hat es schwer mit ihm. Zum Glück für Bentley ist dem Detektiv die Persönlichkeit eines Klienten gleichgültig. Er konzentriert sich auf die Tat. Auch das hat es in sich, da sämtliche Spuren wie gesagt gegen Bentley sprechen. Doch Poirot misstraut allzu offensichtlichen Beweisen. Er berücksichtigt den „psychologischen“ Faktor. Hier kommt er zu dem Schluss, dass Bentley sicher ein Jammerlappen, aber kein Mörder ist. Darüber hinaus will Poirot wissen, wie sich die Tat abgespielt und wer tatsächlich Mrs. McGinty umgebracht hat.

Mission vor Ort

Gern gibt sich Poirot als „armchair detective“, der eine intensive Vor-Ort-Recherche nicht nötig hat, weil er einen Fall durch reine Gehirnakrobatik löst. Außerdem ist Poirot ein Genuss- und Gewohnheitsmensch, der gern die Bequemlichkeiten seiner Wohnung sowie die Vorzüge einer gut sortierten Gastronomie genießt.

Doch Poirot ist unberechenbar. Weil er genial ist, muss er sich nicht an jene Grundsätze halten, die er seinen Mitmenschen gern unter die Nasen reibt. (Dies erleichterte zudem der Autorin die Arbeit; Christie hatte keine Lust, Poirots Denken, Reden und Handeln akribisch mit den Vorgängerbänden abzustimmen, je weiter die Serie voranschritt.) Also bricht er dieses Mal nicht nur beinahe spontan in eine unbedeutende Kleinstadt auf, sondern nimmt sich dort auch ein Zimmer in einer ‚Pension‘, die durch Chaos und ungenießbare Mahlzeiten gekennzeichnet ist; vor allem letzteres dient Christie mehrfach als Quelle für Scherze auf Kosten Poirots, dessen Geschmacksnerven sich unter Mrs. Summerhayes‘ schauerlicher Küche winden.

Broadhenny wird von Christie als ‚typische‘ englische Kleinstadt dargestellt, was selbstredend bedeutet, dass diese ‚Idylle‘ viel von einer Schlangengrube hat. Hinter den Kulissen dörflicher Ehrbarkeit geht es hoch bzw. moralisch niedrig her. Lügen, Intrigen, sorgsam gepflegte Feindseligkeiten: Wieder einmal beweist Christie, dass ihre Kriminalromane gar nicht so ‚cozy‘ waren. Sie besaß einen gut ausgeprägten Sinn für unterdrückte und dadurch konservierte Feindseligkeit, die irgendwann mörderisch explodierte.

Öl ins Feuer gießen

Normalerweise verhält sich ein Privatermittler unauffällig, wenn er einen Fall übernimmt. Dies soll Verdächtige ahnungslos halten, während der Detektiv Spuren sucht und Fragen stellt. Auch Poirot geht gern so vor, aber dieses Mal wechselt er die Taktik und meldet sich quasi offiziell an, als er in Broadhenny eintrifft. Alle Einwohner sollen wissen, wer er ist und wieso er sich in der Stadt aufhält.

Poirot setzt Druck ein. Er beobachtet, achtet auf nervositätsbedingte Fehler ‚seiner‘ Verdächtigen, schürt Ängste und gibt ein Wissen vor, das lange auf bloßen Vermutungen beruht. Wie eine Spinne sitzt Poirot in dem von ihm gesponnenen Netz und wartet, dass jemand an einem Strang rüttelt. Sofort taucht er auf und gleicht das vor Ort Erfahrene in ein Gesamtbild ein, das er wie üblich für sich behält. Gern hüllt er sich in kryptische Anmerkungen, denn tatsächlich geht es ihm ebenso um einen ‚runden‘, aufgeklärten Fall wie um die triumphale Auflösung durch Hercule Poirot.

Einmal mehr lässt Christie ihr Alter Ego an seine Seite treten: Mit Ariadne Oliver parodierte sich die Autorin selbst als erfolgreiche Kriminalschriftstellerin, die als Detektivin allerdings völlig versagt. Poirot schätzt Oliver gerade wegen ihrer zweifelhaften Theorien. Sie dienen ihm als Hilfe bei der Entscheidung, wie ein Verbrechen ganz sicher nicht begangen wurde. Die robuste Oliver nimmt ihm dies nicht übel bzw. übersieht Poirots (Hinter-) List in ihrer Selbstgefälligkeit.

„Vier Frauen und ein Mord“ in Kino und Fernsehen

Unter dem Titel „Murder Must Foul“ wurde dieser Roman 1964 verfilmt. Dabei tauschte man die Hauptfigur aus‘: Statt Hercule Poirot klärt Miss Marple den Fall; „Vier Frauen und ein Mord“ ist einer jener legendären vier Streifen, in denen Margaret Rutherford (1892-1972) diese Rolle übernahm, die ihr im hohen Alter den lange verwehrten Durchbruch zum Starruhm brachte. Agatha Christie hasste den Filmtitel und war auch sonst nicht begeistert über die Änderungen - so ereignet sich nicht nur ein Mord; es sterben drei Personen, um die Dramatik-Faktor zu erhöhen -, die sie als Profi jedoch hinnahm (und ein schönes Honorar einstrich).

Selbstverständlich nahm Poirot in der legendären britischen TV-Serie „Agatha Christie’s Poirot“ seinen Platz wieder ein. In Staffel 12, Folge 4 verkörperte David Suchet den Meisterdetektiv mit der üblichen Überzeugungskraft.

Fazit

Sein 24. Kriminalfall führt Hercule Poirot in eine englische Kleinstadt, deren scheinbare Behaglichkeit der Autorin als Tarnung für Lüge, Ignoranz und schließlich Mord dient. Nicht genial oder ideenreich, sondern routiniert und systematisch wird das Geheimnis gelüftet, wobei ungeachtet des straffen roten Fadens stets Raum für witzige (oder boshafte) Exkurse bleibt: zeitlose Krimi-Kunst.

Vier Frauen und ein Mord

Agatha Christie, Scherz

Vier Frauen und ein Mord

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