ACAB - All cops are bastards
- Folio
- Erschienen: Januar 2018
- 0
- Turin: Einaudi, 2009, Titel: 'ACAB. All cops are bastards', Seiten: 191, Originalsprache
- Wien: Folio, 2018, Seiten: 221, Übersetzt: Karin Fleischanderl
Italienische Realität: Hass und Gewalt
Michelangelo Fournier, stellvertretender Polizeipräsident von Rom, muss sich vor dem Staatsanwalt wegen der Geschehnisse in der Armando-Diaz-Schule beim G8-Gipfel in Genua 2001 rechtfertigen. Er war damals Kommandant des siebzig Mann starken Einsatzkommandos VII, das eigens für den G8 aus den Kerntruppen der römischen Bereitschaftspolizei zusammengestellt worden war, aus den besten Männern, solchen mit streng rechter Gesinnung.
Zwei Monate wurden sie kaserniert, militärisch gedrillt, mit Testosteron aufgeheizt. Ausgestattet mit Tonfas, einer traditionellen Waffe aus dem japanischen und chinesischen Kampfsport, mit der man Ochsenknochen zertrümmern kann, ging es im anschließenden Planspiel gegen als Schwarzer Block verkleidete Kollegen aus Neapel zur Sache, die zu Dutzenden auf der Krankenstation landeten.
Das Ministerium hielt an der Strategie fest. Drei Tage und drei Nächte lang dauerte das Inferno, in dem die VII die Globalisierungsgegner "wie Insekten zerstäubten". Für ein juristisches Nachspiel sorgten die Folter in der Kaserne von Bolzaneto und das Blutbad in der Armando-Diaz-Schule. Fournier sollte die Grundschule räumen, angeblich hatte sich der Schwarze Block dort verschanzt.
Ein Blutbad an den wehrlosen Männern und Frauen
Als er die Lüge erkannte, hatten seine aufgeheizten Männer bereits ein Blutbad an den wehrlosen Männern und Frauen angerichtet. Das wäre bei korrektem Einsatz des Tonfas nicht möglich gewesen, wie das Handbuch deutlich macht, das im Roman auszugsweise abgedruckt ist, im Wechsel mit den medizinischen Befunden der Opfer. Angewidert zieht Fournier, der politisches Versagen konstatiert, den Vergleich mit einem "mexikanischen Schlachthaus".
Damit erkennt er sowohl die Unrechtmäßigkeit des Vorgehens als auch die Blutrünstigkeit seiner Kollegen an. Deren Reaktion seiner Kollegen kann man ungefiltert nachlesen, in einem reportierten, offen feindseligen Chat auf DoppiaVela, dem Internet-Forum der Bereitschaftspolizei, die sich stolz zu ihrem faschistischen Selbstverständnis bekennt. Korpsgeist, Zusammenhalt, Loyalität bilden das Credo der celerini, der Bereitschaftspolizisten, die sich für ihren Kriegerinstinkt rühmen.
Der G8-Gipfel von Genua als Zäsur
Der G8-Gipfel bildet den Hintergrund für die folgenden Ereignisse, in deren Mittelpunkt neben Fournier die beiden römischen Bereitschaftspolizisten Drago und Sciatto stehen, die in der VII waren. Sie sind bekennende Rechte, Faschisten, Neofaschisten, Mussolini-Anhänger. Sciatto war Ex-Sekretär der faschistischen Jugendorganisation Fronte della Gioventù.
Die VII wurde zwei Tage nach Genua aufgelöst, alle 70 Männer wurden in ihre alten Einheiten zurückgeschickt, gegen sie wurden Strafverfahren eingeleitet. In der Öffentlichkeit werden sie als Mörder beschimpft. Je nach politischem Standort werden sie als Polizei-SS oder Polizei-Rote Garde beschimpft.
Der Roman beginnt sechs Jahre nach Genua. Fournier ist faktisch kaltgestellt bis zum Prozess, die anderen werden weiter eingesetzt, schieben Illegale ab, sichern Fußballspiele im Olimpico von Rom.
Sciatto wird eine Weile suspendiert, weil ein Fan ihn wegen schwerer Körperverletzung und Falschaussage anzeigt. Er jobbt als Bademeister und kümmert sich um Jugendliche. Seine Vorgesetzten lassen ihn im Stich. Doch seine Anwältin, eine Antifaschistin, erwirkt einen Freispruch. Bonini gibt keinen ideologischen Kompass vor.
Gewalt dominiert im Kampf gegen Fußball-Ultras
Die Bereitschaftspolizisten sind Vertreter einer eingeschworenen Gemeinschaft, die den laschen Staat verachtet. Ihr Dogma ist es, Gewalt mit Gewalt zu bekämpfen. Nackte Gewalt bestimmt daher auch ihren Alltag im Kampf gegen die Ultras von Lazio und AS Rom.
Schilderungen von Gewaltereignissen durchziehen den Roman. Das Match AS Rom gegen AC Mailand 2004 wurde für Sciatto zum Schlüsselerlebnis. Seine Einheit wurde eingekesselt von Roma-Fans, die Fahnenstangen trugen wie Schwerter, am Ende der Stangen waren Messer. Drago hatte sein Schlüsselerlebnis auf einer Demo von sardischen Bergarbeitern, wo er einen Arbeiter zuerst verprügelte und dann mit ihm sein Brot teilte, Pasolinis Gesellschaftskritik illustrierend: die Polizei als Puffer zwischen den Klassen. Solange sich die proletarischen Klassen prügeln, können die Kapitalisten in Ruhe ihren Geschäften nachgehen.
Gesellschaftliche Spannungen verdichten sich zu Hass
Die Spannungen in der modernen italienischen Gesellschaft verdichten sich zu Hass, der in roher Gewalt auf der Straße eskaliert. Bonini macht einige Ursachen dafür deutlich. Carletto, ein Freund von Drago, schiebt Wache vor der British School, deren monatliche Gebühren höher sind als Dragos Gehalt von 1400 Euro. Carletto beklagt sich über die Unverschämtheiten der "Zigeuner", der rumänischen Roma aus dem Barackenlager, deretwegen er seiner Frau das Schießen beigebracht hat. Später gerät er wegen eines Polen mit der Polizei in Konflikt.
Das Gefühl, nicht mehr Herr im eigenen Haus zu sein, teilt er mit vielen Italienern.
Die Qualität der Gewalt ändert sich nach dem tödlichen Überfall auf Giovanna Reggiani durch den Roma Mailat. Die Nachricht alarmiert die Banden. Sie organisieren einen Rachefeldzug gegen die Roma, keinen spontanen Übergriff, sondern einen strategisch durchdachten Schlag, der vor allem eine Quittung für die Regierenden sein soll. Die detailliert geschilderte Planung und Koordinierung zeigt, dass hier clevere Strategen am Werk sind, die über kampfstarke Truppen verfügen.
Bevor es richtig losgeht, erschießt ein Polizist vor dem Spiel Lazio gegen Juventus den Lazio-Fan Gabriele Sandri auf der Autobahn. Nun entlädt sich der Hass der Banden gegen die Polizei in einer beispiellosen Gewaltorgie und bürgerkriegsähnlichen Zuständen in Rom. An vorderster Front die Bisl (Basta infami solo lame - Es reicht mit den Verbrechern, her mit den Klingen).
Der Roman endet in Neapel, das einer stinkenden Giftmüllhalde gleicht. Fourniers Einsatzkommando überwacht die Wiedereröffnung der Mülldeponie Pianura gegen die Müllmafia. Es kommt zu einer Schlacht mit der NISS (Niente Incontri Solo Scontri - Nie zusammentreffen, nur zusammenschlagen) und den Teste matte (Verrückte Köpfe), einer der Camorra zugewandten Jugendorganisation, die vor 20 Jahren von La Repubblica auch als "neue Camorra" bezeichnet wurde.
Damit schließt sich der Kreis, denn im Prolog werden Fans von AS Rom auf dem Weg ins Stadio Olimpico von neapolitanischen Ultras brutal angegriffen. Ausgerechnet das Auftauchen einer Polizeistreife rettet sie.
Ein sorgfältig recherchierter Polit-Thriller
Der Titel ACAB All Cops Are Bastards der Skinhead-Rockband The 4-Skins von 1979 wurde von den Ultras und Hooligans, rechten wie linken Chaoten zur Hymne erhoben. Der Titel täuscht. Carlo Bonini, Jurist und Investigativ-Journalist, Co-Autor von Suburra und Die Nacht von Rom, ergreift keine Partei, betreibt keine simple Schwarz-Weiß-Malerei, sondern setzt sich mit dem Phänomen der Gewalt vor allem im Umfeld des Fußballs differenziert auseinander. Deutlich wird, dass die Polizisten von denen im Stich gelassen werden, die sie in den Einsatz schicken.
Bonini erzählt von gesellschaftlichen Verwerfungen, ungerechter Verteilung, ungeregelter Zuwanderung, dem Missverhalten illegaler Einwanderer, von den Politikern, die den Rechtsstaat und die Verfassung suspendieren, nicht auf Kooperation sondern Konfrontation setzen, keine Verantwortung übernehmen für die Probleme, die sie selbst verursacht haben.
Der Epilog fasst zusammen, was seit dem Erscheinen des Originals im Jahr 2009 mit Fournier, Sciatto, Drago und den anderen Handelnden geschieht. Der Abschnitt "Für den deutschen Leser" befasst sich mit dem juristischen Nachspiel zu den Geschehnissen in Genua.
Das Buch wurde von Stefano Sollima für das Kino verfilmt. Ein packender Polit-Thriller über eine wahre Geschichte, beruhend auf sorgfältiger Recherche, klar und sachlich.
Carlo Bonini, Folio
Deine Meinung zu »ACAB - All cops are bastards«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!