Was in heller Nacht geschah
- Droemer
- Erschienen: Januar 2018
- 1
- München: Droemer, 2018, Seiten: 352, Originalsprache
Hysterie auf den Lofoten
In meiner nicht allzu weit entfernt liegenden Jugend (hüstel) gab es zwischen mir und einem Freund einen geflügelten Satz für "Blödsinn", der aus "Asterix - die große Überfahrt" entliehen war. "Følliger Blødsind, den Møpsen mitzuschleppen", damit fetzten sich die Wikinger, die sich im Nebel verfahren hatten und noch zusätzlich von ihrem Hund genervt wurden. Und so wurde der "Følliger Blødsind" auch für uns ein oft und gerne getätigter Ausspruch.
Bei Lektüre des Romans "Was in heller Nacht geschah" wurde ich wieder an diesen Spruch erinnert: Die Heldin des Romans, Judith hat ihre Zelte in Frankfurt abgebrochen, die Wohnung vermietet, die Katze ausquartiert und sich auf den Weg zu den Lofoten gemacht. Hier will sie Abstand zu ihrem Roman gewinnen, der sie offensichtlich so vereinnahmte, dass sie sich quasi in diesem Buch gefangen fühlt.
Ob das eine gute Idee sei, sei dahingestellt, spielte ihr Roman doch auf den Inseln und tatsächlich passiert schon bei ihrer Ankunft auf der Insel gar Schreckliches: Die Tür eines Fischerhauses öffnet sich - genau so, wie Judith es einmal in ihrem Roman beschrieben hatte und - zack - fällt die Heldin in Ohnmacht. Der Leser, der jetzt möglicherweise wie ich der Meinung ist, dass das Öffnen einer Tür ein recht alltäglicher und überhaupt unmysteriöser Vorgang sei, fragt sich nun vielleicht, was denn passiert, wenn erst einmal ein Eimer Kabeljau umkippt, muss diese Frage aber erst einmal vor diversen weiteren Mysterien zurückstellen.
Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen...
Denn diese Mysterien gibt es im Buch zu Genüge: Da ist Rune, das Bilderbuch-Abbild eines Wikingers, der hier als lebendiger und problembehafteter Hüne lebt, aber aus ungeklärten Gründen, wie das personifizierte Abbild ihres Romanhelden Einar erscheint und die Heldin damit in tiefe Verwirrung - um nicht zu sagen Schockstarre - stürzt. Wie Judith an späterer Stelle verraten wird, ist dieses Produkt ihrer Phantasie der einzige Mann, dem sie sich jemals öffnete. Aha.
An dieser Stelle solle fairerweise noch ergänzt werden, dass es sich bei Judith um eine erwachsene Frau handelt, die offensichtlich in der Lage ist, ihr Leben zu regeln, einen Handy-Vertrag abzuschließen und ein Auto zu kaufen - bei der also zumindest ein Mindestmaß an Geschäftsfähigkeit vorausgesetzt werden sollte. Diese Frau wird nun permanent von Visionen ihres Buches heimgesucht, sie entziffert Grabinschriften, die den Tod ihres Buchhelden belegen, sieht andere tragende Personen ihres Romans leibhaftig vor sich, hat eine Vision, die ein späteres Mordopfer blutend und mit zertrümmertem Kopf zeigt - wohlgemerkt als dieses Opfer noch quietschvergnügt vor ihr steht - und so weiter und so fort.
Anfangs drängt sich noch der Gedanke auf, dass die Heldin möglicherweise das Opfer eines raffinierten Giftanschlags sein könnte, der ja möglicherweise auch Wahnvorstellungen hervorrufen könnte. Denn so sagt der Klappentext "Bis Judith begreift, wie alles zusammenhängt ihre Erlebnisse, ihr Romand und der schweigsame Norweger Rune, um den sich verstörende Geschichten ranken -, ist es beinahe zu spät". Ob diese Hoffnung auf eine logische Erklärung erfüllt werden kann, soll hier nicht verraten werden. Aber eines bleibt festzuhalten: Bei diesem Buch war der Vorsatz, immer ein Buch zu Ende zu lesen, wenn es hier rezensiert werden soll, der wichtigste Motor für die fortgesetzte Lektüre.
Ein spätes Aufbäumen
Ein wenig Tempo und Spannung kommt erst, als sich die Autorin endlich entschließt, von ihrer "Spökenkiekerei" Abstand zu nehmen. Damit kommt tatsächlich dann auf Seite 202 ein tatsächlicher Kriminalfall zustande, der sich dann auf den nächsten 50 Seiten plötzlich mit rasantem Tempo zu einer relativ lieblos aufgebauten Mordserie entwickelt. Bis dahin dürfte sich die Stimmung des Lesers aber der Wassertemperatur der Lofoten angepasst haben, so dass auch der Showdown und das relativ versöhnliche Ende hier nicht mehr viel retten können, sondern nur noch vor einer Bewertung nahe dem Gefrierpunkt zu schützen vermögen.
Abschließend kann die Figur der Heldin und damit der auf ihr aufgebaute Roman mit Runes eigenen Worten beschrieben werden.
Rune richtete sich auf und trat einen Schritt zurück. Was hatte er verbrochen, dass der Zufall ihm schon wieder diese Frau vor die Füße spülte?"
Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.
Karen Winter, Droemer
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