Der Tod wartet
- Scherz
- Erschienen: Januar 1944
- 26
- London: Collins, 1938, Titel: 'Appointment with death', Seiten: 252, Originalsprache
- Bern: Scherz, 1944, Seiten: 221, Übersetzt: Auguste Flesch von Bringen
- Bern: Scherz, 1953, Seiten: 191, Übersetzt: Auguste Flesch von Bringen
- Bern; München; Wien: Scherz, 1968, Seiten: 175, Übersetzt: Auguste Flesch von Bringen
- Bern; München; Wien: Scherz, 1984, Seiten: 188, Übersetzt: Ursula Gail
- Bern; München; Wien: Scherz, 1989, Titel: 'Rendezvous mit einer Leiche', Seiten: 188, Übersetzt: Ursula Gail
- Bern; München; Wien: Scherz, 1998, Titel: 'Rendezvous mit einer Leiche', Seiten: 188, Übersetzt: Ursula Gail
- Bern; München; Wien: Scherz, 1999, Seiten: 250, Übersetzt: Ursula-Maria Mössner
- Bern; München; Wien: Scherz, 2001, Seiten: 250, Übersetzt: Ursula-Maria Mössner
- Frankfurt am Main: Fischer, 2003, Seiten: 250, Übersetzt: Ursual-Maria Mössner
- Frankfurt am Main: Scherz, 2004, Seiten: 250, Übersetzt: Ursula-Maria Mössner
- Frankfurt am Main: Fischer, 2008, Seiten: 250, Übersetzt: Ursula-Maria Mössner
- Frankfurt am Main: Fischer, 2009, Seiten: 332, Übersetzt: Ursula-Maria Mössner
- Marburg: Verl. und Studio für Hörbuchproduktionen, 2005, Seiten: 6, Übersetzt: Martin Maria Schwarz, Bemerkung: ungekürzt
- München: Der Hörverlag, 2007, Titel: 'Rendezvous mit einer Leiche', Seiten: 3, Übersetzt: Klaus Dittmann, Bemerkung: gekürzt; aus dem Englischen von Tanja Handels
Mord in toter Wüstenstadt
Der scheinbare Herztod einer alten, bösen Frau erweist sich als geschickter Mord; es bedarf des Meisterdetektivs Hercule Poirot, um eine bunte Schar von Verdächtigen zu vernehmen und dann eine unerwartete Lösung zu präsentieren … – In morgenländisch exotischer Kulisse aber strikt den klassischen Regeln des "Whodunit" gehorchend, löst Poirot seinen 18. Fall: zeitlos spannendes Krimi-Handwerk der Oberklasse.
"Du siehst doch ein, dass sie sterben muss?"
Diesen Satz vernimmt ausgerechnet der belgische Meisterdetektiv Hercule Poirot während einer Reise durch das Heilige Land, als er das Fenster seines Hotelzimmers schließen will. Er amüsiert sich über diesen Zufall, denn noch ist ihm die Tragödie seiner Mitreisenden, der Familie Boynton, nicht bekannt: Die Geschwister Lennox, Raymond, Carol und Ginevra sowie Lennox´ Gattin Nadine unterliegen dem tyrannischen Regiment der sadistischen Mutter, deren Lebensinhalt es ist, ihre Familie zu brechen und zu knechten. Ginevra ist schon in den Wahnsinn abgedriftet, und Lennox folgt ihr rasch. Die herzkranke, fettleibige Greisin hält die Fäden straff in der Hand und diese fest auf der Geldbörse, denn solange sie lebt, hat nur Mrs. Boynton Zugriff auf das Familienvermögen.
Als sich die junge Ärztin Sarah King in Raymond verliebt, zieht sie den Zorn der Alten auf sich, die auch sonst die Menschen in ihrer Umgebung manipuliert oder vor die Köpfe stößt. Trotz ihres labilen Gesundheitszustandes besteht sie auf eine anstrengende Fahrt in die versunkene Felsenstadt Petra. Dort erliegt sie offenbar der Wüstenhitze. Allerdings gibt es Hinweise auf ein Verbrechen. Poirot wird gebeten, den Fall zu klären. Die Schar der Verdächtigen ist groß. Sämtliche Familienangehörige hassten Mrs. Boynton. Hat Sarah King Raymond dazu getrieben, seine Mutter umzubringen, die niemals eine Ehe gestattet hätte? Ist der berühmte Psychologe Dr. Théodore Gérard wirklich wegen einer Malaria-Attacke ins Lager zurückgekehrt, wo Mrs. Boynton zurückgeblieben war? Auch Mr. Copes, Lady Westholmes und Miss Pierces Alibis wackeln bei näherer Betrachtung. Wie es scheint, sind sie alle jetzt oder in der Vergangenheit mit dem bösen Weib aneinandergeraten.
Hercule Poirot steckt in einem Dilemma: Niemand weint Mrs. Boynton eine Träne nach, ihr Tod könnte problemlos zu den Akten gelegt werden. Doch Mord ist ein Delikt, das der Detektiv nicht dulden will. Andererseits wäre er nicht Poirot, fiele ihm nicht nur die Lösung, sondern auch eine Alternative ein …
Drama-Mord im Heiligen Land
Die 1920er Jahre waren für Agatha Christie höchst erfolgreich. Als Schriftstellerin hatte sie sich sehr erfolgreich durchgesetzt. Privat hatte sie herbe Schicksalsschläge hinnehmen müssen; u. a. war ihre Ehe zerbrochen. Um auf andere Gedanken zu kommen, beschloss Christie zu reisen. 1928 und 1930 hielt sie sich lange im Nahen Osten auf. Sie nahm an Ausgrabungen des Archäologen Leonard Woolley teil und lernte dessen Assistenten Max Mallowan kennen, den sie im September 1930 heiratete. In den folgenden Jahren begleitete Christie ihren Gatten mehrfach auf archäologischen Expeditionen durch den Irak und Syrien. Die dabei gewonnenen Kenntnisse über Land und Leute ließ sie in einige ihrer berühmtesten Kriminalromane einfließen.
Auch Der Tod wartet profitiert ungemein von diesem Lokalkolorit sowie von Christies kluger Entscheidung, es der Handlung jederzeit unterzuordnen. Transjordanien ist ein interessanter Schauplatz, den Christie jedoch mit eher groben Strichen skizziert: Der Tod wartet ist kein Reisebericht, sondern ein Kriminalroman. Die Kulissen beugen sich deshalb den Regeln des Genres – eine Disziplin, die leider nicht allzu viele derjenigen Autoren aufzubringen vermochten und vermögen, die ebenfalls Verbrechen an exotischen Orten thematisieren und sich dabei in der Beschreibung geografischer oder historischer Details verlieren.
Die souveräne Christie ist auf Faktenhuberei nicht angewiesen. Petra, die antike Felsenstadt, wird unter ihrer Feder in erster Linie zum ortskundig eingesetzten Tatort. Außerdem ist sie die bildstarke Variation des von innen verschlossenen Raumes, der die Aufklärung eines scheinbar perfekten Verbrechens eigentlich verhindert.
Das Böse als Krankheit
Viel interessanter findet Christie neben der obligatorischen Auflösung einer raffiniert realisierten Übeltat den psychologischen Hintergrund der Ereignisse. Der Tod wartet beginnt mit einer hundertseitigen "Einleitung", die ohne Hercule Poirot auskommt und stattdessen das Drama einer hochgradig dysfunktionalen Familie schildert. Nicht nur die jüngeren Boytons, sondern auch die Menschen in ihrem Umfeld werden förmlich vergiftet von der systematisch manipulierenden Mutter.
Mit Mrs. Boyton – ein individualisierender Vorname wird nie erwähnt – ist Christie eine bemerkenswerte Figur gelungen: eine bis ins Mark bösartige Frau, die ihr Schicksal herausfordert. Über die Ursachen mag Christie nicht spekulieren; sie beschränkt sich auf die Tatsache, dass Mrs. Boyton heute ist, wie sie ist. In diesem Zusammenhang stellt Christie unangenehme Fragen ganz anderer Art: War dieser Mord womöglich gerechtfertigt? Haben der oder die Täter nicht genug erlitten? Mit welchem Recht mischt sich Poirot ein? Will er hier nur seinen Ruf als Meisterdetektiv durch einen weiteren Erfolg aufpolieren?
Psychologie spielt also eine große Rolle. Christie dürfte spätestens 1926 nach einem schweren Nervenzusammenbruch ihr Interesse für die noch junge Wissenschaft der Psychoanalyse entdeckt haben. Sigmund Freud und seine revolutionären Thesen wurden weltweit diskutiert. Die daraus resultierenden Erkenntnisse spiegelten sich auch in der Unterhaltungsliteratur wider. Poirot betont ausdrücklich, dass die Lösung dieses Falls nicht ausschließlich auf Fakten beruht. Indizienlücken muss er mit Rückschlüssen auf die Psyche der Verdächtigen und die darauf basierenden Handlungen schließen – für den klassischen Detektiv ein unsicheres Terrain, auf das sich ein Sherlock Holmes niemals begeben hätte.
Täuschung und Irrtum
In den 1930er Jahren war Agatha Christie längst zur professionellen Schriftstellerin gereift. Sie wusste genau, wie sie Spannung erzeugen, halten und in einem großen Finale steigern konnte. Ebenso eindrucksvoll ist die Ökonomie in der Anwendung der dafür erforderlichen Mittel. Auch in der neuen, ungekürzten deutschen Übersetzung hat Christie auf Seite 250 erzählt, was sie uns zu sagen hatte.
Dabei ist diese Geschichte auch ohne die psychologischen Implikationen verwickelt. Die Schar der Verdächtigen ist groß, alle haben sie ein Motiv und die Gelegenheit zum Mord gehabt. Rache, Wut, Verzweiflung, Liebe, Notwehr: Christie projiziert die gesamte Palette von Emotionen, die zum Tod der Mrs. Boynton geführt haben könnten, auf ihre Figuren. Dann steigert sie die Verwirrung, indem sie diese Gefühle und die daraus erwachsenden Handlungen miteinander verzahnt. Faktisch gibt es nicht EIN Motiv und EINEN Tathergang, sondern ein komplexes Geflecht zufälliger Ereignisse und absichtlicher Aktivitäten.
Hercule Poirot muss es Faden für Faden aufdröseln. Erst als ihm dies gelingt, ergibt seine bisher nicht in einen logischen Zusammenhang zu bringende Chronik der Ereignisse am Tag des Mordes plötzlich Sinn. Dabei spielt Christie jederzeit fair. Auf die Spur wird man ihr sehr wahrscheinlich trotzdem nicht kommen. Der Aha-Effekt stellt sich erst ein, wenn Poirot verdichtet, was die Autorin höchst geschickt angedeutet hatte, und vervollständigt die Zufriedenheit des Krimi-Lesers, der wieder einmal vorzüglich und intelligent unterhalten wurde.
Das Stück/der Film zum Buch
1944 schrieb Agatha Christie Appointment with Death für die Bühne um. Sie strich nicht nur Poirot, sondern änderte auch den Tatablauf erheblich. Am 29. Januar 1945 hob sich der Vorhang im "King’s Theatre" zu Glasgow. Im "Piccadilly Theatre" in London schloss er sich endgültig bereits im Mai Jahres nach nur 42 Aufführungen.
1988 führte ausgerechnet Michael Winner, der uns mit Filmklassikern wie Ein Mann sieht rot (Teil 1 bis 3) beschenkte, Regie in der Verfilmung von Appointment with Death (dt. Rendezvous mit einer Leiche). Doch Winner lieferte durchaus werkgetreues, allerdings altmodisches bis betuliches Krimi-Stück ab, das den Anschluss an die Agatha-Christie-Blockbuster der 1970er und 1980er Jahre suchte. Zum dritten Mal (nach Death on the Nile, 1978, dt. Tod auf dem Nil, und Evil under the Sun, 1982, dt. Das Böse unter der Sonne) schlüpfte Peter Ustinov in die Rolle des Hercule Poirot, und wie die genannten Filme war auch Appointment with Death bis in die Nebenrollen mit Stars des aktuellen (Carrie Fisher, David Soul) und des "alten" Hollywood-Kinos (Lauren Bacall, John Gielgud) besetzt. Von der Kritik höher eingeschätzt wird die TV-Fassung von 2008, die einmal mehr David Suchet in seiner Parade-Rolle als Hercule Poirot zeigt.
Agatha Christie, Scherz
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